Die Kobs

Geschichte und Geschichten der Familie Kob

Stand Februar 2007

I N H A L T

Zur Einführung

Erster Teil: Geschichte und Geschichten der Familie Kob

I. Vom Land der Ahnen

1. Das Land der Ahnen suchend
2. Der Herr Dupont
3. Zwei Klöster
4. Unsere Gräber
5. Hildburghausen
6. Das alte Ostpreußen
7. Masuren
8. Königsberg i. Pr.

II. Vierhundert Jahre Familie Kob in Thüringen, Franken und Ostpreußen

1. Der erste Kob in Thüringen: Hans Kob
2. Die Lebensverhältnisse
3. Bürger in Hildburghausen: Stephan Kob
4. Bürgerrecht in Hildburghausen
5. Tuchmacher in Hildburghausen: Hans Kob
6. Evangelisch in Hildburghausen
7. Das Tuchmacherhandwerk in Hildburghausen
8. Schwierige Familienverhältnisse: Claus Kob
9. Gutsbesitzer in Adelhausen: Stephan Kob jun.
10. Das Handwerk
11. Flüchtiger Wohlstand: Stephan Kobe minor
12. Der Dreißigjährige Krieg
13. Der Retter der Heimatstadt: Paul Waltz
14. Handelsmann in Nürnberg: Hans Kob
15. Ein geschäftstüchtiger Bäcker: Stephan Kob
16. Erben ist auch nicht leicht: Sebastian Kob
17. Feldmedikus im Dreißigjährigen Krieg: Wolfgang Kob
18. Professor der Rechte in Altdorf: Johannes Kob
19. Die Residenzstadt Hildburghausen
20. Pageninformator, Hofprediger und Archidiakonus: Johann Michael Kob
21. Hildburghausens Stadtbild
22. Karriere im Ausland
23. Pfarrer in der Heimat: Joseph Albert Elisäus Kob
24. Feldchirurg und Bürgermeister in Masuren: Johann Gottlieb Friedrich Kob
25. Königlicher Postillion: Gehrcke
26. Der Postillion. Nikolaus Lenau
27. Feldchirurg und Stadtchirurg: Gottlieb Friedrich Kob
28. Pfarrer und Gastgeber Napoleons: Karl Wilhelm Kob
29. Kreisphysikus und Sanitätsrat: Gustav Adolf Moritz Kob
30. Lyck
31. Teilnehmer an den Freiheitskriegen und Salzinspektor: Karl Wilhelm Kob
32. Burschenschaftler und Pfarrer: August Ferdinand Kob
33. Soldat in Friedenszeiten: Albert Kob und Guido Kob
34. Richter in Ostpreußen, in Meseritz und in Berlin: Konrad Walter Kob

III. Hugenotten und Pfälzer als Vorfahren

1. Die Hugenotten
2. Groß-Ziethen und Klein-Ziethen
3. Über Frankenthal in die Uckermark: Michel Vaquier
4. Kosssät in Klein-Ziethen: Jaques Urbain
5. Winkel-Vilain: Charles Villain
6. Mittellos in der Fremde: Charles Ouart
7. Witwe mit Hof: Nicole Goffrier
8. Über Ludwigshafen in die Mark Brandenburg: David Dupont
9. Ein Pfälzer und Marlene Dietrich: Henri Horst
10. Müller und Musketier: Martin Gauger
11. Die Lebensbedingungen
12. Die Rechtsgrundlagen
13. Mann und Frau
14. Der Ackerbau
15. Der Suppenkessel
16. Das Backen
17. Das Schlafen
18. Die Reinlichkeit
19. Das Wäschewaschen

IV. Die Kobe von Koppenfels

1. Geadelt: Johann Sebastian Kobe von Koppenfels
2. Kanzler in Weimar und Nachbar Goethes: Johann Friedrich Kobe von Koppenfels
3. Weimar im Jahre 1806
4. Francke-Schüler und Offizier: Carl Heinrich Kobe von Koppenfels
5. Sein Haus sieht man heute noch: Just Siegfried Kobe von Koppenfels
6. Die Frau des „Kunscht-Meyer”: Amalie Kobe von Koppenfels
7. Heinrichsorden nach der Konfirmation: Ferdinand Kobe von Koppenfels
8. Afrika-Forscher: Hugo Kobe von Koppenfels
9. Verwandt mit Admiral de Ruyter: Adolf Kobe von Koppenfels
10. Reiter und Freikorps-Führer: Waldemar Kobe von Koppenfels
11. Regierungspräsident im 3. Reich: Carl Ferdinand Edler von der Planitz

V. Königsberg, Flucht und Neuanfang

1. Das moderne Ostpreußen
2. Stadtschulrat in Königsberg: Heinrich Albert Tribukait
3. Stabsarzt in Allenstein: Johannes Philipp Kob
4. Pfarrer in Hinterpommern: Werner Karl Kob
5. Gestorben am Fleckfieber in Rumänien: Friedrich Walter Bruno Kob
6. Militär- und Kinderarzt, Meister vom Stuhl: Martin Kob sen.
Der Familienmensch
Der Soldat
Der Freimaurer
Ein Portrait
7. Die Freimaurer
8. „Die Barmherzigkeit”
9. Jung verstorben: Kurt Kob
10. Pfarrer in Pommern: Konrad Kob
11. Komponist und Vogelfreund: Heinz Tiessen
12. Kinderarzt, Soldat und Politiker: Martin Kob jun.
Der Arzt
Der Soldat
Wieder Zivilist
Krankheit und Tod
Texte, Briefe und Ansprachen
Nachrufe
13. Mutter in schwerer Zeit: Gisela Kob geb. Behrend
Neukuhren
Die Flucht
Erinnerungen
Letzte Wochen
14. Soldat und Lungenfacharzt: Hans Kob
15. Pfarrer der Familie: Gottfried Handtmann
16. Beamter und Politiker: Bruno Behrend
17. Tilsit
18. Flucht und Vertreibung: Hintergründe und Zusammenhänge

Zweiter Teil: Chronik der Familie Kob 141
I. Die Kobs 141
II. Die Familien Behrend, Sonnemann, Hoffmann und Steiner 189
III. Die Kobe von Koppenfels 205

Dritter Teil: Verzeichnisse und Tafeln 222

I. Lexikon 222
II. Quellen und Literatur 229
III. Personenregister Familie Kob 236
IV. Verzeichnis der Bildseiten 251

Z u r E i n f ü h r u n g

Die Geschichte unserer Familie Telschow/Kob ist auf vier Bände angelegt: Band I. Geschichte und Geschichten der Familie Telschow, Band II. Geschichte und Geschichten der Familie Kob, Band III. Porträt von Fritz Telschow, Band IV. Erinnerungen von Jürgen Telschow.

Die ersten beiden Bände sind so gegliedert, daß zunächst Geschichten der jeweiligen Familie erzählt werden. Es folgt ein Chronik-Teil mit allen bekannten Daten. Schließlich enthält der dritte Teil folgende Verzeichnisse: ein Lexikon, in dem nicht allgemein bekannte Begriffe erklärt werden, ein Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Personenregister. Beigefügt sind Stammtafeln und Ahnentafeln.

Die Stammtafel, auch Stammbaum genannt, geht von dem ältesten bekannten Namensträger aus und führt dessen Nachfahren auf, soweit sie bekannt sind. Die Ahnentafel geht von einem heute Lebenden aus und führt alle bekannten Vorfahren auf, also auch die Vorfahren der Ehefrauen. In diesem Band II. sind Chronik Teil I. und III. an der Stammtafel orientiert, Chronik Teil II. an der Ahnentafel.

Im Chronik-Teil sind alle Personen mit Kennziffern versehen. Die erste Ziffer bezeichnet die Generation in der Stammtafel; Generation 1 ist der älteste Urahn, Generation 2 sind dessen Kinder usw. Die zweite Ziffer bezeichnet die Position in der jeweiligen Ahnentafel; Ziffer 1 ist die Person, deren Ahnen aufgezeigt sind, Ziffer 2 ist der Vater, Ziffer drei die Mutter usw. Dies bedeutet, daß sich die Ziffern jeweils von Vater zu Vater und von Mutter zu Mutter verdoppeln. Die Ziffern in der ältesten Generation lassen erahnen, wie viele Vorfahren man bis dahin hat. Dem, der Interesse hat, diese Kennziffern unmittelbar in Stamm- oder Ahnentafel zu haben, wird empfohlen, die Ziffern handschriftlich zu übertragen.

Dieses System weicht insofern von dem in der Genealogie Üblichen ab, als die weiblichen Personen möglichst gleichen Wert wie die männlichen haben sollen. Folgt die Stammtafel nur den (männlichen) Namensträgern des ersten Urahns, so gilt hier weiblichen Nachkommen möglichst dasselbe. Es handelt sich also um eine sog. Affinitätstafel. Deshalb wurde in dieser Tafel auch auf die Durchnummerierung der männlichen Personen verzichtet. Stattdessen habe ich die Kennzeichnung der Generation in der Stammtafel mit der üblichen Nummerierung der Ahnentafeln gekoppelt. Auch in einer anderen Hinsicht bin ich von dem in der Genealogie Üblichen abgewichen. Auch wenn, genealogisch sauber, in der überlieferten Stammtafel Kob die Familie von Koppenfels als eigener Familienverband ausgegliedert ist, soll sie mit einbezogen werden. Handelt es sich doch auch um Nachkommen des in der Stammtafel aufgeführten Kobschen Urahns.

Als Symbole werden durchgängig verwendet: * für Geburtsdatum, ~ für verheiratet. + für Todestag. Durchgängige Abkürzungen sind: StTKob für die Fassung der Stammtafel Kob, die sich in Flensburg befindet; StTKob2 für die Fassung der Stammtafel, die sich in Preetz befindet; ATKob für die Ahnentafel von 1936; ATBeh für die kurzgefaßte Ahnentafel von Bruno Behrend; ATTol für die kurzgefaßte Ahnentafel von Martha Tolksdorf; FGvK für die Familiengeschichte derer Kobe von Koppenfels von Wolfgang KvK; Q1 für die Familienchronik von Koppenfels von 1800; Q2 die Familienchronik von Koppenfels von ca. 1780; Römer für die Ahnenliste von K. Römer.

Die Frauen sind mit dem Geburtsnamen aufgeführt. Rufnamen sind, wenn bekannt, kursiv gedruckt. Fett gedruckte Namen kennzeichnen die direkten Vorfahren unserer Enkel.

Das Lexikon bezieht sich auf die ersten beiden Bände der „Geschichte der Familien Telschow und Kob”. Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Personenregister beziehen sich auf Band II. Das Personenregister erfaßt nur die wichtigen Erwähnungen der einzelnen Personen und nennt, wenn bekannt, nur den Rufnamen.

 

 

Erster Teil: GESCHICHTE UND GESCHICHTEN DER FAMILIE KOB

I. Vom Land der Ahnen

1.Das Land der Ahnen suchend.

Der Umgang mit der Familiengeschichte ist in den Familien unterschiedlich. Da wird in der einen gesammelt und aufgehoben, bis die Nachkommen es ob der Menge des Erbes nicht mehr durchschauen. Oder es wird einfach erzählt. Erzählt, bis niemand die Geschichten mehr hören will. Aufgeschrieben wird nicht so häufig. Aber Kriege und Feuersbrünste haben immer wieder Gesammeltes vernichtet. Und erzählen ist nicht jedermanns Sache. In meiner Familie wurde viel mit einander geredet, diskutiert und auch von früher erzählt. Letzteres konnte vor allem mein Großvater unermüdlich. Als ich in die Familie Kob kam, fand ich das so nicht vor. Hinterlassenen Notizen von Schwiegervater Martin Kob entnehme ich, daß der Sammler und Erzähler sein Vater gewesen sei. Er selbst habe angesichts des Neuanfangs nach dem Kriege und seiner vielen Verpflichtungen fürs Erzählen keine Zeit gehabt. So wollte er Erinnerungen aufschreiben, kam aber dazu durch seinen frühen Tod nicht mehr.

Da ich nun für meine Kinder und Enkel etwas schreiben wollte, mußte ich bei Telschows und Kobs sammeln. Das war bei den Telschows überschaubar, weil von kleinen Leuten üblicherweise nicht viel erhalten ist. Und bei den Kobs war es noch überschaubarer, weil sie nur wenig über die Zerstörung Königsbergs im August 1944 und die Flucht hinüber retten konnten. Aber immerhin. Ich bedaure, daß das Kobsche Familienarchiv nicht mehr existiert. Aber ich fand auch Quellen, über die Martin Kob sen. nicht verfügt hat. Und manches wäre noch zu finden oder aufzusuchen. Trotzdem ziehe ich jetzt eine Bilanz und hoffe, daß möglichst viele Kobs diese Familiengeschichte lesen. Sie würden damit einen Wunsch erfüllen, den Martin Kob jun. bei der Taufe von Klaus Löhr ausgesprochen hat. Daß die Nachkommenden doch möglichst viel über die alte Heimat der Familie Kob erfahren sollen.

Das erste, das man sich dabei fragt, ist natürlich, was der Namen „Kob” bedeutet. Kob ist eine oberdeutsche Kurzform von Jakob, wie Kobe, Köbi, Köbes oder Köbele. Ostdeutschslavisch ist Kobus bekannt. Jakob kommt aus dem Hebräischen und bedeutet so viel wie „Fersenhalter” seines Zwillingsbruders Esau bei der Geburt (1.Mose 25, Vers 26). Im (christlichen) Mittelalter geht der Name allerdings nicht auf den alttestamentlichen Jakob zurück sondern auf den Apostel Jacobus, dessen Grab in Spanien zum Wallfahrtsort wurde. Die Wallfahrer nach Santiago die Compostella hießen „Jakobsbrüder”. Die Stammtafel verwendet sowohl die Form Kobe wie die Form Kob. Nach Koppenfels war vor der Nobilitierung Johann Sebastian Kobs die Form Kob üblich. Erst im Zusammenhang mit dem Namen Kobe von Koppenfels sei dann auch die Form Kobe für frühere Zeiten aufgekommen. Übrigens gibt es in Afrika eine Kob-Antilope. Dieser Name entstammt aber der Eingeborenensprache und hat nichts mit unserem Kob zu tun.

Sodann führen die Ahnentafel und der Stammbaum nicht nur fünfhundert Jahre zurück, sondern enthalten zu vielen Personen Zusatzinformationen, an die sich anknüpfen ließ. Glücklicher Weise befinden sich in Flensburg auch noch einige Urkunden, Briefe und Notizen. Auch gibt es ja eine gewisse mündliche Überlieferung. So kam eines zum anderen, und ich konnte letztlich doch auf recht viel Material zurückgreifen. Antiquarisch habe ich die Geschichte Hildburghausens von Armin Human aus dem Jahr 1886 mit der Erwähnung einiger Kobs erstanden. Ebenfalls antiquarisch fand ich die „Geschichte der französischreformierten Provinzgemeinden” von Karl Manoury aus dem Jahr 1961; letzteres mit einer sehr ausführlichen Schilderung Groß- und Kleinziethens und der detaillierten Erwähnung der hugenottischen Vorfahren der Kobs. Die zwei seien erwähnt, weil sie außer allgemeinen historischen Informationen Detailinformationen zu vielen Personen enthalten. Natürlich suchten Bärbel und ich gleich nach der Wende auch die in der Nähe erreichbaren Orte in Thüringen, in der Mark Brandenburg und in Berlin auf. Das galt auch für einige Orte in Masuren und für einen Kurzbesuch in Königsberg.

Eine Geschichte besonderer Zufälle sei aber auch noch erzählt. Als Bärbel (Barbara Kob verh. Telschow) und ich in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts in Freiburg i. Br. studierten, engagierten wir uns in der evangelischen Studentengemeinde dort. Hier war Bärbel im Wintersemester 1959/60 zusammen mit einem Studienkollegen von mir, Georg von Koppenfels, Vertrauensstudentin. Georg äußerte bald die Vermutung, daß beide entfernt verwandt sein könnten. In den Weihnachtsferien vergewisserte er sich zu Hause und kam mit der Bestätigung seiner Vermutung nach Freiburg zurück. Bärbel wußte auch von einem Stammbaum ihrer Familie und kam dann zu dem gleichen Ergebnis. Georg entstammte der geadelten Nebenlinie der Kobs. Als ich mich dann viel später mehr mit der Familiengeschichte befaßte, lag es nahe, Informationen über die Koppenfels zu suchen. So erhielt er im Jahre 1989 von Georg eine Ausfertigung der Familiengeschichte der Koppenfels mit vielen Neuigkeiten zu den frühen Kobs zum Kopieren. Georg verband die Übersendung mit dem Bemerken, statt mit der Vergangenheit sollte ich mich besser mit unserer Zukunft befassen. Nun, ich habe immer versucht, beides mit einander zu verbinden.

Bei der folgenden Darstellung konnte somit vor allem zurückgegriffen werden auf: - Die Stammtafel der Familie Kob, aufgestellt von Martin Kob sen. im Juli 1908, kurz vor der Geburt seines ersten Sohnes Martin. Die Stammtafel existiert in zwei Versionen. Die eine (StT) befindet sich bei Trutz Kob in Flensburg und enthält handschriftliche Ergänzungen von Martin Kob jun. Die andere (StT2) befindet sich bei Anna Luise Löhr geb. Kob in Preetz und enthält handschriftliche Ergänzungen von Gisela Kob geb. Behrend (?) und einer anderen Person. - Die Ahnentafel von Martin Kob jun., zusammengestellt ebenfalls von Martin Kob sen. für sein Enkelkind Barbara Kob verh. Telschow an ihrem Tauftage, den 29.III.1936 zum Andenken an ihren Großvater und Paten. Sie befindet sich bei Barbara Telschow geb. Kob in Frankfurt am Main. - Eine Familiengeschichte der Familie von Koppenfels, aufgestellt von Wolfgang von Koppenfels im Jahre 1988. Der Verfasser konnte dabei auf zwei ältere Familienchroniken zurückgreifen, die eine (Q2) kürzere wohl von ca. 1780 und die zweite (Q1) ausführlichere wohl von ca.1800. - Teile eine Familienchronik der Familie Tribukait aus den Händen von Stephan Groppler (Groppler). - Eine Aufstellung der Straßburger Kobs von Hans Gerber, Koblenz. - Eine Liste der Nachfahren des Hans Kob von K. Römer. - Die Erinnerungen von Klaus Löhr

2. Der Herr Dupont

In den fünfziger oder sechziger Jahren sang eine Schlagersängerin von dem „Herrn Dupont in dem Waggon”. Unser David Dupont kam Ende des 17. Jahrhunderts nicht mit dem Eisenbahnwaggon in die Mark Brandenburg, sondern als Hugenottenflücht ­ling aus der Gegend von Mons im heutigen Belgien. Er hatte von dem Toleranzedikt des Großen Kurfürsten Gebrauch gemacht und gehörte zu den Mitbegründern von Groß-Ziethen in der Uckermark. Und er kam ins Museum.

Nicht jeder stößt auf einen Vorfahren im Museum. Der Familie Kob oder meinen Kindern ergeht es so. Im Wissen um ihre hugenottischen Vorfahren besuchten Bärbel und ich 1991 das Hugenottenmuseum im Französischen Dom zu Berlin. Schon der Gendarmenmarkt (wie idyllisch), damals noch Platz der Akademie der Wissenschaf ­ten (wie prosaisch), ließ uns die Augen aufgehen. Das Schauspielhaus und links und rechts die beiden Türme mit der einzigen Funktion, den Platz zu gestalten, im Volksmund deutscher und französischer Dom genannt. Im französischen zu ebener Erde, rund um das runde, hohe Treppenhaus das Hugenottenmuseum. Bilder und Texte, Bücher und Gegenstände, die vom reichen Leben und der Verfolgung der Protestanten in Frankreich ebenso erzählen wie von der Aufnahme in der Mark Brandenburg, dem hugenottischen Beitrag zum Aufbau des preußischen Staates und dem Untergang der Kirchen im Zweiten Weltkrieg. Nicht ganz modern die Ausstel ­lungstechnik; fast wundert man sich, daß nicht alles ein bißchen eingestaubt ist.

Mitten drin wird der ersten hugenottischen Siedlungen in der Mark gedacht. Ein Bei ­spiel ist Groß-Ziethen. Wir sehen Bauzeichnungen und Bilder von der Kirche; an an ­derer Stelle existiert noch ein Kirchenfenster mit den Zehn Geboten in französischer Sprache. Und dann gibt es dort einen Lageplan mit den ersten Gehöften und ihren Eignern in der Gründerzeit. Unter Nr. 15 taucht David Dupont auf, unser Herr Dupont.

Groß-Ziethen hat sich den ländlichen Charakter bewahrt. Zwar hat es mal gebrannt und sind seit damals Ge ­höfte hinzugekommen; zwar wird inzwischen renoviert. Aber es schien 1989 noch ein Dorf, wie es im Westen kaum noch zu finden ist. Doch Einspruch. Als wir am Himmel ­fahrtstag 1990 mit Fritz und Marthel Telschow dort waren, äußerte ich mich so ähnlich. Da fragte Fritz: ,,Fällt dir nichts auf ?” Mir fiel nichts auf, aber ihm. Es fehlten alle jene Laute, die ein Dorf erst zum Dorf machen, das Krähen der Hähne und das Wiehern der Pferde, das Muhen der Kühe und das Blöken der Schafe, sogar das Bellen der Hunde. In einem Land, in dem der Bauer zum Landarbeiter degradiert worden war, natürlich; aber es war eben doch nicht mehr wie früher.

3. Zwei Klöster

Durch die Mark Brandenburg zu streifen, ohne immer wieder auf die Siedlungsge ­schichte dieses Landes gestoßen zu werden, fällt schwer. Lassen wir einmal die immer wieder umstrittenen Fragen der slawischen und germanischen Besiedlung beiseite und schauen wir nur auf das hohe Mittelalter, die Zeit der sogenannten deutschen Ostkolonisation. Da wurde die Mark ja in langsamen Schritten von der Ostgrenze des Deutschen Reiches an der Elbe her besetzt. Offenbar geschah dies teilweise so, daß aus dabei gewachsenen Ortschaften wieder Siedler weiter nach Osten zogen, den Namen des Herkunftsortes mitnahmen und ihn wieder der neuen Siedlung gaben. Auch in der Geschichte unserer Familie und den dabei vor ­kommenden Ortsnamen gibt es dafür Beispiele. Südlich von Berlin gibt es Groß-Ziethen und Klein-Ziethen, ebenso in der Uckermark. Viele an ­dere Beispiele gerade von Ortsnamen aus dem Fläming und der Uckermark kann man beim Studium der Landkarte finden. Für die Besiedlung der Mark haben aber auch die Klöster eine besondere Rolle gespielt. Vor allem der Zisterzienser-Orden mit seinem Wahlspruch ,,ora et labora” hatte eine herausragende Rolle. Zwei Klöster, in deren Umgebung unsere Familiengeschichte spielt, seien deshalb in Erinnerung gerufen.

Die Zisterzienser-Abtei Lehnin war die erste Niederlassung dieses Or ­dens in der Mark. Riesiger Landbesitz und die politische Bedeutung seiner Äbte ließen es in die Geschichte des ausgehenden Mittelalters eingehen. Dann wurde das Kloster immer stärker in Auseinandersetzungen mit dem benachbarten Adel gezo ­gen, verlor dadurch an Gewicht, und wurde schließlich in der Reformationszeit sä ­kularisiert. Es verfiel und wurde erst ab 1870 restauriert. In seinem Roman „Vor dem Sturm” schildert Fontane einen Ausflug mit Gelage in der Klosterruine an ­schaulich. Inzwischen ist dort ein Diakoniewerk beheimatet. Kommt man heute nach Lehnin, sollte der Weg schon zur Kirche im Stil der Backsteingotik führen. Winters wie sommers kontrastieren die warmen Farben des Gesteins mit der kal ­ten, ja eisigen Luft. Vielleicht hat man auch das Glück, dort musikalisch überrascht zu werden und dann die herrliche Akustik genießen zu können. Bei einem Besuch standen Bärbel und ich in der Kirche, als wir plötzlich vielstimmige Flötenmusik hör ­ten. Sie füllte den Raum, obwohl die Musikanten hinter verschlossener Tür in einer Turmstube übten. Wenig später kamen vier junge Frauen mit ihren Flöten in die Kir ­che und übten dort weiter für eine Aufführung am Abend. Sie waren es gewesen und jetzt sozusagen live zu hören. Ganz erfüllt von den barocken Klängen verließen wir das Klostergelände und gaben uns einem anderen Genuß hin. Vor dem Eingang befindet sich eine Bäckerei, aus deren Backstube es nun betörend duftete, vielleicht Butterkuchen oder etwas Ähnliches. Da es nicht Zeit zum Kaffeetrinken war, zog es uns weiter. Im Nachhinein schade. Ein weiteres Mal würde ich der Versuchung nicht widerstehen. Lehnin liegt in der Nähe des Ortes meiner Kindheit, Wilhelmshorst.

Als Tochterkloster Lehnins entstand 1258 Chorin, dessen Klosterkirche als eines der bedeutendsten Bauwerke der Backsteingotik in der Mark gilt. In der Reformati ­onszeit ebenfalls säkularisiert, existierte es lange nur noch als Domänenamt. Chorin liegt in der Nähe von Groß- und Klein-Ziethen, und die hugenottischen Vorfahren der Kobs waren hier wohl zuerst untergebracht. Ob sie noch etwas mitbekommen haben von dieser alten Geschichte? Ob sie es überhaupt woll ­ten, die streng Reformierten? Auch heute noch imponiert die Ruine, sitzt man wohl gerne andächtig zu Konzerten im baulich gesicherten ehemaligen Kirchenschiff. Nur die Klosterschänke lädt nicht durch gute Düfte zur Einkehr ein. Da scheint eher Massenabfertigung angesagt, wie es bis heute auch in fast allen Wall ­fahrtsklöstern der Fall ist.

Ehemalige Klöster, vergangene Zeit. Nur noch Ziele für Kulturtouristen ? Nicht ganz. Das ehemalige Klo ­ster Lehnin als Einrichtung der Diakonie, die Kirchenruine Chorin mit ihren Konzer ­ten, sie dienen immer noch den Menschen, je auf ihre eigene Art.

 

4. Unsere Gräber

Theodor Fontanes Gedicht „Meine Gräber” beginnt mit den Zeilen:

Kein Erbbegräbnis mich stolz erfreut, Meine Gräber liegen weit zerstreut, Weit zerstreut über Stadt und Land, Überall in märkischem Sand. Und es endet mit der Zeile: „Der Wind, der Wind geht drüber hin.”

Uns geht es nicht wie Theodor Fontane, der mit der Beschreibung dreier Gräber und ihrer Umgebung die ganze Mark Brandenburg vorstellt. Die alten Gräber der Familie Kob, mit denen so etwas zu machen wäre, bestehen nicht mehr. Sie lagen zwar auch in der Uckermark, aber vor allem in Ostpreußen und in Thüringen, in Königsberg auf dem Löbenichtschen Friedhof vor dem Königstor. Aber doch!

Mitten in der Stadt Berlin, in Kreuzberg gibt es den Zwölf-Apostel-Friedhof. Prominenten-Friedhof der Jahrhundertwende. Da findet man heute noch das Erbbegräbnis der von Bülows oder einen Findling mit dem Namen Delhaes. Dr. Delhaes war der Hausarzt von Theodor Fontane. Am 5. Mai 1892, zwei Jahre nach der Eröffnung des Friedho ­fes, wurde hier der aus Masuren stammende Landgerichtsdirektor Konrad Kob bei ­gesetzt. Seine Frau zog anschließend zur Verwandtschaft nach Königsberg. So wurden aus den ,,Masuren-Kobs” die ,,Königsberger Kobs". Die Familienunterlagen weisen dieses Grab aus. Niemand in der Familie aber hatte es mehr gewußt. Im Ja ­nuar 1991 waren Bärbel und ich in Berlin. Wir wollten einfach mal über diesen Friedhof gehen. Es ist ein evangelischer Friedhof, das Büro war besetzt. Wir gingen hinein und fragten einfach, ob es noch irgendwelche Hinweise auf Konrad Kob gäbe. Die freund ­liche Frau holte ein dickes Konvolut. Es war das erste Friedhofsbuch, in dem wir nach kurzem Blättern auf die den Urgroßvater betreffende Eintragung stießen. Und dann erfuhren wir, daß das Grab erst im Jahre 1978 neu belegt worden war. Wir waren be ­troffen. Die Gräber der Familie Kob sind mit der Heimat untergegangen. Hier hätte man eines erhalten können, wenn man von ihm gewußt hätte. So sahen wir zwar noch, daß es damals kaum anders als heute ausgesehen haben mag, mit seiner Heckeneinfassung. Aber vergangen ist vergangen. Beim Wegfahren wurde uns be ­wußt, was sich sonst noch alles verändert hat. Ist doch aus der einstmals ersten Adresse am Kreuzberg heute der Problembezirk Berlins geworden.

5. Hildburghausen

Über zweihundertundfünfzig Jahre waren Hildburghausen und seine Umgebung die Heimat der Familie Kob. An den südlichen Ausläufern des Thüringer Waldes und am rechten Ufer der oberen Werra gelegen, ist es das Zentrum eines thüringischen Landzipfels, der an Franken und Hessen grenzt. 1234 wurde es erstmals als Hilteburgehusin genannt. Seine Entwicklung verdankte es der günstigen Lage an einem alten Werraübergang und einer alten Straße. So hatten ihm die Grafen von Henneberg nach und nach Rechte und Privilegien verliehen. Wie anderwärts auch, stand an der Spitze der Stadt zunächst der Schultheiß als Vertreter der Landesherrschaft, noch 1389 bezeugt. Seit 1314 ist der Rat urkundlich nachgewiesen, dessen zwölf Mitglieder zugleich Schöffen, später unter dem landesherrlichen Zentgrafen, waren. In Urkunden über verschiedene Rechte wurden diese dem Rat und der Gemeinde (consules et universitas) der Stadt verliehen. 1496 gab sich die Stadt eine ausführliche Stadtordnung. Die Landesherrschaft wechselte verschiedentlich. So fiel Hildburghausen z.B. an Coburg, Altenburg und Gotha. 1680 wurde es Residenz des selbständigen Herzogtums Hildburghausen mit den Ämtern Hildburghausen, Heldburg, Eisfeld, Veilsdorf und später Königsberg, Sonnefeld und Behrungen. Die Hofhaltung war teuer, so daß die Finanzen des Herzogtums Mitte des 18. Jahrhunderts so zerrüttet waren, daß 1769 eine kaiserliche Debitkommission eingesetzt wurde. 1826 wurde die Linie Hildburghausen der Herzöge von Sachsen nach Altenburg verpflanzt.

Zur Einwohnerzahl von Hildburghausen habe ich kaum brauchbare Hinweise finden können. Im Jahre 1412 gab es innerhalb der Stadtmauern und vor ihnen 178 mit Namen versehene Herdstätten und 69 Hausgenossen, also 247 erwachsene Männer. Nimmt man an, daß zu jedem dieser Männer Hausfrau und zwei Kinder gehörten, dann beliefe sich die Einwohnerzahl von Hildburghausen damals auf ca. 750 Einwohner. Um 1550 lebten hier ca.2000 Menschen. Im Jahre 1833 hatte Hildburghausen 4.269 Einwohner. Zwischen diesen Zahlen, und vermutlich wegen der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung in der unteren Hälfte, bewegen sich die Einwohnerzahlen in den Jahrhunderten, als die Kobs dort lebten. Übrigens verdanken Bayern und die Welt eigentlich Hildburghausen das Oktoberfest. Im Oktober 1810 heiratete nämlich Bayernkönig Ludwig I. Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen. Vor dem Sendlinger Tor richtete er auf einer großen Wiese für das Volk ein Fest aus. Das gefiel den Münchnern so gut, daß sie dort künftig alljährlich ein Fest feierten, das Oktoberfest, und die Wiese zur Erinnerung an 1810 Theresienwiese nannten.

6. Das alte Ostpreußen

Die Namen von Preußen und Ostpreußen leiten sich von den früheren Bewohnern dieser Gegend, den Prußen, Prussen oder Pruzzen, her. Das Land war umstritten und umkämpft von den Nachbarn Deutschland, Polen und Litauen. Die moderne Sicht auf dieses Land ist geprägt durch eine, sich im 19. Jahrhundert entwickelnde, nationalistische Betrachtungsweise in diesen Ländern, die in Deutschland zunehmend auch rassistische Züge bekam. Ist einem dies bewußt und blickt man auf neuere historische Forschungsergebnisse, dann erhält der Blick auf Ostpreußen neue Elemente gegenüber dem Bild, das uns früher vermittelt wurde.

Die Prußen haben das Land wohl um 3000 v. Chr., aus dem Osten kommend, besiedelt. Von der früheren Einwohnerschaft, die sich wohl nach der letzten Eiszeit angesiedelt hatte, wissen wir fast nichts. Die Prußen nun gehörten mit den Kuren, Letten, Litauern und Semgallen zu der baltischen Völkerfamilie. Die Balten wiederum bilden mit den Slawen, den Germanen, den Romanen und den Indern die indoeuropäische Völkerfamilie. Die Slawen besiedelten später (vielleicht nach 2000 v. Chr.) von der Ukraine aus das Land südlich der Balten. Die Ostgermanen, aus Skandinavien kommend, setzten sich westlich der Prußen in der Weichselniederung fest. Im 5. Jahrhundert n. Chr. zogen die Ostgermanen, z. B. die Goten, nach Süden und dann nach Südwesten. Einige Stämme der Langobarden erreichten sogar Spanien. Die Slawen rückten nach und siedelten um 800 sogar westlich einer Linie Elbe, Saale und Regen. Ab 900 expandierte dann das Deutsche Reich von Niedersachsen und Thüringen aus nach Osten

Um 1000 waren nicht nur Deutschland sondern auch Polen und Litauen christianisiert. Nur die Balten blieben ihren alten Religionen treu. So setzten Missionierungsversuche ein, allerdings mit geringem Erfolg. Einer der ersten Märtyrer war der Prager Bischof Adalbert, der 997 im Land der Prußen den Märtyrertod starb. Er wurde polnischer Nationalheiliger. Später gab es nach Art der Kreuzzüge ins Heilige Land immer wieder Missionszüge ins Prußenland. Im Winter, weil man sich nur dann im sumpfigen Land bewegen konnte; mit dem Versprechen, den Teilnehmern würden ihre Sünden vergeben (Ablaß) wie bei den Kreuzzügen; geradezu als gesellschaftliches Ereignis des deutschen Adels. Obwohl mit Feuer und Schwert missioniert wurde, erbrachte das wenig. So rief 1226 schließlich Herzog Konrad von Masowien, einer polnischen Region südlich vom späteren Masuren, den Deutschen Orden zur Hilfe. Dieser Orden war im Zuge der Kreuzzüge als eine Gemeinschaft deutscher Ritter gegründet worden, hatte schnell Macht, Ansehen und Vermögen in Palästina gewonnen und war nach der endgültigen Niederlage in den Kreuzzügen heimatlos geworden. Der Versuch, in Ungarn Fuß zu fassen, war mißlungen. Der Ruf aus Masowien gab ihm nun die Möglichkeit, sich in Europa ein eigenes Territorium zu schaffen. Dabei half Kaiser Friedrich II., der dem Orden alle Eroberungen in Preußen zusprach und ihn in den Stand eines Reichsfürsten erhob. Im Prußenland missionierte, kolonisierte und expandierte der Orden, so daß er mit seiner straffen Organisation bald eine neue politische Kraft wurde. Knapp zweihundert Jahre später fühlten sich die Nachbarn beengt und bedroht. Polen und Litauer bildeten eine Allianz, die sich der finanziellen Unterstützung durch die Hansestädte erfreuen konnte. Es begannen kriegerische Auseinandersetzungen, die 1410 zur vernichtenden Niederlage des Ordens bei Tannenberg führten. Genauer gesagt, fand dieser Kampf zwischen den Dörfern Tannenberg und Grünfelde, polnisch Stebark und Grunwald, statt. Später wurde daraus für die Deutschen die Schlacht von Tannenberg und für die Polen die von Grunwald. Angesichts der Tatsache, daß im 19. Jh. die preußische wie die polnische Historiographie daraus eine nationale Auseinandersetzung machten, sei erwähnt, daß auf litauischer Seite Russen und Tataren kämpften und auf polnischer Seite Böhmen, Mährer und Moldauer. Ebenfalls im 19. Jh. Zeit wurde für Polen und Litauer das Ordenskreuz das Symbol für den deutschen Eroberungsdrang, dessen Opfer immer wieder Polen wurde. Für die Deutschen dagegen wurde es zum Symbol einstiger Glorie und deutscher Kulturträgerschaft im Kampf mit dem Slawentum. Tannenberg war der Beginn des Niedergangs der Ordensherrlichkeit. Der Schlußpunkt war in gewisser Weise der Frieden von Thorn im Jahre 1466, mit dem der Orden wesentliche Gebiete abtreten und der Hochmeister die Oberhoheit des Königs von Polen anerkennen mußte. Wenn auch der Orden an Macht verlor, die Urbarmachung des Landes und die Städtegründungen prägten nunmehr das Land und erinnerten an ihn. Aber auch die von ihm geschaffene Sozialstruktur. In der Aufbauphase hatte der Orden Große und Kleine Freie, also Personen, die ihm Reiter zur Landesverteidigung gestellt hatten, mit Land entschä-digt. Und in den Kämpfen mit den Nachbarn war er auf Söldnertruppen angewiesen. Ihre Anführer wurden ebenfalls mit Land entgolten. So finden wir von der späten Ordenszeit bis ins 20. Jahrhundert ein agrarisch geprägtes und von verhältnismäßig wenig Grundbesitzern dominiertes Land.

Im Jahre 1511 wurde der einundzwanzigjährige Albrecht von Brandenburg, ein Hohenzoller, Hochmeister. In völliger Verkennung der Machtverhältnisse versuchte er, auf kriegerische Weise den Thorner Frieden zu korrigieren, aber ohne Erfolg. Der Orden geriet in eine entscheidende Existenzkrise, Albrecht zog sich in seine fränkische Heimat zurück. Hier kam er in Kontakt mit der Reformation und auch mit Luther persönlich. Er bat Luther um Anregungen zur Neuordnung des Ordens. Luther antwortete mit einer Schrift an die Ordensbrüder. In einem Gespräch in Wittenberg empfahlen Luther und Melanchthon die Umwandlung des Ordenstaates in einen weltlichen Staat und die Einführung der Reformation. Albrecht folgte dem Rat. Da er diesen „Staatsstreich” mit dem Lehnseid gegenüber dem polnischen König (den seine Vorgänger und er seit 1466 verweigert hatten) verband, erhielt er die Unterstützung Polens. Im Reich gab es keine Einwendungen, so daß das Ordensland Preußen nunmehr ein weltlicher Staat mit protestantischer Ausrichtung war. Albrecht regierte noch bis 1568 und erwies sich als kluger und toleranter Herrscher, der sein Land in jeder Hinsicht förderte. Da es immer wieder Probleme mit der Erbfolge gab, fiel das Herzogtum (seit 1578) Preußen schließlich an Brandenburg. Die polnische Lehnshoheit streifte Preußen übrigens erst 1656 ab, als Kurfürst Friedrich Wilhelm die Lehnsfreiheit für seine Unterstützung Polens im schwedischpolnischen Krieg erhielt. Bald nach der Reformation wurden in Preußen Archidiakone und Erzpriester berufen, die den beiden Bischöfen bei den Visitationen helfen sollten, die Archidiakone mehr in Vermögensfragen.

Da nach der Krönung des Brandenburger Kurfürsten zum König im Jahre 1701 nunmehr der Gesamtstaat Preußen genannt wurde, bürgerte sich für das alte Preußen die Bezeichnung Ostpreußen ein. Als Preußens ärmste Provinz hinkte Ostpreußen in der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung hinter dem übrigen Deutschland hinterher, auch wenn man das für Königsberg nicht unbedingt sagen kann. Zudem erlitt es immer wieder schwere Schäden in Kriegen, so daß es auf die Zuwanderung von Siedlern wie etwa die Salzburger angewiesen war. Auch der erste Kob, der in Ostpreußen landete, ist vermutlich im Zusammenhang mit dem sog. Siebenjährigen Krieg (1756 - 1763) in Ostpreußen gelandet. Übrigens blieb Ostpreußens Verwaltungsstruktur bis 1752 so, wie sie 1525 geschaffen war. Es gab also drei Verwaltungskreise: den Samländischen, den Natangischen und den Oberländischen. Die Kreise waren in Ämter gegliedert, bei denen man die „deutschen”, die „litauischen” und die „polnischen” unterschied. Ein polnisches Amt war z. B. auch Lyck, die Heimat der Kobs. Die Kreisbezeichnungen knüpften an die alten Landschaftsbezeichnungen an: Samland im Norden, Natangen im Südosten und Oberland im Südwesten an. Die Amtsbezeichnungen machen deutlich, welche Sprache die Bevölkerung im jeweiligen Amt sprach: deutsch, litauisch oder polnisch. Und hieran hatte sich bis Anfang des 20. Jahrhunderts nicht viel geändert. In Masuren wurde ganz überwiegend polnisch gesprochen. Erst der 1. Weltkrieg und die Zeit danach veränderte einiges, aber nicht alles. Und dies trotz intensiver Bemühungen, der Bevölkerung die deutsche Sprache zu vermitteln.

7. Masuren

Masuren ist das südliche Ostpreußen, südlich einer Linie von Kowahlen über Lötzen bis Osterode. Auch heute noch erinnert bei Prostken ein Gedenkstein an die Festlegung der südlichen Grenze mit Polen im Jahre 1445. Es war im 14. Jahrhundert von Süden her aus Masowien, den polnischen Gebieten südlich von Preußen, besiedelt worden. Auf diese masowischen Siedler geht der Namen Masuren zurück. Masuren, das unbekannte und unbeachtete Land, galt in der deutschen Öffentlichkeit als rückständig, arm und kulturelle Wüste. Man witzelte: „Wo sich aufhört die Kultur, beginnt zu leben der Masur.” Es war und ist im Deutschen „das Masuren” und nicht „die Masuren”, wie mancher heute in wörtlicher Übersetzung aus dem Polnischen meint sagen zu müssen. Masuren ist geprägt vom rauen Kontinentalklima mit einstmals 56 Frosttagen im Jahr und überwiegend magerem Boden. Die besseren Böden waren Gutsland, die schlechteren Bauernland.

Um 1870 entbrannte ein heftiger Streit über die ethnische Zugehörigkeit Masurens. Deutsche Wissenschaftler behaupteten, es habe vor der polnischen Zuwanderung dort eine deutsche Bevölkerung gegeben. Man neigte zur Überbewertung die Kolonisationstätigkeit des Ordens. Die Polen dagegen behaupteten, Masuren sei uraltes polnisches Siedlungsgebiet. In Presse und Schrifttum wurde der polnische Anspruch auf Masuren zu begründen versucht. Eine der führenden Persönlichkeiten, die beteiligt waren, war übrigens der Generalsuperintendent der evangelischlutherischen Kirche in Polen, Julius Bursche. Er hoffte, bei einer Annexion Polens mit den evangelischen Masuren die katholischen Polen missionieren zu können. Bursche spielte dann auch eine zentrale Rolle bei den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen um die deutschsprachigen Kirchen im Polen der Zwischenkriegszeit, kam 1939 ins Konzentrationslager Sachsenhausen und wurde 1942 in Berlin-Moabit ermordet. Aber man muß wohl auch Abschied nehmen von der Vorstellung, die mittelalterliche Ostkolonisation sei eine deutsche Sache gewesen. Vielmehr zogen Siedler aus vielen Teilen Europas gen Osten und so auch Polen nach Masuren. Ging es doch um die Besiedlung einer großen Wildnis, die nicht besonders attraktiv war.

Polen und die polnische Sprache waren aus Masuren nicht wegzudenken. Davon zeugten z.B. die „polnische Straße” in Willenberg, das „polnische Tor” in Lyck, die „polnische Kirche” in Osterrode und die „polnische Vorstadt” in Ortelsburg. Aber es waren vor allem die Dörfer, in denen polnisch gesprochen. In den Städten entwickelte sich eine deutsche Bevölkerung, mit einer Mehrheit aber erst ab etwa 1800. Dabei nahm man offenbar die sprachlichen Unter-schiede nicht besonders schwer. Um 1796 z. B. gab es in Arys Streit über die Schulsprache. Dabei ging es aber nicht um deutsch oder polnisch sondern um masurischen Dialekt oder polnische Hochsprache. Polnische Sprache, preußischer Patriotismus und evangelische Konfession gehörten in Masuren zusammen, eine Mischung, die aus vornationaler Zeit stammte. Seit 1525 war Preußen evangelisch, und insbesondere war es die masurische Pfarrerschaft, die sich um die Übertragung reformatorischer Schriften ins Polnische bemühte. Spätes Zeugnis des Bemühens um die polnischsprachige Bevölkerung ist das Kirchenlied „Das Feld ist weiß” des Kallinower Pfarrer Bernhard Rostock (Rostkowski), ein masurisches Erntedanklied, das noch 1994 im revidierten evangelischen Gesangbuch der Evangelischen Kirche in Deutschland zu finden ist.

In Masuren fand 1410 die Tannenbergschlacht statt. Hier zogen die Kriege hinüber und auch in den beiden Weltkriegen wurde hier gekämpft. 1656 kämpften die verbündeten Schweden und Brandenburger bei Prostken gegen die Polen und verloren. Plünderungen und Brandschatzungen waren die Folge. Auf polnischer Seite waren Tataren dabei, sodaß man später vom Tatareneinfall sprach. Bei Gortzitzen gab es bis 1945 eine Flurbezeichnung „Tataren-Schanze”. Bei Lyck gab es den Tatarensee mit einer Anhöhe „Tatarenberg”. Hier hatten sich die Einwohner versteckt und waren dann am See ermordet worden. Im Kirchspiel Eckertsberg brannten alle Dörfer, 55 Gemeindeglieder wurden versklavt. Das Kirchspiel Kallinowen hatte 800 Opfer zu beklagen. Alles Orte, die mit der Geschichte der Kobs verbunden sind.

Masuren blieb ein ländlich geprägter Raum. Die Städte lagen meist an den Handelswegen, die Preußen und Polen verbanden. So erhielt Arys etwa von Friedrich Wilhelm I. das Stadtrecht. Für unser Verständnis waren sie recht klein: Sensburg zählte 1910 6 100 Einwohner, Marggrabowa 5400. Lediglich Lyck hob sich mit 13 400 davon ab. Doch auch es war im Vergleich zum Reich ein bescheidenes Städtchen, und der polnische Bevölkerungsanteil betrug nach der korrigierten preußischen Volkszählung von 1905 immerhin 57,8 %, bei der Schulkinderzählung von 1911 gar 79 %.

So wundert es nicht, daß die wilhelminische Politik versuchte, die polnische Sprache zurück zudrängen. Schon in den siebziger Jahren begann man, slawische Ortsnamen in deutsche umzuwandeln. 1873 regelte ein Erlaß des ostpreußischen Oberpräsidenten von Horn, daß die polnische Sprache aus dem öffentlichen Leben zu verschwinden habe. Von einem Tag auf den anderen sollten die Kinder dem Unterricht in der ihnen kaum bekannten deutschen Sprache folgen. Mit der Gründung des Deutschen Ostmarkenvereins verschärfte sich der nationalistische Ton noch. Als seit 1890 polnische Gutsbesitzer sich in Masuren anzusiedeln begannen, befürchtete man eine Unterwanderung Ostpreußens. Das Oberpräsidium schuf deshalb 1901 einen „Dispositionsfonds zur Förderung und Befestigung des Deutschtums”. Letztlich hatte das aber nur begrenzten Erfolg. Bis 1945 sprach ein richtiger Masure neben deutsch auch zumindest etwas polnisch. Übrigens ein Umstand, der es manchem Masuren sehr erleichterte, nach 1945 in Kontakt mit dem neuen Besitzer seines Hofes zu kommen, wie ich aus dem Freundeskreis meines Vaters weiß.

8. Königsberg i. Pr.

Königsberg war einmal. Heute ist es Kaliningrad. Zunehmend mehr Kaliningrader wollen aber die Geschichte Königsbergs kennen und auch ein Stück eigener Identität aus ihr gewinnen. Wie weit die „Russifizierung” Königsbergs aber auch heute noch geht, mag an zwei Beispielen deutlich werden. Im Jahre 2005 feierte man 750 Jahre Königsberg. Aus diesem Anlaß aber gab der Kreml eine Sondermünze „750 Jahre Kaliningrad” heraus. Und die Feierlichkeiten mußten am 4. Juli 2005 stattfinden, dem Jahrestag der Umbenennung der Stadt im Jahre 1946. Um so wichtiger ist es, die Vergangenheit in Erinnerung zu behalten.

Im Jahre 1226 ins Land gerufen, begann der Deutsche Orden ab 1230 mit einer ganzen Reihe von Städtegründungen und der Errichtung von Burgen. So legte er 1255 auch auf einer Anhöhe über dem Fluß Pregel eine Burg an, die in Erinnerung an den Kreuzzugsführer König Ottokar II. von Böhmen „Königsberg” genannt wurde. Um die Burg herum entstanden in der Folgezeit selbständige städtische Siedlungen mit den Namen Altstadt (1286), Löbenicht (1300) und Kneiphof (1327), die 1724 zur Haupt- und Residenzstadt Königsberg vereinigt wurden.

Nach der Durchsetzung der Reformation durch Herzog Albrecht von Preußen, gründete dieser 1544 die lutherische Albertus-Universität, die Albertina. Mit ihrem Sitz auf der Kneiphofinsel in der Nähe von Schloß und Dom war sie ein Symbol für die landesherrlichen und kirchenpolitischen Ansprüche Albrechts. In der Folgezeit wirkte sie weit über die Landesgrenzen hinaus nach Polen und ins Baltikum. Auch diente sie der muttersprachlichen Versorgung Ostpreußens. Albrecht stiftete selbst 24 Stipendien für Theologen an der Königsberger Universität, die je sieben polnisch- und litauischsprachigen Studenten gewidmet waren. Königsberg wurde auch ein Zentrum des Buchdrucks für reformatorische Schriften in anderer als deutscher Sprache. Schon 1533 wurde hier der polnische Kleine Katechismus Martin Luthers gedruckt. Die Lycker Pfarrer Maletius (Vater und Sohn) übersetzten viele Schriften ins Polnische. Auch ein Teil ihrer Arbeiten wurde in Königsberg gedruckt. Das erste in litauischer Sprache gedruckte Buch erschien 1547 in Königsberg. Ihm folgten viele litauische Bücher, die von Königsberg aus, oft auf geheimen Wegen, den Weg nach Litauen fanden. Es bildete sich ein evangelisches litauisches Schrifttum. Doch auch die schönen Künste fanden in Königsberg eine Heimat. Um 1640 herum bildete sich um Simon Dach der sogenannte Königsberger Dichterkreis. Simon Dach wurde bekannt durch ein Gedicht, das er aus Anlaß der Hochzeit eines Freundes mit einem Ännchen aus Tharau dichtete. In der Textversion von Gottfried Herder und mit der Melodie von Friedrich Silcher ist es uns bis heute als „Ännchen von Tharau” bekannt. An andere Mitglieder des Kreises erinnern Kirchenlieder, die bis heute gesungen werden: „Mit Ernst o Menschen Kinder, das Herz in euch be-stellt” ( Rhetorikprofessor Valentin Thilo), „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit” und „Such, wer da will, ein ander Ziel, die Seligkeit zu finden” (Pfarrer Georg Weißel, Altroßgärter Kirche).

Im Jahre 1701 fand dann in Königsberg die Krönung des Brandenburger Kurfürsten zu Friedrich I. König in Preußen statt. Königsberg wurde Residenzstadt und blieb bis 1861 Krönungsstadt der preußischen Könige. Denn Könige waren sie nur in Preußen und nicht im Reich, da blieben sie Kurfürsten. Könige von Preußen wurden sie erst nach 1806, als das alte Deutsche Reich aufgelöst war. Im 18. Jahrhundert wurde Königsberg dann, wenn man so sagen darf, aus einem geistlichen zu einem geistesgeschichtlichen Zentrum. Hier lehrte Immanuel Kant, der große Philosoph, und legte mit anderen die Grundlagen eines Preußentums, das auf Toleranz und Vernunft gegründet war. Von hier kamen Johann Gottfried Herder, der Theologe und Philosoph, der dann in Weimar landete; Johann Georg Hamann, der „Magus” des Nordens; Johann Christoph Gottsched, der „Literaturpapst” und viele andere. Schon aus den bisherigen Ausführungen wurde deutlich, daß Königsberg sich in vielerlei Hinsicht deutlich vom übrigen Ostpreußen unterschied. Galt dort Rückständigkeit so hier pulsierendes Leben mit kultureller Blüte. In der Nachfolge Kants entwickelte sich in Königsberg eine Gesellschaft von gebildeten und aufgeklärten Adligen, Beamten, Professoren und Kaufleuten. Die Königsberger Liberalität unterschied sich vom nationalistischen Konservativismus des übrigen Landes. So ist es auch verständlich, daß es in Königsberg drei Freimaurerlogen gab, die sich in diesem Klima entwickelten, es aber auch mit prägten. Es wundert auch nicht, daß sich in Königsberg 1848 viele Anhänger der Revolution fanden, im Gegensatz zum konservativen Masuren, aber gemeinsam mit dem litauisch beeinflußten Teil Ostpreußens. Und als die Polenfrage in der Deutschen Nationalversammlung diskutiert wurde, planten Königsberger bereits die Befreiung Polens von russischer Herrschaft. Da war Königsberg auch schon Großstadt. Im Jahre 1849 zählte man 75 000 Einwohner, 1871 schon 112 000, 1910 245 000. Königsberg war Verwaltungssitz und Universitätsstadt, Einkaufszentrum und Vergnügungszentrum, Handelsplatz und Ort der Presse; und dies alles für ein weites Einzugsgebiet.

Hierzu gehörten natürlich auch kulinarische Delikatessen. Königsberg war eine Stadt der Konditoren. Vor allem solche, die aus der Schweiz gekommen waren und auch italienische Namen trugen, wie z. B. Pomatti, der 1809 die erste Marzipanfabrik eröffnete, entwickelten das Königsberger Marzipan, heute noch von Schwermer und Gehlhaar vertrieben. Im Königsberger Studentenlokal „Borchert und Reichert” las man an der Wand ein Liebesgedicht auf den Königsberger Fleck. Eine Strophe gibt auch Einblick in die weitere Königsberger Küche:

Beetenbartsch, Kartoffelkeilchen Schöpsenplautz und saure Stint, Gäns ´gekrös, gestowde Bruuken, Alles Leibgerichte sind. Aber ist dir mal so labbrich Und das Essen schmeckt so wabblich, Geb ´ich dir den Rat: ”Dann schmäck Bloß mal Kenigsberger Fläck!”

Die Zerstörung Königsbergs begann im August 1944. Am 26./27.8.1944 und 29./30.8.1944 warfen britische Bomber gekoppelte Phosphor- und Sprengbomben, beim 2. Angriff auch neue Brandstrahlbomben. Zuerst wurde Maraunenhof und dann die Innenstadt zu nahezu 100% zerstört. 4200 Tote wurden beklagt, 200 000 Menschen wurden obdachlos.

II. Vierhundert Jahre Kobs in Thüringen, Franken und Ostpreußen

1. Der erste Kob in Thüringen: Hans Kob

Von diesem ältesten Kob wissen wir aus der Stammtafel nur, daß er noch im 15. Jahrhundert geboren und in Haina eine Walpurg geheiratet hat. Beide hatten einen Sohn Stephan. Der urkundliche Nachweis, dem wir diese Kenntnis verdanken, lautet so: „et uxor Walpurg sind zu Hayna copuliert, laut eines Taufzeugnisses welches sein Sohn Stephan de 1506 produziert. Da kein älteres Kobe allhier angetroffen werden, mag sein Sohn der Stammvater des gantzen Geschlechts allhier sein”.

Haina ist ein kleiner Ort in der Nähe des Städtchens Römhild, das westlich von Hildburghausen liegt und eine reiche Geschichte hat, blickt aber selbst auch auf eine lange Vergangenheit zurück. In den Urkunden findet man die Schreibweise Hayn oder Hayna. Haina wird 839 erstmals erwähnt als Hagenowa, was soviel wie Hain in der Aue bedeutet. Es gehört zu den ältesten Orten des Landes. Im Mittelalter war es Marktflecken, dessen Maße bis ins 19. Jahrhundert in der Umgebung galten. Im Laufe der Jahrhunderte wechselten die Herrschaften immer wieder. Lebensgrundlage war immer die Landwirtschaft in der Form von mittleren und großen Betrieben, auch Gütern.

1/49152 Hans oder Johann Kob <<< 1/49153 Walpurg

2. Die Lebensverhältnisse

Wie einfach die Lebensverhältnisse damals waren, wird aus der folgenden Erwähnung deutlich: „.. 1539, da als ganzes bürgerliches Hausgerät genannt wird „federbeth, kussen, pfull, span-beth, mentel, truhen, handquel, maßkandel, kertten kandel, viertels kandel.” Umfangreicher war es dann 1637 schon allein in der Küche: Dreifuß, Röste, Messingkessel, irdene, eiserne, kupferne Töpfe, Bratspieß, große Schüsseln, woraus gemeinschaftlich gespeist wurde, Bratofen mit eisernem Ring, Zinnwerk. 1746 war die Wohnstube vielfach zugleich Werkstätte und in jedem Bürgerhaus das nötigste Handwerkszeug, am Kachelofen der große Sorgenstuhl und das Faulbettlein, in der Küche Anrichtetisch und Mehlkasten, in der Speisekammer Bänke mit Fleischhacken, Vorstellfenster aus weißem Papier auf Holzrahmen gespannt........” (Human S. 616).

3. Bürger in Hildburghausen: Stephan Kob

Der Sohn Stephan von Hans und Walpurg Kob wurde am 3. Februar 1506 zu Haina geboren er ging offenbar nach Hildburghausen, erwarb dort das Bürgerrecht und war Kastenmeister an St. Lorenz.

Auch hier sei aus alter Quelle zitiert: „Zu Hayna geboren 1506 erzogen laut copia eines Geburts Scheines de 1506, Dienstag post Lichtmeß. Er war damals zu Hhausen als Bürger wohnhaft. Herr Peter Ein... Vicarii bei S.Lorenz allhier der ein reich Almosen stiftete, so 1477 seinen Anfang nahm, Vetter. Er und andere Verwandte diese Vicarii erlangten dass diese Stiftung 1526 von der Obrigkeit confirmirt ward. Vide Kraus T.II.p.112. Er war Kastenmeister de 1539-40. Machte 1550 eine Stiftung zu einer Almosenschüßel, den Zins von 50 fl auf S. Viti Tag. Krausz T.II. p.168. Er war ein Schwager des Testatoris des Ebenretterl Stipendiums genannt und war Mitvormund zweier Halbbrüder deßelben. Die Schwagerschaft rührt ohne Zweifel von der Heirat seines Sohnes Hans Kob mit Baltzar Bötzingers Tochter Her” (FGvK, Q1).

Koppenfels bezieht sich auch auf den Geburtsbrief. Er hat berechnet, daß der Dienstag nach Lichtmeß im Jahre 1506 der 3. Februar 1506 war, und zitiert, daß Stephan von Hayn nach Hildburghausen gezogen sowie vier Söhne (Hans, Lorenz, Stephan/Valtin?, Oswald) gezeugt habe. Auch sei er Tuchmacher gewesen. Der Vikar Peter ... könnte Peter Biertumpfel sein, der 1469 erwähnt ist (Human S. 394).

St. Lorenz war die Hauptkirche von Hildburghausen. Sie brannte am 19. August 1779 im großen Brand ab und wurde danach sofort wieder aufgebaut. Heute steht dort die Christuskirche. Der Kastenmeister war der Kirchenrechner oder Kirchmeister. Vicarii, also Vikarier, waren Geistliche, die neben dem Messpriester oder dem Frühmesser einzelnen Altären zugeordnet waren und an dem jeweiligen Altar bestimmte Messen zu lesen hatten

Die Almosenschüssel war eine Stiftung bei St. Niclas für die Armen, auch „Zwölfpotenkerzen” oder „Schüssel” genannt. Die Portion einer Schüssel war 1491 „ein Brod um 3 pf., Fleisch um 5 pf., Erbeis oder ander Zugemüß um 3 pf. Stephan Kob stiftete hierzu 50 fl. (Human S. 434). St. Niclas war eine kleine Kapelle beim Siechenhaus. Zu ihr führte von der Werrabrücke aus ein steinerner Steg, an dessen Anfang eine Martersäule stand. Die Kapelle ist um 1700 eingegangen. „Erbeis” kommt möglicherweise von ärweiz, mittelhochdeutsch für Erbse.

2/24576 Stephan Kob * 1506

4. Bürgerrecht in Hildburghausen

Bürger einer Stadt zu sein, bedeutete etwas. Seit dem Mittelalter galt der Grundsatz „Stadtluft macht frei”. Im alten Deutschen Reich bis 1803 ergaben sich Rechtsbeziehungen im staatlichen Bereich zunächst weniger aus der Herrschaft über ein Territorium als aus der Zugehörigkeit zu einem Personenverband. Deshalb war es in der mittelalterlichen Stadt und auch noch später wichtig, nicht einfach zuzuziehen, sondern die Mitgliedschaft im Bürgerverband zu erwerben und somit nicht nur geduldet zu sein, sondern auch Rechte zu haben. Das Bürgerrecht war nicht einfach zu erhalten. Der Erwerb setzte eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit voraus, die meist durch Grundvermögen, einen Handels- oder Handwerksbetrieb und sonstiges Vermögen nachgewiesen werden mußte. Reich sein reichte aber durchaus nicht immer, z. B. dann nicht, wenn Zunftinteressen der Einbürgerung entgegen standen. In Frankfurt am Main etwa unterschied man noch im 19. Jahrhundert genau zwischen Bürgern, Eingeplackten (Eingeheirateten) und Hergeloffenen.

Die Bürgerannahme war in Hildburghausen ein feierlicher Akt und erfolgte durch Bürgermeister und Rat unter Eintrag in das Stadtbuch. Voraussetzung war „ein freier, unversprochener Biedermann, der seinem Herrn Recht getan, ehrliche Geburt, wozu ein Geburtsbrief vorzulegen, Erlegung des Bürgergeldes und Ableistung des Bürgereids dem Rat und gemeiner Statt trew und gewahr zu sein und des Rats Abschiedung gehorsamlich nachzuleben.” Der Bürger hatte das Recht, in der Stadt ein bürgerliches Gewerbe zu betreiben, Grundstücke in der Stadt zu erwerben, zu städtischen Ämtern zu gelangen und bei der Wahl mitzustimmen. Seit dem 15. Jahrhundert waren die Bürger andererseits z. B. verpflichtet, einen Feuereimer und ein Gewehr zu halten, um damit im Fall der Not alsbald bereit zu sein. Anderseits fanden im dreißigjährigen Krieg Bürger Hilfe bei der Stadtkasse. Denn in der Jahresrechnung von 1632, also mitten im Dreißigjährigen Krieg, heißt es: „8 fl. 8 gr. Für 46 Viertel Wein in Hans Wilik, des Baders Haus, den beschädigten Bürgern” und „3 fl. dem Schlundwirt und seinem Weib zur Labsal wegen bekommener Schläg” (Human S.323).

Für die Ämter, die die verschiedenen Kobs innehatten, ist von Bedeutung, daß die Mitgliedschaft im Rat in alten Urkunden mit „des Raths” oder auch „Consul” beschrieben ist. Die Stammtafel und die Chroniken verwenden dabei beide Begriffe und unterscheiden nicht sauber, so daß der Eindruck entstehen kann, es handele sich um zwei verschiedene Ämter. Jedoch taucht der „Konsul” in der Darstellung der Stadtverfassung bei Human überhaupt nicht auf. Alte Urkunden sprechen von „consules et universitas”, wenn sie Rat und Gemeinde meinen. Die Inschrift der großen Glocke von St. Lorenz war ebenfalls in Latein gehalten und verwendet für „Rat” „senatus” und bezeichnet die handelnden Ratsherren als „consules” (Human S. 383 und weiter unten bei Stephan Kob und Paul Walz). Es darf daher angenommen werden, daß man Ratsmitglieder in alten deutschen Texten als „des Rats” bezeichnete und in lateinischen als „consul”. Später setzten sich die Begriffe „Senat” und „Consul” durch. Da Hildburghausen zugleich Stadtgemeinde und Residenz war, muß für die gesellschaftliche Position einer Person scharf zwischen dem Hof und der Stadt unterschieden werden.

5. Tuchmacher in Hildburghausen: Hans Kob

Hans Kob war Tuchmacher in Hildburghausen, 1579 Mitglied des Rats und 1595 Konsul. Hans war mit Agnes Bötzinger verheiratet. Mit ihm beginnend, wurden nun viele Kobs Tuchmacher. Auch war es Hans offenbar gelungen, ein beträchtliches Vermögen anzusammeln. Dies bezeugt die folgende urkundliche Erwähnung: „ Stephans Sohn, Consul, besaß 1595 die Seemühl zu Stresshausen 1250 fl werth, und e.a. zu Adelhausen 1 gut Hhäußer Pfarrlehn mit Hanß Rottenbach auch 2 ½ Acker bei der Creismühl. + 1597 2.Mart. uxor Agnes (unrecht Walpurg) Baltzar Bötzinger und Ursula Ebenretterin T. vermuthl. Ante 1550 copul. Weil ihr Schwäher schon e.a. hln. Johann Ebenretters Schwager genannt wird. Sie saß 1598 als Witbe auf dem Gut zu Streßenhausen. Er besaß 1572 mit Claus Schlimbach das Schlimbachs- oder Kobengut zu Walrabs. Hat seinen Theil ante 1594 an Caspar Fink verkauft. Er war 1560 bei 40 Jahr alt, 800 fl reich, Tuchmacher und des Raths” (FGvK, Q1).

Bis auf ihn führt eine Ebenrettl. Stammtafel den Stamm. Nach ihm das Kirchenbuch fort. Ein Tuchmacher. Des Rats 1579. saß als Rats Deputatus 1586 bei einer Criminal-Execution, war Consul 1589. + 1597 2. Mart. (irrig 1592) nach Kraußen und laut einer Ebenretterl. Stammtafel ux Agnes Bötzingerin” (von Koppenfels, Hinzufügungen aus unbekannter Quelle).

Erstaunlich ist, daß es den Kobs in der damaligen, festgefügten Ständegesellschaft gelang, innerhalb von drei Generationen den Sprung vom Landei zum Inhaber städtischer Spitzenämter zu schaffen.

3/12288 Hans Kob + 1597 <<< 3/12289 Agnes Bötzinger

6. Evangelisch in Hildburghausen

Der letzte katholischer Pfarrer in Hildburghausen war Niclas Jacob 1513-24. Im Jahre 1524 hielt wohl die Reformation Einzug. Erster evangelischer Pfarrer war Magister Johann Birnstil, der aber schon 1528 nach Coburg ging. Eine erste evangelische Generalvisitation fand ebenfalls 1528 statt. Von der Reformation bis 1705 gab es nur die eine Ortsgemeinde St. Lorenz, an der ein Pfarrer (der seit 1646 auch Superintendent war), ein Archidiakon und ein Diakon amtierten. Ab 1705 gab es auch eine Hofgemeinde für alle Adligen und das Militär. Im Jahre 1719 kam noch eine reformierte Gemeinde und 1721 die Neustädter lutherische Gemeinde hinzu. Am 5. November 1824 wurde die Union der Lutheraner und Reformierten eingeführt. Der Hofprediger war zugleich Superintendent und der Oberhofprediger Generalsuperinten-dent.

7. Das Tuchmacherhandwerk in Hildburghausen

Hildburghausen war für einige Jahrhunderte eine Stadt der Tuchmacher. So ist es nicht verwunderlich, daß viele Kobs auch Tuchmacher waren. Oder umgekehrt haben die vielen Kobs dazu beigetragen, daß Hildburghausen eine Stadt der Tuchmacher war. Die Bedeutung der Tuchmacher schlägt sich auch darin nieder, daß das Rathaus nach einem Brand im Jahre 1388 zu einem Rat- und Kaufhaus ausgebaut worden war. Im Durchgang waren die Brot- und Fleischbänke und weiter oben der Tuchboden, der seinen Namen von der Tuchmacherzunft trug und auf dem später auch Bürgerversammlungen und bürgerliche Hochzeiten stattfanden. Die Knappengasse hatte ihren Namen von den Tuchknappen. Das Rat- und Kaufhaus wurde im Orkan vom 14. September 1572 schwer beschädigt. „Der Türmer Nicolaus Sinder aber, der im neuen Turm sieben Stockwerk hoch im Ratsboden seine Wohnung gehabt, wurde, als er eben das Gewitter seinem Amt gemäß anblasen wollte, mit Weib und 4 Kindern samt dem Turm auf die Straße geworfen. Als nach ergangenem Gewitter die Nachbarn auf ihr Schreien herausgelaufen und herbeigeleuchtet, wurde der Türmer auf einem herabgefallenen Balken etwa Mannshoch reitend gefunden, seine Hausfrau etwas hoch auf dem Holzwerk sitzend mit einem Kind im Arm, das kleinste in der Wiege eingeschnürt lag zu allerunterst unter dem verfallenen Holz, alle aber kamen unbeschädigt davon und der Türmer hatte nur ein klein Ritzlein am Backen, das er weder gefühlt noch im Geringsten geachtet.” In einem Bericht über dieses Unwetter heißt es auch : „ Vielen Tuchmachern allhier, denen es die Dächer aufgerissen, hat es die Wollen von ihren Böden zu ihrem großen Schaden und merklichen Verderben hinweggeführt, dass sie davon nichts wiederbekommen, man hat aber die Wollen an vielen Orten weit von der Stadt und Felde und im Wald an den Bäumen hangen gefunden.” Im 19. Jahrhundert gingen die letzten Tuchmacherfirmen infolge der Konkurrenz der Fabrikprodukte ein (Human S. 310, 578).

8. Schwierige Familienverhältnisse: Claus Kob

In der Stammtafel Kob sieht es ja so einfach aus. Da ist Claus Kob Tuchmacher in Hildburghausen, ist vor 1601 verstorben, da seine Kinder 1601 und 1602 unter Vormundschaft standen und war mit Barbara Ebenretter verheiratet, die nach seinem Tode den Konsul Stephan Brunquell 1625 geheiratet hat.

Aber Q1 berichtet: „ Claus Kob, Hanß Kobens Sohn, hatte zwei Weiber. Aus erster Ehe waren Hl. Friedrich Kob, Paul Kob und eine Tochter.... Aus zweiter Ehe war sonderlich Barbara Waltzin. Diß besagt ein Stük Waltz- und Kochlützl. Proceß Akten. Aus welcher Ehe Catharina Hermannin gewesen, lässt sich nicht bestimmen; Paul Waltz nennt sie Geschweyh. Vermuthl. war Margaretha Wernerin ihre Tochter. Die Kobischen Geschwister haben 1626 Erbtheilung gehalten....... Ein Kochlützl. Stammbaum in Consist. Actis benennt eine Anna, des Valtin Kochlütz, der 5.Mai 1609 sepultno, Tochter, welche Hln. Friedrich Kob, des Raths allhir, zur Ehe gehabt, und mit ihm erzeugt Kaspar Kob, Susanne Barbara Kobin, Catharina Kobin, Ursula Kobin. Ist dieß, so müssen folgende Kinder früh + seyn , und vor 1606 weil von der Zeit keine Kinder dieses Friedrich vorkommen im Kirchenbuch, auch Friedrich Kob ohne Kinder +”. Q2 nennt als Kinder aus erster Ehe Susanna, Paul, Friedrich, Katharina und Nicol, als Kinder aus zweiter Ehe Barbara und Hans. Die sonstigen Angaben decken sich. Und Koppenfels zitiert aus einer weiteren Quelle: „ein Tuchmacher zu Hildburghausen, + ante 1601, denn e.a. und 1602 standen seine Kinder schon unter Vormundschaft. Ux. 2) Barbara, Hanß Ebenretters Tochter, Wilhelm Ebenretters Enkelin. Ehelichte hernach hln. Stephan Brunnquell Consul, sep. 7.Dez. 1625. 

Faßt man all dies zusammen, so ergibt sich gegenüber der Stammtafel ein etwas anderes Bild. Danach wäre Claus Kob zweimal verheiratet gewesen. Mit Barbara Ebenretter müßte er in zweiter Ehe verheiratet gewesen sein, da Barbara ihn überlebt hat. Auch Barbara hat ein zweites Mal geheiratet, aber nicht 1625, sondern früher, denn ihr zweiter Mann ist 1625 beerdigt worden. Aus erster Ehe wären die von beiden Quellen genannten Friedrich, Paul und eine Tochter, aus zweiter Ehe wäre Barbara. Im Hinblick auf die nicht in Qu1 genannten Kinder spricht alles für die sich deckenden Stammtafel und Qu2, vor allem die Präzision der Daten läßt darauf schließen, daß Martin Kob hinsichtlich der Zahl der Kinder über die genaueren Unterlagen verfügte. Außerdem läßt sich die Stammtafel über Friedrich und Hans Kob noch etwas verlängern. Unklar bleibt, wer die erwähnte Catharina Hermannin ist, da die Stammtafel nur eine Katharina Keller erwähnt.

Claus hatte also wohl folgende Kinder: aus 1. Ehe: Susanna, Paul, Friedrich, Katharina, Tochter, Nikol; aus 2. Ehe: Barbara, Hans.

4 Claus Kob: + vor 1601 <<< 4 Barbara Ebenretter

9. Gutsbesitzer in Adelhausen: Stephan Kob jun.

Vermögen und Ansehen eines Bürgers von Hildburghausen wird auch bei Stephan Kob jun. deutlich. Er war ja nicht nur Ratsmitglied und 1626 Konsul, sondern hatte sich auch außerhalb der Stadt Grund und Boden zugelegt. Dies kann man ebenfalls alten Urkunden entnehmen:

geb.1561 hieß junior 1608 zuletzt Senior. Besaß 1595 1 Gut 400 fl Hhaußl Castenlehe zu Birkenfeld in Gemeinschaft mit Hanß Kob jun. Welches vermutlich auf ihn vererbt worden von Baltzar Bötzinger, der es mit Michel Haub, Margret Ebenretterin und Hans Langgut 1552 besaßen; Er hatt es noch 1608. Item. Ein Gut zu Adelhausen mit Hanß Kob und Hanß Rottenbach a 600 fl Hhäußl. Pfarrlehe 1598. 608.15.23. seit 1608 hatte er -s allein. In einem Schatzungsregister steht ausdrückl.: „Hanß und Stephan Kob, Gebrüder zu Hhaußen = ¼ Güter zu Adelhausen” 1598. War des Raths 1603. Consul 1626. Ihn nennt Margaretha, hln. Andreas Bierdümpfel Conrectors Witbe ihren Curatorem und Vetter in ihrem Testament de 1623 23. Aug. Da sie seinem Sohn oder dessen Bruder ihren Manns Bücher legirte. sep. 23. April 1638 21.ej. ux. Anna wich wegen des Krieges und ihres Sohnes Stephan, Härte halben, weg, kam 1641 29. Sept. nach Nördlingen 1649 8. Nov. daselbst” (FGvK/Q1).

Auf dem alten Friedhof von Hildburghausen, der 1820 geschlossen wurde und seit langer Zeit nicht mehr vorhanden ist, gab es zwei Erbbegräbnisse der Kobs, eines zierte ein Epitaph mit folgender Inschrift:

Hic Stephani Kobii, Senioris Membra quiescunt Qui patriaes columen, qui fuit Atque Pater. Juxta hunc et voluit Natus Tumulavier alter, Patri consimilis nomine et officio. At velut hic ambo crypta junguntur In una Sic Deus hos rursus iunget in arce poli. In honorem Patris et Fra tris Nordlinga Transmisit M. Sebastianus Kob, Rector Schola ibidem, deinde Gymnasii Heilbronn Übersetzung: Hier ruhen die Gebeine Stephan Kob d. Ä., der Stütze und Vater seiner Vaterstadt war. Neben ihm wollte auch sein Sohn als zweiter bestattet werden, seinem Vater ähnlich an Ansehen und Stellung. Freilich wie beide hier in einer einzigen Gruft vereint sind, so wird Gott sie wieder vereinen in der himmlischen Burg. Zu Ehren von Vater und Sohn hat dies aus Nördlingen herübergesandt M. Sebastian Kob, Rektor der Schule ebenda, dann des Gymnasiums in Heilbronn. Die größte Glocke von St. Lorenz hatte folgende Inschrift hatte:

Haec campana in honorem divini cultus instaurata et conflata est Erfordiae a Melchiore et Hieronymo Moeringen cura Senatus Hiltpurghus. A. MDCXXI Consul. Joh. Schmit. Steph. Kob. Paul Walz.

Übersetzung: Diese Glocke ist zur Ehre des göttlichen Cultus erneuert und gegossen zu Erfurt von Melchior und Hieronymus Moeringen unter der Aufsicht des Rates von Hildburghausen im Jahre 1621 Ratsmitglieder Johann Schmit, Stephan Kob, Paul Walz. Zitiert nach Human S. 4, 383. 4/6144 Stephan Kob jun. 1561 - 1638 <<< 4/6145 Anna + 1649

10. Das Handwerk

Der Werdegang eines Handwerkers, also auch des Tuchmachers, war folgendermaßen: „Nach Vorzeigung seines (ehelichen) Geburtsbriefes, Stellung zweier Bürgen (1687) und 14tägiger Probezeit in Gegenwart seiner Eltern vor offener Lade von den Obermeistern mit Handschlag und unter 3-5 fl. Rezeptionsgebühr aufgedingt, hatte er bei einem zwei Jahre bereits selbständigen Meister eine 3jährige Lehrzeit, während deren er sich gottesfürchtig, züchtig, sittsam bezeigen, am Gottesdienst, h. Abendmahl und Katechismusinformation fleißig teilnehmen und vor jeder Werkstätte, auch wenn sich niemand am Fenster zeigte, grüßen mußte. Damit der Meister nicht mit mehreren Lehrlingen Gesellenarbeit spare, war der Lehrling zumeist der einzige der Werkstätte.... Nach dem Gesellenstück vom Ladenschreiber zum Gesellen gesprochen, wozu ihn die Meister beglückwünschten: ”Ich wünsche dir Glück zum Gesellenstand, vom Gesellenstand zum Meisterstand, vom Meisterstand zum Ehestand”, war der Geselle ... seit etwa Mitte des 16. Jh. hierselbst zu 2-3 Jahren Wanderschaft verpflichtet, der Meistersohn zu nur einjähriger, vor Antritt der Wanderschaft wurde er aber erst noch bei fürstl. Amt vereidigt, keine auswärtigen Kriegsdienste zu nehmen. Seit Ausgang des vorigen Jh. trug der Wandernde im Felleisen den guten Rock, querüber die Stiefel mit Wichszeug, Bürste, Staubhemd mit Gurt, Wanderbuch und Wachstuchhut.” Im Laufe der Zeit gab es aber immer mehr Ausnahmen von der Pflicht zur Wanderschaft. „Hatte der Gewanderte Erbhuldigung gethan und Bürgerrecht erlangt (da nach den Stadtstat. nur ein Bürger bürgerlich Gewerbe treiben durfte) und sich beim Obermeister zum Meisterwerden gemeldet (Muthung), so war binnen 6 Wochen das Meisterstück zu fertigen. Während dessen kamen Meister des öfteren zum Trunk, zuletzt sämtliche Meister, um gröbere Mängel mit 1 Thlr., leichtere mit einigen Viertel Wein zu ahnden; endlich wurde der Kandidat im Beisein der Obermeister, Meister, Gesellen und Ladenschreiber vom Amt und rsp. Magistrat vor offener Lade „als ehrlicher Mitmeister zur ehrbaren Zunft angenommen”. Die anschließende Feier mit sämtlichen Meistern und deren Familien kostete den neuen Meister meist das letzte Geld (Human S. 576).

11. Flüchtiger Wohlstand: Stephan Kobe minor

Auch Stephan Kobe minor war Tuchmacher und wurde 1592 in der Innung genannt. Q1 beschreibt seinen Wohlstand, der sogar dazu reichte, dem Rat im Dreißigjährigen Kriege silberne Becher zu leihen. Das war ja vermutlich eine Art Kredit in Form einer Sachleistung. Aber der Krieg nahm ihm alles, und seine Spur verliert sich.

minor oder junior hernach Senior, Tuchmacher 1592, besaß post 1598 mit Hln. Johann Nothnagel ½ Gut Veßer Lehn zu Leimrieth 400 Gulden werth und scheints daher daß er etwa dessen Schwester Hln Lorentz Nothnagels Tochter zur Ehe gehabt, besaß es noch 1608 15. 230. War Viertelmeister 1634, aber 1638 nicht mehr. Hat dem Stadtrath im Krieg silberne Becher geliehen. Sein Hauß ging in Kriegszeiten ein. Sein Sohn D. Kob lieh ihm 1630 Geld. Da weder sein noch seines Weibes Tod gemeldet wird, scheinen sie sich von hier weggewendet zu haben” (FGvK, Q1).

4 Stephan Kobe minor <<< 4 NN Nothnagel

12. Der Dreißigjährige Krieg

Wir befinden uns inzwischen in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Dieser Krieg dauerte von 1618 bis 1648 und hatte verschiedene Ursachen religiöser und machtpolitischer Art: den katholischprotestantischen Gegensatz in Deutschland, das Streben der katholischen Kaiser nach religiöser und politischer Einheit im Reich und das Machtstreben der europä-ischen Staaten untereinander wie z.B. den Gegensatz Frankreich - Habsburg und Habsburg-Schweden. Kampfplatz der militärischen Auseinandersetzungen war Deutschland, mit furchtbaren Verlusten für die Bevölkerung. In manchen Landstrichen kam während dieses Krieges weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung um. Ein viel höherer Anteil als in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts zusammen auf deutscher Seite.

Human vermerkt für 1622 die Herabsetzung des hiesigen Thalers als einschneidende Währungsmaßnahme; 1623 die ersten Kriegsdurchmärsche, wobei mit den Führern akkordiert wurde, daß die Truppen nur durch die Vorstädte ziehen, die innere Stadt aber nicht betreten sollten und vom Kaiser Ferdinand II. die Zusage, das Land zu schonen. Als Beispiel für viele Jahre das Jahr 1631: 9 Komp. Schönbergsche Reiterei; ein Regiment zu Fuß von Graf Fürstenberg, wobei an einem Tage 4 ½ Ctr. Karpfen zu liefern, daneben 89 Eimer Wein, 105 Eimer Bier; 5 Komp. Baumgartsche Reiter; Regiment des Obersten von Schlamersdorf; 400 Mann von General Altinger: 56 Eimer guten und 32 Eimer gewöhnlichen Wein, 241 Eimer Bier, 56 Ctr. Fleisch, 5600 Laib Brot, 96 Pfd. Butter, 16 Schock Eier, 192 Strich Hafer, 16 Wagen für Kranke und Arme zu liefern.

Aus dem Jahr 1632 sei ein besonderes Ereignis erwähnt: „ 2. Oktober zog eine Abteilung Kaiserlicher ein, die Stadt niederzubrennen. Lorenz Schüßler am oberen Thor, früher bei den Kaiserlichen, erkennt in dem Führer einen früheren Zeltkameraden und bewirkt durch bewegliches Zureden und Versprechen eines Recompenses, daß mit Stroh gefüllte Fässer, auf dem Markt angezündet, die in der Umgegend lagernden Truppen täuschen sollten, als ob die Stadt in Flammen stehe. Der Offizier erhielt von Bürgermeister Paul Waltz als Recompens ein massiv silbernes Schiffchen mit Steuermann aus gediegenem Golde. Lorenz Schüßler (+ 16. Juli 1633, worauf sein Weib mit Kinder ¾ Jahre auf der Flucht und endlich bei ihrem Bruder Kob in Nürnberg +) erhielt auf einige Zeit Kredit im Schlundhaus, wo ihm 12 fl. 8 gr. 4 Pfg. für 1 ½ Eimer 11 Maß Wein auf das Kerbholz geschrieben wurden; die Soldaten aber spoliierten die Leute aufs äußerste, erbrachen Häuser, Kisten und Truhen, zerschlugen Öfen und Fenster und trieben Vieh weg.” Paul Waltz war mit Barbara Kob verheiratet. Die Frau von Lorenz Schüßler ist in den Unterlagen nicht zu finden.

Für Hildburghausen waren die Jahre 1634 ff. besonders schlimm. Da erlebte es die Einquartierung kaiserlicher Truppen unter Lamboy. Hunger und die Pest forderten so viele Opfer, daß der Friedhof voll belegt war und innerhalb der eng bebauten Stadt erweitert werden mußte. Im Jahr 1634 starben 303 Einwohner, darunter 206 Erwachsene und 97 Kinder, im Jahr 1635 534, darunter 338 Erwachsene mit 7 Fremden. Das Kirchenbuch berichtet für das Jahr 1634: „Dieses Jahr hat die Pest allhier ziemlich regieret, kam die Leute an mit frost oder hitz, nam den kopf ein und trieb zuweilen auch beulen, doch kamen auch etliche wieder auf und wurden gesund, sahen aber gar gelb und übel aus, Amos 4, 10.” ( „ Ich schickte Pestilenz unter euch, gleicherweise wie in Ägypten; ich tötete eure junge Mannschaft durchs Schwert und ließ eure Pferde gefangen wegführen, und ließ den Gestank von eurem Heerlager in eure Nasen gehen; doch bekehrtet ihr euch nicht zu mir, spricht der Herr”). Für 1635 ist überliefert: „ Im Pestjahr 1635, da die Hungersnot so hoch stieg, daß auch die reichsten Leute kaum Kleiebrot zu essen hatten und andere sich mit Gras und Wurzeln des Hungers erwehren muß-ten...” 1637 schlug Graf Isolani von den kaiserlichen Truppen in Hildburghausen sein Hauptquartier auf. Am 23. Januar 1640 eroberten kaiserliche Truppen die inzwischen vom schwedischen Oberst Königsmarck besetzte Stadt. Alles immer mit großen Verlusten für die Bevölkerung. Immerhin existierten vor 1640 noch in 389 Häusern 576 Haushalte mit 455 Bürgern und 121 Hintersitzern. Schon das ist wenig genug. 1659 aber zählte man in 190 Wohngebäuden nur noch 216 Männer und etwa 60 Witwen (Human S. 2f., 30).

Die Familienchronik der Kobs zeigt, daß auch diese Familie stark vom Krieg betroffen wurde. Besonders gilt das für die Familie von Matthäus Kob-Popp, die in wenigen Jahren komplett erlosch. 1634 starben in Hildburghausen 303 Personen und 1635 534 an Seuchen.

13. Der Retter der Vaterstadt: Paul Waltz

Barbara Kob war mit Paul Waltz verheiratet. Paul Waltz könnte jener Tuchmacher sein, von dem Human berichtet. Als am 2. Oktober1632 fremde Truppen Hildburghausen besetzten und die Stadt anzustecken drohten, erkannte ein gewisser Lorenz Schüßler in dem einen Offizier einen ehemaligen Zeltkameraden und bewog ihn, auf die Brandschatzung zu verzichten. Stattdessen wurden auf dem Marktplatz Strohfeuer angezündet, um in die Umgebung zu signalisieren, dass Hildburghausen brennt. Zum Recompens (Entschädigung) überreichte Waltz dem Offizier ein massiv silbernes Schiffchen mit Steuermann und machte damit, wie Human bemerkt, seiner Heimatstadt ein fürstliches Geschenk. Ob es sich bei Paul Waltz auch um jenen handelt, den Human (S. 293) für 1624 als Bürgermeister nennt, ist ungewiß.

Paul Waltz könnte auch jener sein, der nach Human (S. 383) auf der Inschrift der großen Glocke von St. Lorenz erwähnt ist:

Haec campana in honorem divini cultus instaurata et conflata est Erfordiae a Melchiore et Hieronymo Moeringen cura Senatus Hiltpurghus. A. MDCXXI Consul. Joh. Schmit. Steph. Kob. Paul Walz Übersetzung: Diese Glocke ist zur Ehre des göttlichen Cultus erneuert und gegossen zu Erfurt von Melchior und Hieronymus Moeringen unter der Aufsicht des Rats von Hildburghausen im Jahre 1621 Ratsherren Johann Schmit, Stephan Kob Paul Walz. 5 Barbara Kob 1607 - 1634 <<< 5 Paul Waltz,

14. Handelsmann in Nürnberg: Hans Kob

Geboren 1595, wurde Hans Kob ein vornehmer Handelsmann in Nürnberg. Von ihm erzählt Q1: „ ..1595 ... gieng 1604 zu Nürnberg ... ward allda vornehmer Handelsmann. Er klagte 1655 mit Hln. ... Waltz eine alte de 1627 schon klagbare Schuld von der Mutter ... als Stephan Brunquell. Sie nahmen zur Vergütung das Brunnquellsche Haus am Markt und lie-ßen das meiste fahren. + 1666. ux. Clara, des vornehmen hln Johann Tramel Kauf- und Handelsmann zu Nürnberg T. 15. Mart. 1614 zu Nürnberg.....” FGvK, Q1).

Dieser Hans Kob müßte jener sein, der in Siebmacher, Wappenbuch Bürgerliche, Band 5, Wappen mit Mohrenhaupt, als „Kob, Johann, Handelsmann in Nürnberg” erwähnt ist und dessen Wappen uns bekannt ist. Auch existiert ein Bild von ihm, das ihn mit großem weißem Kragen und einer Blume in der Hand zeigt; im Hintergrund das bekannte Wappen. Die Inschrift dieses Bildes lautet:

Der Teutschen Francken Redlichkeit, Ohn falsch man fündte alle zeit Bey Herren Koben: dem kein Gut Verändern konnt, den Christen Muth. Seinem lieben Herrn Landsmann seel. Johann Kobe Setzte es zum Gedächtnis Natus: Ad 1587. 16. Jan. Johann Michael Pilherr: Prediger Denatus: Ad 1666. 18. Oct. Und Professor in Nürnberg

Zum Wappen ist zu bemerken, daß man es nicht als Wappen der Familie Kob bezeichnen kann, da nicht bekannt ist, daß jemand anderes es geführt hat. Grundsätzlich konnte und kann sich jeder ein Wappen zulegen, das dann erblich ist. Das bedeutet zugleich für uns, daß sich Johann oder Johannes Kob das bekannte Wappen zugelegt hat und daß es nur auf seine Nachkommen übergegangen sein kann, nicht aber auf die ganze Verwandtschaft. Übrigens führt auch das Katholische Bistum München-Freising den Mohrenkopf in seinem Wappen. Der Mohrenkopf im Wappen erinnert entweder an den Heiligen Mauritius, den Schutzpatron der Krieger oder an den zum Christentum bekehrten Kämmerer der Königin Kandaze in der neutestamentlichen Apostelgeschichte (Kap. 8, Verse 26 ff.).

5 Hans Kob 1595 - 1666 <<< 5 Klara Tramel

15. Ein geschäftstüchtiger Bäcker: Stephan Kob

Stephan Kob war Bäcker, schließlich Senior des Rats in Hildburghausen und 1631, 1642, 1655, 1666 bis 1667 Konsul. Er war zweimal verheiratet, mit Veronika Habermann am 29. April 1623 und mit Maria Hauck am 10. Juli 1660, sep. 31. März 1672. Offenbar hielt er sein Geld zusammen und mehrte es, denn in Q1 kann man folgendes lesen:

geb. 1597 10. Jan. junior genannt. Er zog des Vaters Vermögen giezig an sich und war ... gegen seine Brüder wegen der Erblassung. Dann ... vermittelte einen Receß, den er aber doch wieder anfocht. Er hatte dem Vater 1626 das Birkenfelder Gut um 250 fl aberkauft wovon er 150 fl bezahlte den Rest läugnete er hernach weg. Daß Adelhauser Gut war viele Jahre im Krieg nicht gebaut worden. Er sagt an einem Ort in Actis „ dass seine Brüder 300 fl ... Birkenfelder gut bezahlt..... war er bald .... ein reicher Mann allh..... War Consul aus der ... 1631 Des Raths 1639, Consul 1642 ss. 66-67. sep 22. April 1681 alt 84 Jahr 3 Monat als Senior des gantzen Raths. Er war mit Georg ... Kob verwandt ux 1) Veronica Hanß Habermann ... T. 29. April 1623 sep. 29 Oct. 1657 2) Maria Claus Hauck .... allhier 10. Jul 1660 sep 31. Mart, 1672. Er wird der älteste Sohn genannt. ....” (Q1).

Nach Human (S. 438) haben eine Witwe von einem Stephan Kob 1682 50 fl. und deren Tochter 10 fl. zur Beschaffung von Büchern für arme Schüler der Lateinschule nach dem Examen gestiftet. Nach dem bisherigen Kenntnisstand könnte es sich nur um die Witwe dieses Stephan Kob handeln; es sind aber beide Ehefrauen vor ihm gestorben. Auch gab es wohl noch ein weiteres Kob ´sches Legat für die Lateinschule. Immerhin gab es 1886 bei den städtischen Armenstiftungen noch das Alt-Kob ´sche Armenlegat mit 428,57 Mk (Human S.441).

5/3072 Stephan Kob 1597 - 1681 <<< 5/3073 Veronika Habermann + 1657

16. Erben ist auch nicht leicht: Sebastian Kob

Sebastian Kob studierte 1623 in Altdorf , machte 1630 den Magister Artium, war 1636 Conrector und 1637 Rector des Heilbronner Gymnasiums, 1640-1685 Rector der Lateinschule zu Nördlingen und wurde Pastor genannt. Ein Portrait befindet sich in der Portraitsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Reihe A Bd. 12 (1990) Nr. 5346. Da er ein Bruder von Stephan Kob war, aber nicht in Hildburghausen lebte, sah das Agieren seines Bruders in der Erbschaftsangelegenheit aus seiner Sicht wohl anders aus. Trotzdem ließ er für Vater und Bruder ein Epitaphium errichten. Davon berichtet Q1:

geb. 1603. Magister artium. Rector zu Nördlingen, lebte da 1638-41, reiste 1638 auf des sterbenden Vaters Anhalten hirher, wegen einer väterl. Erb=Verordnung, fand ihn aber nicht mehr am Leben. Reißt 1649 Jan. wegen Erb=Vergleichs hierher, richtete nichts aus. Die Mutter legirte ihm für 8 ½ -jährige Alimentation 100 fl. Kam 1650-51 wieder hierher und verglich sich. Ward zuletzt Rector zu Heilbronn und quodam ... wird er Pastor genannt. Seinem Vater und Bruder Stephan ließ er ein Epitaphium allhier errichten. Krauß T.II.p. uxor...” (Q1).

5 Sebastian Kob * 1603

17. Feldmedikus im Dreißigjährigen Krieg: Wolfgang Kob

Wolfgang Kob studierte 1626 in Altdorf, war stud. phil. 1628 in Straßburg ( Matrikel Universität Straßburg Ib: s III (I-5-967): Kobius Wolfgangus Hilperhus. Francus I. 289 4.7.1628), studierte in Wittenberg als Kobius Wolfgangus am 4.5.1632. Sodannn ist überliefert, daß er Feldmedikus bei Herzog Bernhards von Weimar Truppen war. Bernhard von Sachsen-Weimar (1614-1639) war eine der Lichtgestalten auf protestantischer Seite im Dreißigjährigen Krieg, starb aber schon früh. Er war ein bedeutender protestantischer Heerführer. Von Gustav Adolf von Schweden zum General gemacht, übernahm er 1632 in der Schlacht von Lützen nach dem Tode Gustav Adolfs das Kommando und rettete mit seinen Truppen den schwedischen Sieg. Er hatte wohl 1634 mit Wallenstein Kontakt, der vom Kaiser abfallen und sich mit ihm vereinigen wollte, aber kurz vorher ermordet wurde. Bernhard trat 1635 in französische Dienste, um weiter gegen den Kaiser zu kämpfen. So hat Wolfgang Kob möglicher Weise an der Schlacht bei Lützen teilgenommen.

5 Wolfgang Kob 1605 - 1636 (1672?)

18. Professor der Rechte in Altdorf: Johannes Kob

Johannes Kob besuchte die Lorentzschule in Nürnberg 1602-1608, studierte in Altdorf 1608 (Matrikel Altd. 2, 111: 2882), machte 1611 den baccalaureus, war wohl von 1616-1617 bei einem von Giech Hauslehrer, wurde 1620 Professor der Logik und Metaphysik, 1621 Magister, 1637 Dr. iuris utr., 1638 wohl außerordentlicher Professor der Rechte und 1645 Professor der (jur.) Institutionen zu Altdorf. Er war Rektor magnificus und Rat der Republik Nürnberg. Seine Leichenpredigt ist Nördlingen erschienen. Es existiert ein Kupferstich in der Portraitsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Reihe A Bd. 12 (1990) Nr. 11203 und 11204, 11202 (?). Nach Siebmacher führte er ein Wappen mit drei Rosen an einem Stängel und in der Kartusche eine Rose zwischen zwei Büffelhörnern. Dabei ist die Rose das Symbol der Himmelskönigin Maria.

geb. 1590 O Palmarum j.u. Doctor. Profeßor Institutionum zu Altdorf, der Republik Nürnberg Rath. Erbte mit seinen geschwistern das Leimriether Gut, und hatte daran 5ten Theil. Hln. Jacob Edel zu Nürnberg war sein Schwager. + 1661. uxor: Helena, M. Philipp Bembuccius Stadtschreibers zu Altdorf hinterl. Tochter circa 18. Febr. 1617”.

Das Original des Kupferstichs von J.F. Fleischberger aus dem Jahre 1658 nach einem Gemälde von G. Strauch wurde 1989 von Reimund von Koppenfels erworben. Es trägt folgende Inschrift: Johannes Kobius, Francus, Philosophiae Et u.i. Doctor, P.P. Rei Publicae Noricae A Consi Liis et h. t Universitatis Altorfinae Rector Magnificus Kobius hac facie vivit ; redivivus ipso est Magnus Aristoteles, Bachoviusque sagax Vir rara doctrina, sedulitate stupenda Gemanaque fide, et dexteritate pia. Pro vestro juvenes mecum doctore fidelis Jugiter ex calido fundite corde preces ! Magnifico DN socero, quem veri Parentis loco veneratur, fecit sine fuco Ernestus Cregel D et juris publici P.P. Übersetzung : Johannes Kob aus Franken, der Philosophie Und beider Rechte Doctor, öffentlicher Professor, der Stadt Nürnberg Rat, edler Rektor der angesehenen Universität Altdorf. Dies Bild des Kob ist nach dem Leben gefertigt. In ihm ist wiederaufgelebt Der große Aristoteles und der scharfsinnige Bachovius. Ein Mann von seltener Gelehrsamkeit und erstaunlichem Eifer, Von deutscher Redlichkeit und gewissenhafter Verläßlichkeit. Ihr jungen Leute, für Euern getreuen Doktor Betet mit mir ohne Unterlaß aus warmem Herzen. Seinem edlen Schwiegervater, den er verehrt Wie seinen wirklichen Vater, hat dies ohne Schönfärberei gemacht Ernst Cregel Doktor und des öffentlichen Rechts öffentlicher Professor.

Im Frieden zu Köln, der den bayerischen Erbfolgekrieg am 30.7.1505 beendete, wurde Altdorf der Reichsstadt Nürnberg zugesprochen. 1575 wurde das Nürnberger Gymnasium nach Altdorf verlegt. Im Jahre 1578 wurde es von Kaiser Rudolf II. zu einer Akademie erhoben und mit dem Recht ausgestattet, Baccalaurei und Magister zu ernennen. Kaiser Ferdinand II. stattete die Akademie mit dem Recht aus, eine juristische, eine medizinische und eine philosophische Fakultät zu errichten. Die Erhebung zur Universität erfolgte am 29.6.1633. Am 10.12.1696 wurde das Promotionsprivileg auch auf die theologische Fakultät ausgedehnt. Über zweihundert Jahre lang gehörte Altdorf zu den geistigen Zentren Deutschlands. Im Jahre 1809 wurde die Universität aufgehoben, nachdem Nürnberg mit der Aufhebung des alten Deutschen Reiches 1806 seine Unabhängigkeit verloren hatte.

5 Johannes Kob 1590 - 1661 <<< 5 Helena Bembuccius

19. Die Residenzstadt Hildburghausen

In die Lebenszeit der nun folgenden Kobs fällt, daß Hildburghausen Residenzstadt des kleinen Herzogtums Hildburghausen wurde, also eines dieser Kleinstaaten, für die das alte Deutsche Reich sprichwörtlich war. Das Land war nicht besonders reich, eine repräsentative Hofhaltung aber selbstverständlich. Auch die kleinen Fürsten wollten den Sonnenkönig, Ludwig XIV. von Frankreich, nachahmen und beuteten ihr Land entsprechend aus. Wenn auch das jetzt zu Beschreibende nicht schon für 1680 gilt, spricht doch die „Neue Rang- und Hofordnung „ von 1781 für sich: Classis I : Der Obermarschall und die Geheimen-Räthe mit der Excellenz. II : Die würklichen Geheimen-Räthe ohne Excellenz. III : Die Titular-Geheimen-Räthe. IV : Die Titular-Geheimen- Hof- Regierungs- Cammer- und Legationsräte. V : Die würklichen Hofrä-the, Obristlieutenants usw. VI. : Die Titular-Hofräthe usw. VII : Die Titular-Regierungs-Cammer-Consistorial-Räthe usw. VIII : Die übrigen Titular-Räthe. IX : Die Special-Superintendenten, der Hofprediger, die würklich angestellten Capitains vom Landregiment. X : Der Cammerconsulent, die Diaconi in der Residenz usw. XI : Die würklichen Cammerdiener, die Hof-Advocati und Pfarrers; sodann der Amtsführende Bürgermeister in der Residenz usw., die Lieutenants beym Landregiment. XII : Die Oberförster, Canzlisten, Bürgermeister in den Städten. Soweit ein Auszug (Human S. 224). Verständlich, daß bei dieser Rangliste nicht alle Stellen immer besetzt werden konnten (schon aus finanziellen Gründen). Aber der Anspruch war da.

Zum Verständnis der Familiengeschichte ist wichtig, daß Superintendent und Hofprediger bei IX, die Diakone der Residenz bei X, die Pfarrer und der amtsführende Bürgermeister der Residenz bei XI rangieren. Ratsmitglieder und Consuln der Residenzstadt kommen nicht vor. So ergibt sich auch der Eindruck, daß hier im Kleinen und im Exzeß praktiziert wurde, was die allgemeine Meinung als typisch preußisch am wilhelminischen Deutschland sieht: eine Gesellschaftordnung, in der Hofstaat und Militär vor allem Bürgerlichen und Zivilen den Vorrang haben. Wer in der Stadt etwas war, war es noch lange nicht am Hof.

20. Pageninformator, Hofprediger und Archidiakonus: Johann Michael Kob

Nach dem Studium in Hildburghausen, Coburg und Leipzig wurde Johann Michael Kob 1705 Hofinspektor und Pageninformator in Hildburghausen, Schloß- Mittagsprediger und Collaborator Ministerii; 1706 Diakonus zu Michelstadt, Kr. Erbach, 1708 Pfarrer zu Seeheim, 1714 Pfarrer zu Eißhausen sowie 1719-1734 Hofprediger und Archidiakonus in Hildburghausen. Von den direkten Vorfahren ist er somit der erste, der seine Nase aus Thüringen heraus streckt. Für uns Hessen ist interessant, daß er für einige Zeit im Odenwald und an der Bergstraße war.

Q1 berichtet: „ geb. 10. Nov. 1677 zu Rothhausen, studierte zu Hhausen, Coburg und Leiptzig, ward Hof-Inspector u. Pagen-Informator zu Hhaußen und 1705, 13. Aug. Schloß-Mittags-Prediger und Collaborator Ministerii ordinirt, und circa 1706 Stadt-Diaconus zu Michelstatt im Erbachl.; Pfarrer zu Seeheim im Darmstädtl. 1708; Pfarrer zu Eißhsn. 1714; Hofprediger und Archidiaconus allhier 1719; + 1734, 13. Febr. im 56. Lebensjahr. ux. Anna Susanna, M. Eusebius Henrici, Archidiaconi zu Merseburg T. 1707. + 1731. 14 sep. 18. April (sie kommt auch mit dem Namen Susanna Rosina vor). Er + 11., sep. 16. Febr. 1734”.

Q2 tituliert Magister Eusebius Henrici mit Hl. Für Johann besagt sie 1705-1706 Hofdiakon d.h. Nachmittagsprediger. Koppenfels hat einen Auszug aus einem alten Urkundenbuch mit folgender handschriftlicher Eintragung abkopiert: „Zum Heiligen Predig Amt Ordinirte Anno 1705. Herr Johann Michael Kob gewesener Pagen Informator alhier Ist zum Heiligen Predigamt ordiniret worden den 30 August, am Kirchweyhfest, und zwar zum NachMittags Prediger und Collaborat. Ministerii der auch zum HofInspectore und Pagen Informatore ahngenommen gewesen”. Nach dieser Quellenlage spricht einiges dafür, dass er bis 1705 Schloßinspektor und Pageninformator gewesen ist und daß er nicht am 13. sondern am 30.August 1705 ordiniert wurde.

Human (S. 16) erwähnt Johann Michael Kob im Zusammenhang mit der Beerdigung des Generalsuperintendenten Gotthold Fehmel, die am 23. Juli 1721 wegen der großen Hitze Abends und in aller Stille, doch mit vollem Glockengeläut, in St. Lorenz stattfand. Am Sonntag darauf fand dann die Aussegnung in Gegenwart der Prominenz statt. „ Das Thema der von Hofprediger Kob über Ps. 116 gehaltenen Leichenpredigt war: „ Ein aus den Tiefen alles Jammers von Gott erretteter Gotthold”. Der genannte Psalm beginnt mit den Worten: „Sei nun wieder zufrieden, meine Seele; denn der Herr tut dir Gutes. Denn du hast meine Seele vom Tode errettet, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten.”

Nach Human (S. 35,82,196ff.) war Johann Michael Kob Informator des späteren Obervormundschaftsregenten Prinz Josef. Joseph Maria Friedrich Wilhelm Hollandius wurde am 5. Oktober 1702 als dritter und jüngster Sohn Herzog Ernst I. geboren und kam nach Einführung des Primogeniturrechts nicht für eine Nachfolge in Betracht. Er ergriff die militärische Laufbahn in österreichischen Diensten, brachte es bis zum Reichs-General- Feldmarschall. 1757 kommandierte er die Reichsarmee bei Roßbach gegen die Preußen und verlor die Schlacht. 1780 wurde er Obervormund des Erbprinzen Friedrich und Landesregent. Aus jener Zeit gibt es Berichte, die ihn als nicht mehr ganz zeitgemäß erscheinen lassen. Carl Barth: „ Schon ein alter Herr, aber noch voll Feuer, leicht heftig aufbrausend, alles, selbst die vornehmsten Beamten mit Er anredend, auch wohl in der Hitze gnädige Fuchtelhiebe mit seinem Rohr seiner Umgebung mit eigenen hohen Händen verteilend, die dadurch entstandenen Schmerzen jedoch, bei wiedergekehrter guter Laune, die gewöhnlich bald kam, durch aufgelegte Goldpflästerchen wieder heilend, seine Hauptleidenschaft die Jagd.” Er starb am 4. Januar 1787.

7/768 Johann Michael Kob 1677 - 1734 <<< 7/769 Anna Susanna Henrici 1707 - 1731

21. Hildburghausens Stadtbild

Teilweise noch feste Überreste zeigen den einstigen Gang der im Durchschnitt etwa 8 m. hohen und 1 m. starken aus Bruchsteinen erbauten Mauer, welche, a. 1700 noch mit 26 Türmen bewehrt, die innere (Alt) Stadt, als wehrhaften Platz des öfteren vor Feindeseinfall schützte. Da standen einst die Korporationen mit Hellebarde, Schwert und stählerner Armbrust (p. 307), auf den Türmen kreischten Wetterfahnen oder Drachen....über die ganze Mauer zog sich bis 1779 ein mit Ziegeldach überdeckter Gang aus Holzwerk, bis in die Neuzeit aber auf der N.-W.-Seite noch eine Seilerbahn.” (Human S. 634). „ Infolge der Brände von 1388, 1725 und 1779 schwer bestimmbar, wurde den Stadtbüchern nach meist nur nach augenblicklichem Bedürfnis gebaut, meist zweistöckig ohne Zierlichkeit und Geschmack, oft mit dem Giebel nach der Straße, nur der Unterstock aus Stein mit Torbogen und in die Straße vorspringendem Kellerhalse und Auslagekästen, während im Hausplatz Wandschränke in die Mauern eingelassen, im Hofe aber ungefällige Gangbauten und offene Miststätten, wie noch mehrfach zu sehen. Während das Abfallwasser nebst Mistjauche auf die Straße gelassen und 1763 noch daselbst zu großer Inkommodität der Fußgänger Haufen von Gassenkot aufgestapelt wurden, entfernte man auch erst 1771 mit dem an der oberen Allee beim neuen Thor erbauten Fischhaus die Fischkästen aus den Brunnenkästen, die Straßen (Gassen) aber, des öfteren nach den dort zur Bequemlichkeit des Publikums wie zur wechselseitigen Hülfe gemeinsamen wohnenden Handwerkern benannt (woher noch Knappengasse, Brau- und Gerbergasse) waren, wenn auch nicht regellos, meist eng, ungepflastert und nur am Kreuzwege mit Schrittsteinen versehen.” Erst mit der Anlage der Neustadt 1710 fand sich der Beginn einer Modernisierung (Human S. 637).

22. Karriere im Ausland

Im 17. Jahrhundert finden wir eine Reihe von Kobs oder Kobschen Nachkommen, die im Ausland (von Hildburghausen aus gesehen) Karriere machten.

Johann Sauerbrei (7) ging nach Erfurt. Er wurde dort Senior des Predigerministeriums, Pastor primarius an der Predigerkirche zu Erfurt und Professor theol. Letzteres bedarf der Erklärung. Da die Erfurter Pfarrer das Privileg hatten, Kollegien an der Universität zu halten, ist zu vermuten, daß er neben seinen anderen Ämtern nicht auch noch Professor war, sondern lediglich von diesem Recht Gebrauch gemacht hat.

Magdalena Kob (6) heiratete Anton Welser von Welsersheim. Er war ein Nürnberger Patrizier, wohl aus der einstmals reichen und berühmten Augsburger Kaufmannsfamilie, die nach Verlusten aus Kreditgeschäften mit den Habsburgern und dem Amerikageschäft 1614 in Augsburg Konkurs gemacht hatte.

Nikol Christof Kob (7) studierte in Altdorf 1711, machte 1713 den juristischen Licentiaten, wurde Hofadvokat in Hildburghausen, Kammerkonsulent, Chursächsischer Amtmann in Kühnsdorf und Benshausen und 1725 Rat in Weimar. Q2 berichtet: „Lic. Nicol Christoph Kob b. 2. Dec. 1687. Hhäuß HofAdvocat 15. Mai 1711 Cammer Consulent 1716. Chursächsl. Amtmann zu Kühndorf und Benßhausen 1719. ging 1725 Dec. als Weimarl. Rath und Cammer Consulent auch Amtmann zu Berka nach Weimar + zu Weimar 24. April 1728 ledig. Doch nennt Krauß T. III p. 130 unter den Kindern D. Michael Heinrich Krause zu Schalkau eine Adelheid Maria Hln. Lic. N. Kobens ux.” (FGvK, Q1).

Ernst Friedrich Kob (7) studierte 1710 in Jena, machte dort am 12.12.1715 den Magister, ging nach Wittenberg und ist dort unter dem 30.7.1718 vermerkt, erhielt dort am 26.10.1720 die Befugnis, Vorlesungen zu halten, wurde dort am 15.10.172318 Adjunctus der philosophischen Fakultät und am 17.10.1728 Dekan derselben.

23. Pfarrer in der Heimat: Joseph Albert Elisäus Kob

Joseph Albert Elisäus Kob studierte in Hildburghausen, Halle. und Leipzig, dort Dr. phil. Er wurde 1731 Pfarrer in Ebenhards, 1733 Pfarrer in Mobritz, 1736-42 Hof- und Stadtdiakonus in Hildburghausen (nach Human S. 398 nur Stadtdiakon), 1742 Pfarrer zu Stressenhausen, 1754 Pfarrer zu Bedheim.

n.14. Jun. 1708 zu Michelstadt im Erbach., studirte auf dem Gymnasio allhir, gieng 1725 nach Halle und 1728 nach Leiptzig, und 1729 nach Hauß ward 1731 Pfarrer zu Ebenhards und 1736 Hof- und Stadt-Diaconus, endlich 1742 Pfarrer zu Stressenhausen, und 1754 Febr. zu Bedheim, ward vorher Doctor Philosophica. + uxor. Johanna Philippina Christiana Glimper, Pfarrer zu Hayna, T. 1733, 10. Oct. (Q1). Q 2 ergänzt nach Christiana ”hl. Johann ... Glimper”

Die Aussage, daß Elisäus und andere in Hildburghausen studiert hätten bedarf der Erklärung. In Hildburghausen war aus der ehemaligen Lateinschule nach der Reformation eine besser ausgebaute Ratsschule geworden, die sich im 17. Jahrhundert eines guten Rufes erfreute. Hieran knüpfte 1714 Herzog Ernst mit einer Schulreform an. Er wollte zur Vorbereitung junger Adliger zum Hof-, Staats- und Kriegsdienst im Sinne einer Ritterakademie eine Anstalt in seiner Residenz, die die Studien leichter ermöglichte als die teueren Universitäten. Deshalb gründete er ein Gymnasium academicum. Die Schüler hatten die Stellung von Studenten. Sie waren teils Auditores publici, die nach abgelegter Prüfung das Vorrecht hatten, Degen zu tragen, teils Paedagogistae (Vorbereitungsschüler). Beides zusammen ergab einen vierjährigen Kursus. Für arme bürgerliche und „zum Studieren geschickte Subjekte” gab es Stipendien. Unterrichtet wurden Theologie, Ethik, ziviles und öffentliches Recht, Physik und Botanik, Anatomie, Logik, Metaphysik, Mathematik, Rhetorik, Geschichte, Geographie, Heraldik, lateinische und deutsche Poesie, Latein, Griechisch, Hebräisch und französisch. Das Ganze war von franzö-sischem Geist geprägt, wollte für eine Schule zu viel und für eine Universität zu wenig. Schon nach 15 Jahren endete das Projekt aus finanziellen Gründen und weil ihm die Anerkennung außerhalb der Landesgrenzen versagt blieb. Die Schüler wurden zur Vorbereitung auf die Universität wieder an die Ratsschule oder auswärtige Gymnasien verwiesen (Human).

8/384 Joseph Albert Elisäus Kob 1708 <<< 8/385 Johanna Philippina Christiane Glimper

24. Feldchirurg und Bürgermeister in Ostpreußen: Johann Gottlieb Friedrich Kob

Johann Gottlieb Friedrich Kob dürfte am 2.9.1740 in Hildburghausen geboren sein und ging dann als erster Kob nach Ostpreußen. Ob als Soldat im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) oder, weil er sich nach dem Krieg zur Wiederbesiedelung des schwer geschädigten Landes anwerben ließ, wir wissen es nicht. Wann und wo er studiert hat, wissen wir auch nicht. „ließ 6 seiner Brüder in Hildburghausen zurück ...” Nach der Stammtafel Kob war er erst Feldchirurg beim Mellin ´ schen, später Ingersschen (?) Regiment. Am 29. November 1764 heiratete er die Tochter des Stadtkämmerers von Zinten/Ostpreußen. 1771 war er Garnisons- und Stadtchirurg und erhielt die Stelle des Stadtkämmerers in Zinten, obwohl er als Ausländer und Kolonist bezeichnet wurde. Am 10. Juni 1772 wurde er examiniert und am 22. Juli 1772 approbiert. Im Adress-Calender 1784 wird er als StadtCämmerer Ratsverw. und Servis Cassen Rendant genannt. 1787 wählte der Magistrat den Stadtkämmerer und Servisrendanten zum Polizeibürgermeister, was er auch bis zu seinem Tode blieb. Auch hatte er den Einzug der Markt- und Standgelder gepachtet. Als Stadtkämmerer erhielt er 1778 123 Thaler Bezüge. Als Servisrendant betrug die Pachtsumme 42 Thaler. Als solcher haftete er aber auch mit 200 Thaler Kaution für die Servisgelder. Die Markt- und Standgelder brachten 1777 28 Thaler. 1784 zahlte er hierfür sogar eine Pacht von 42 Thalern, die Einnahmen dürften also erheblich gestiegen sein (Römer). Seine Einnahmen insgesamt dürften nicht unerheblich gewesen sein, wenn er 200 Thaler Kaution hinterlegen konnte. Tätigkeit und Verantwortungsbereich eines Kämmerers wie auch Einzug und Verwaltung der Marktgebühren sind verständlich. Dagegen erschließt sich einem die Tätigkeit als Servisrendant nicht sofort. Zinten war Garnisonsstadt. Zu jener Zeit wurden die Soldaten in Preußen noch privat untergebracht. Deshalb waren die Gemeinden verpflichtet, den Soldaten der Garnison Wohnung mit Nebenleistungen zu stellen. Das war der „Servis”. Die Verteilung der Soldaten regelte gewöhnlich eine Servisdeputation. Aber der Staat war auch verpflichtet, an die Gemeinde eine Entschädigung für die Quartierstellung zu zahlen, die abgerechnet, eingezogen und wieder verteilt werden mußte. Das war Aufgabe des Servisrendanten. Johann Gottlieb Friedrichs Unterschrift findet sich noch auf einem Geburtsbrief.

Zinten wurde wohl 1313 vom Deutschen Orden gegründet und erhielt 1352 Stadtrecht. Immer wieder wurde es durch Brände und Kriege zerstört. So auch im 2. Weltkrieg. Danach wurde es nicht mehr aufgebaut und ist jetzt eine bescheidene Siedlung mit dem russischen Namen Kornewo.

Bei dem Regiment Mellin könnte es sich um das Königlich Preußische Grenadier-Regiment König Friedrich Wilhelm IV. (1.Pommersches) Nr.2. handeln. Diesen Namen erhielt es am 8.1.1861. Das Regiment war aber am 20.2.1679 errichtet worden. Seine Garnison war von 1744 bis 1792 Stettin. Zwar trug das Regiment seit 25.6.1754 den Namen von Amstel (Chef). Doch war Graf Mellin ab 20.12.1758 Kommandeur. Man unterschied zwischen dem Chef und dem Kommandeur. Im Siebenjährigen Krieg nahm das Regiment an den Schlachten von Zorndorf am 25.8.1758 und von Hochkirch am 14.10. 1758 teil. Wenn Johann Gottlieb Friedrich Kob mit 18 Jahren Soldat geworden sein sollte, hätte er vermutlich an diesen beiden Schlachten und den weiteren Kämpfen in diesem Krieg teilgenommen. Die Uniform bestand aus blauem Rock, weißen Lederhosen, Grenadier-Mützen, vorn gelbes Blech mit Namenszug und Granate.

9/192 Johann Gottlieb Friedrich Kob(e) 1740 - 1789 <<< 9/193 Anna Marie Siebert 1740 - 1793

25. Königlicher Postillon: Gehrcke

Sein Vorname ist unbekannt. Er war in Stargard Posthalter, Königlicher Postillion und Einwohner auf dem Werder. Gehrcke < 1742 - 1624

26. Der Postillon Nikolaus von Lenau (1802 bis 1850)

1) Lieblich war die Maiennacht Silberwölkchen flogen Ob der holden Frühlingspracht Freudig hingezogen.

2) Schlummernd lagen Wies und Hain, Jeder Pfad verlassen; Niemand als der Mondenschein Wachte auf der Straßen.

3) Heimlich nur das Bächlein schlich, Denn der Blüten Träume Dufteten gar wonniglich Durch die stillen Räume

4) Rauher war mein Postillon, Ließ die Geißel knallen, Über Berg und Tal davon Frisch sein Horn erschallen.

5) Und von flinken Rossen vier Scholl der Hufe Schlagen, Die durch blühendes Revier Trabten mit Behagen.

7) Mitten in dem Maienglück Lag ein Kirchhof innen, Der den raschen Wanderblick Hielt zu ernstem Sinnen.

8) Hingelehnt am Bergesrand War die bleiche Mauer, Und das Kreuzbild gottes stand Hoch, in stummer Trauer

9) Schwager ritt auf seiner Bahn Stiller jetzt und trüber; Und die Rosse hielt er an, Sah zum Kreuz hinüber:

10) "Halten muß hier Roß und Rad ! Mags ´s Euch nicht gefährden: Drüben liegt mein Kamerad In der kühlen Erden!

11) Ein gar herzlieber Gesell! Herr, ´s ist ewig schade! Keiner blies das Horn so hell Wie mein Kamerade.

12) Hier ich immer halten muß, Dem dort unterm Rasen Zum getreuen Brudergruß Sein Leiblied zu blasen!”

13) Und dem Kirchhof sandt er zu Frohe Wandersänge, , Daß es in die Grabesruh Seinem Bruder dränge.

14) Und des Hornes heller Ton Klang vom Berge wieder, Ob der tote Postillon Stimmt ´ in seine Lieder. -

15) Weiter ging ´s durch Feld und Hag Mit verhängtem Zügel; Lang mir noch im Ohre lag Jener Klang vom Hügel. (Auszug)

Romantisch verklärend erzählt Lenau vom Postillion. Doch sehen wir einmal nach den Realitäten. Botenpost gab es schon seit Jahrhunderten. Auch Postverkehr von Thurn und Taxis gibt es viel länger als die Brandenburg-Preußische Post, die 1649 als Staatspost „zuvörderst dem Kauf- und Handelsmanne” zu Diensten sein sollte. Bald gab es Postverbindungen in allen Teilen des Landes. Offenbar war Stargard eine Poststation. Die Post könnte Küstrin mit der Ostsee oder Stettin mit Schneidemühl und Bromberg verbunden haben. Die ersten Postkutschen waren offene, ungefederte Holzwagen. Zu Zeiten unseres Gehrcke dürfte das schon anders gewesen sein. Aber besonders bequem waren die Kutschen auch da nicht, und die Straßen waren ausgefahrene Sandwege. Da ging schon mal ein Rad zu Bruch oder die Achse. Passagiere mußten schieben helfen usw. Postillon war kein romantischer Beruf. Man mußte hart im Nehmen sein und sich zu helfen wissen. So galten die Postillione als grob, trinkgeldgierig und trunksüchtig. Bei Ordnungswidrigkeiten wurden sie wie Soldaten behandelt. Das „lustig schmetternde Horn” diente nicht der Unterhaltung der Fahrgäste oder musikalischen Darbietungen, sondern war ein Signalhorn. Es kündigte mit bestimmten Signalen der Poststation beim Herannahen die Art der Post, Bespannung und manches andere an. Auch wurden Tor- und Schlagbaumwärtern Informationen vermittelt. Deshalb kam auf den Kutschbock nur, wer alle Signale fehlerlos beherrschte. Bei unserem Gehrcke könnte es sich so um eine Aufstiegsposition vom einfachen Arbeiter gehandelt haben, denn sein Vater war Einwohner und Baumannn gewesen. Wegen des zunehmenden Verkehrs gab es in Preußen 1794 ein „Chausseereglement”. So hatten die Fuhr- und Landleute wie auch andere Reisenden die Ordinär- und Extraposten auf Signal des Postillons vorbeizulassen. Unter Strafe stand, wenn das Fahrzeug auf der Landstraße die vorgefundenen Gleise verließ oder der Fuhrmann über sechs Schritte von seinem Pferd entfernt ging. Kamen zwei Fahrzeuge sich entgegen, hatten beide auszuweichen. Bei Hohlwegen mußte sich der ankommende Kutscher durch Peitschenknall oder Hornruf vergewissern, daß ihm nichts entgegen kam.

27. Feldchirurg und Stadtchirung: Gottlieb Friedrich Kob

Gottlieb Friedrich Kob war Arzt in Bartenstein, erhielt 1817 die Approbation und war 1821 approbierter Arzt in Goldap. Er hatte die Tochter des Amtmanns zu Uderwangen geheiratet.

Bartenstein ist eine Stadt, die um eine ca. 1241 vom Deutschen Orden errichtete Burg herum entstanden ist. Im Laufe der Jahrhunderte hat sie immer wieder durch Kriege Schaden genommen. Etwas besonderes war die nach 1332 begonnene und im 15. Jh. fertiggestellte Pfarrkirche, da sie den in Ostpreußen seltenen Typus einer Backstein-Basilika vertrat. Bartenstein war Garnisonstadt von 1698 -1704, 1716 - 1888 und 1935 - 1945. Schon 1729 hatte es ca. 2 000 Einwohner. 1879 war dort ein Landgericht errichtet worden, 1902 wurde es Kreisstadt. Heute heißt es polnisch Bartoszyce.

Goldap geht auf eine Neubesiedlung im 16. Jahrhundert zurück und erhielt 1570 Stadtrecht. Immer wieder kam es zu Zerstörungen durch Kriege. Seit 1719 war es Garnisonsstadt und zählte 1757 2 700 Einwohner. Bekannt war es durch große Vieh- und Pferdemärkte und den zweitgrößten Marktplatz Ostpreußens. Seit 1887 diente die Rominter Heide Kaiser Wilhelm II. als Jagdrevier. Er baute im norwegischen Stil das Jagdhaus Rominten und eine Stabkirche, die Hubertuskapelle. Heute heißt es polnisch Goldap.

10/96 Gottlieb Friedrich Kob 1767 - 1830 <<< 10/97 Marie Elisabeth Fingerhuth 1769 - 1847

28. Pfarrer und Gastgeber Napoleons: Karl Wilhelm Kob

Karl Wilhelm Kob war seit 1794 in Landsberg i. Pr. bei Preußisch-Eylau, zunächst als Diaconus und Rector, 1796 dem Pfr. Neumann adjungiert und ab 1798 als Pfarrer. Am 7.2.1807 nahm Napoleon bei ihm Quartier, ging dann aber sogleich nach Pr. Eylau. Am 17./18.2.1807 übernachtete Napoleon bei ihm. Trotzdem wurde er in jener Zeit durch plündernde Franzosen verwundet. Vermerkt ist auch, daß er Verfasser einer Chronik von Landsberg war.

Nun war es sicher schon etwas Besonderes für einen ostpreußischen Landpfarrer, so hohen Besuch wie den des Kaisers der Franzosen in seinem Haus zu haben. Umstände machte es auf jeden Fall. Aber der Gast war ja als Feind da und machte sicher nicht viel Umstände mit den „Gastgebern”. So hat Karl Wilhelm ihn kaum begeistert begrüßt. Es sei denn, er wäre ein Anhänger der Französischen Revolution gewesen, was wenig wahrscheinlich ist. In kriegerischen Notzeiten, so darf man annehmen, war nach einer solchen Einquartierung auch noch vieles von dem ohnehin ärmlichen Haushalt und den Vorräten weg. Doch der Anlaß für Napoleons Besuch war auch politisch dramatisch. Am 14. Oktober 1806 hatte Napoleon die Preußen bei Jena und Auerstädt vernichtend geschlagen. Die preußischen Truppen waren auf der Flucht, die preußischen Festungen ergaben sich meist kampflos, ausgenommen Kolberg, Danzig und Graudenz. Napoleon marschierte nach Berlin und besetzte es am 27. Oktober 1806. Die preußische Königsfamilie floh nach Ostpreußen. Napoleon forderte von Preußen die Abtretung umfangreicher Gebiete und, daß es mit ihm gegen Rußand Front macht. Trotz weit gediehener Verhandlungen der preußischen Unterhändler, entschied sich Friedrich Wilhelm III., vor allem auf Rat des Freiherrn vom Stein, zum weiteren Kampf an der Seite der Russen. Hierzu bewog ihn auch, daß starke russische Truppen in Polen standen, um dort Aufstände niederzuschlagen. Diese russischen Truppen wurden jedoch von den Franzosen nach Norden gedrängt. Zugleich marschierte Napoleon noch im Winter nach Ostpreußen ein. Am 7./8. Februar 1807 trafen diese französischen Truppen auf preußische und russische Truppen bei Preußisch-Eylau. Wenn Napoleon also am 7. Februar in dem etwa 15 km südwestlich von Preußisch-Eylau gelegenen Landsberg Rast machte und nach Pr. Eylau weiterfuhr, wollte er offensichtlich persönlich in der Schlacht präsent sein. Allerdings verhalf ihm das nicht zum Sieg. Dank des Eingreifens eines preußischen Korps, das von Oberst Scharnhorst beraten wurde, ging die Schlacht unentschieden aus. Napoleon verbrachte den Rest des Winters zunächst in Osterode. Wohl auf dem Weg dahin hat er dann am 17./18.2.1807 in Landsberg übernachtet. Friedrich Wilhelm III. war mit seiner Familie nach Memel, in den äußersten Zipfel seines Reiches geflüchtet. Der russische Zar Alexander hatte sein Hauptquartier in Bartenstein genommen. Nach dem Frühjahr lebten die Kämpfe wieder auf. Am 14.6 1807 siegten die Franzosen über die Russen bei Friedland, 25 km nordöstlich von Preußisch-Eylau. Am 7.-9. Juli 1807 wurde der Frieden von Tilsit geschlossen, der die Großmachtstellung Preußens vernichtete. Karl Wilhelm Kob und seine Familie sind also dicht dran an all ´ dem gewesen.

Karl Wilhelm Kob 1770 - 1836 <<< Jakobine Neumann

29. Kreisphysikus und Sanitätsrat: Gustav Adolf Moritz Kob

Moritz Kob studierte Medizin Michaelis 1817 in Königsberg: Ebenfalls dort erhielt er 1817 die Approbation als praktischer Arzt. Ab Frühjahr 1820 war er in Berlin und wurde dort am 7.1.1823 zum Dr. med. promoviert.1824 wird der praktische Arzt, Geburtshelfer und Dr. med. interimistischer Physikus und dann interimistischer Kreisphysikus in Gerdauen, 1828 wirklicher Kreisphysikus in Gerdauen bis 1831 und 1857 als Kreisphysikus in Lyck genannt. 1861 erhält er den Charakter als Sanitätsrat verliehen und ist Sanitätsrat in Lyck

Bei der Familie existiert ein Blatt, das wie aus einem Ausstellungskatalog aussieht und zwei Gemälde von Carl Wilhelm Tischbein „Bildnis des Ehepaares Kob” darstellt. Die Tischbeins waren eine weit verzweigte Malerfamilie. Der bekannteste war Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1808), der in Rom lebte, mit Goethe befreundet war und das bekannte Goethebild „Goethe in der römischen Campagna” gemalt hat. Carl Wilhelm Tischbein (1791-1855) war ebenfalls Maler und als Hofmaler ab 1829 in Bückeburg tätig. Nach den zur Verfügung stehenden Unterlagen kann es sich bei dem Ehepaar nur um Gustav Adolf Moritz Kob und Laura Marianne Julie geb. Steiner handeln. Da beide um 1825 herum geheiratet haben, könnte es ein Bild zur Hochzeit gewesen sein. Nun waren die Kobs in Ostpreußen nicht betucht, so daß Portraits von einem nicht ganz unbekannten Maler nicht selbstverständlich waren. Vielleicht kam es zu diesen Bildern durch einen Auftrag des Vaters von Julie Steiner, der möglicherweise als Gutsbesitzer und Landrat in Kowalken bei Goldap, später Gutsbesitzer in Gortzitzen, Wert auf Repräsentation legte und die Mittel dazu hatte.

In Gerdauen gab es schon im 13. Jahrhundert die Burg eines Edlen Dirdaw. Es wurde immer wieder durch Brände zerstört. 1818 wurde es Kreisstadt und hatte 1885 2.800 Einwohner. Bekannt war es durch das Kinderhofer Bier. Heute heißt es russisch Shelesnodoroshnyi.

Gortzitzen wurde in der Ordenszeit Gramtzken genannt und einem Hans Deumenreder als adliges Gut mit 20 Hufen an der Grenze zu Masowien übertragen. Dazu gehörte auch das Recht auf „frey fischerey” im Fluß „Rosinszko” „mit allerlei Gezeuge und angeln”. Ihm wurden 10 Freijahre gewährt. Er hatte eine Person zum Waffendienst zu stellen und nach den Freijahren zu Martini 1 Scheffel Korn und 1 Scheffel Weizen, 1 Pfund Wachs und einen Cölmischen Pfennig (Kulmer Pfennig) oder stattdessen 5 preußische Pfennige an die Herrschaft zu Lyck abzuliefern. 1516 verschrieb der Komtur dem damaligen Besitzer, Markus Gromatzke, auch den zugehörigen See. In der Amtsrechnung von 1600/1601 wurden Gut und Dorf Gortzitzen genannt, so auch 1716. Im 19. Jahrhundert gehörte es zeitweilig Hans Steiner. Um 1900 war das Gut Domäne. 1928 wurde der Ort in Deumenrode umbenannt und hatte 1939 187 Einwohner. Heute heißt es polnisch Gorczyce.

11/48 Gustav Adolf Moritz Kob 1798 - 1872 <<< 11/49 Laura Marianne Julie Steiner 1808 (?) - 1870

30. Lyck

1398 wurde hier ein erstes Haus des Deutschen Ordens errichtet. Wenig später dürfte dann eine Siedlung entstanden sein. Lokator war der Pole Bartusch Bratomil. Lyck war die größte Stadt Masurens. Dementsprechend spielte es eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Landes. Es war alte Garnisonsstadt, besaß aber auch die einzige Lateinschule Masurens, die 1813 Gymnasium wurde. Dazu gab es eine deutschsprachige und eine polnischsprachige Grundschule. Zählte es im Jahre 1818 noch 2 300 Einwohner, so waren es 1852 schon 4 200. Lyck lebte vom und für ein weites Einzugsgebiet. Das zeigte sich an den gut besuchten Markttagen. 1860 standen in Lyck 25 Gasthöfe und Schenken für Mensch und Pferd bereit.

In Lyck betätigte sich der aus Polen geflohene Pfarrer Jan Maletius seit 1537 intensiv mit der Übersetzung reformatorischer Schriften ins Polnische. Dies wiederum war für die polnisch sprechenden Masuren von großer Bedeutung. Sein Sohn Hieronymus folgte ihm im Pfarramt und in der Übersetzertätigkeit und betrieb sogar eine Buchdruckerei. Die große Pest von 1709 bis 1711 traf Lyck schwer. Über 200 000 Tote in der Provinz, 1 300 in Lyck. Schlechte Ernährung durch Miß-ernten, Armut und Hunger trugen dazu bei. Bestand doch der Wintervorrat i. d. R. aus braunem Kohl (Grünkohl), trockenen Möhren, Feldrüben, Pastinak sowie Sauerkraut und roten Rüben. Erst die Einführung der Kartoffel um 1780 änderte hier etwas. 1800 erfolgte die Gründung eines Lehrerseminars zur Verbesserung der Lehrerausbildung in Masuren. Noch im Wilhelminischen Reich war es ein bescheidenes Städtchen mit 1867 5300 Einwohnern, 1885 8 600, 1895 11 700 und 1910 13400. Lyck war die erste Stadt Ostpreußens, die russische Truppen am 19.1.1813 befreiten. Zar Alexander I. zog in Begleitung des Freiherrn von und zum Stein und Ernst Moritz Arndts feierlich ein.

Kobs lebten ab 1831 in Lyck. Um diese Zeit wurde Lyck so beschrieben: „Das Städtchen Lyck mit kaum über 2000 (es waren über 3200) Einwohnern bestand 1840 zumeist nur aus einer Straße, die nachmalige Haupt-, heute Kaiser-Wilhelm-Straße, die vom Deutschen Tor bis zum Polnischen Tor reichte, und an die sich nach dem See zu die Bergstraße und die noch heute bestehenden kleinen Quergassen anschlossen, während nach Nordosten zu... nur einige Ausbauten standen, zu denen kaum ein Weg und Steg führte. Diese eine große, dazu noch ungepflasterte Straße war „Lyck”, auf ihr spielte sich das gesamte Leben und Treiben ab, an den Markttagen, besonders aber nach einem tüchtigen Regenguß, muß es ein Vergnügen gewesen sein, in dem aufgeweichten Boden sein Leben zu riskieren. So stand es in seiner zweiten Nummer im „Unterhaltungsblatt” (17. Oktober 1840). Diese einzige Straße war zugleich Marktplatz. Wer zählt die Wagenschar, welche an Markttagen dicht gedrängt bis an die Häuser, den ganze Raum einnimmt! Wo bleibt der Fußgänger? Er muß über die Wagen steigen, muß sich zwischen den Pferden durchdrängen, muß weite Umwege machen .... wo bleibt der Bürgersteig? Diese Klagen hatten ..... am 9. Oktober 1841 Erfolg! Unsere Fahrstraße ist nun fertig! Die Straße gepflastert, Bürgersteige geschaffen....” (Weber S. 162).

Die Stadt Lyck hatte mit dem Stadtrecht auch ein Stadtgericht erhalten. Im 19. Jahrhundert wurde die preußische Gerichtsbarkeit grundlegend reformiert. 1815 wurden „Land- und Stadtgerichte” geschaffen, auch eines in Lyck, dessen Sitz das Schloß war. Nach dem Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 wurden Landgerichte geschaffen, deren eines Lyck erhielt. Dabei wurde Lyck Lötzen vorgezogen, weil es ein angesehenes Gymnasium hatte. Am Luisenplatz wurde hierfür ein Neubau errichtet.

Konrad Walter Kob muß nach 1873 nach Lyck zurückgekehrt sein, da seine Kinder in Wischwill und Lötzen geboren sind. Sein Vater hat wohl von 1831 bis zu seinem Tod 1872 in Lyck gelebt.

Übrigens spielt der Roman „Heimatmuseum” von Siegfried Lenz in Lucknow. Eine Stadt dieses Namens gab es nicht. Aber Kenner sagen, daß Lucknow das alte Lyck widerspiegelt, und Siegfried Lenz stammt auch aus Lyck. Lyck heißt heute polnisch Elk.

31. Teilnehmer an den Freiheitskriegen und Salzinspektor: Karl Wilhelm Kob

Der Jurastudent Karl Wilhelm Kob hatte vielleicht schon 1812 im Rahmen des Armee-Korps Yorck an Napoleons Rußlandfeldzug teilgenommen, war vielleicht Überlebender des furchtbaren Winterkrieges mit den Schlachten um Moskau und an der Beresina und hatte so zu den Truppen gehört, mit denen General Yorck am 30.12.1812 die Neutralitätskonvention von Tauroggen unterzeichnet hatte. Möglicherweise hatte er sich aber auch 1813 mit 43.000 anderen Freiwilligen in Ostpreußen zum Militär gemeldet, um an den Befreiungskämpfen gegen die Franzosen unter Napoleon zu kämpfen. Er hat es dabei zum Leutnant gebracht, und die Stammtafel Kob berichtet, daß er auf dem Schlachtfeld von Ligny schwer blessiert gelegen habe. Später war er Salzinspektor in Tilsit und Inowrazlaw, leitete also die Inspektionsbehörde für die Salzgewinnungsanlagen.

Vermutlich nahm Karl Kob mit dem Infanterie-Regiment von Courbiere (Nr.58) an diesen Kriegen teil; seit Ende des 19. Jh. „Königlich Preußischen Grenadier-Regiment König Wilhelm I. (2. Westpreußisches) Nr. 7”, die „Königsgrenadiere”. Dieses Regiment war am 20.2.1797 errichtet worden. Die Uniform bestand 1797 aus mittelblauem Rock und schwarzem Hut. 1812 hatte das Regiment im Rahmen des Armee-Korps von Yorck am Rußlandfeldzug teilgenommen. 1813/14 hatte es unter anderem bei Groß Görschen und bei der Völkerschlacht von Leipzig gekämpft. Das alles oder Teile davon könnte Karl mitgemacht haben, bevor er bei Ligny schwer verwundet wurde. Es hatte seine Garnison u.a. in Bartenstein. Hier war sein Vater Bataillionsfeldchirurg gewesen. Hier ist er aufgewachsen, und von den ost- und westpreußischen Regimentern fand ich nur für dieses Regiment einen Beleg für die Teilnahme an der Schlacht von Ligny.

Vor dieser Schlacht hatte das Infanterie-Regiment Nr. 58 eine Stärke von 49 Offizieren, 145 Unteroffizieren, 48 Spielleuten, 1922 Mann und 40 freiwilligen Jägern. In der Schlacht fielen 4 Offiziere, 9 Unteroffiziere, 1 Spielmann, 1 Chirurg und 50 Mann. Verwundet wurden 12 Offiziere, 18 Unteroffiziere, 7 Spielleute, 257 Mann und 3 Jäger. Einer von diesen könnte Karl Wilhelm Kob gewesen sein.

Die Schlacht von Ligny am 16.6.1815 war der Auftakt zu der Entscheidungsschlacht der Befreiungskriege bei Belle Alliance / Waterloo gewesen. Der von Elba zurückgekehrte Napoleon verfolgte die Taktik, Preußen und Briten getrennt anzugreifen und jeweils mit überlegenen Kräften zu schlagen. Bei Ligny trafen Franzosen und Preußen aufeinander. Die Preu-ßen unter Blücher wurden geschlagen und flohen ungeordnet in Richtung Osten. Nur Blüchers Generalstabschef Gneisenau, der die Flüchtenden überholte und sich ihnen mit wenigen Begleitern entgegen stellte, gelang es, Truppen wieder zu sammeln. Mit ihnen marschierte er wieder Richtung Westen und traf im letzten Augenblick auf dem Schlachtfeld bei Waterloo ein. Wie groß die Schwierigkeiten der Briten waren, zeigt der überlieferte Ausspruch von Wellington: ”Ich wollte, es wäre Nacht, oder die Preußen kommen”. Die Preußen kamen, und gemeinsam schlug man die Franzosen endgültig.

Karl Wilhelm Kob + 1866 <<< Charlotte Johanne von Milverstädt

32. Burschenschaftler und Pfarrer: August Ferdinand Kob

August Kob studierte Theologie in Königsberg am 10.4.1826, war 1830 Präzeptor zu Norkitten, ab 27. 8.1839 Pfarrer in Eckertsberg und wurde dort eingeführt am 27.10. 1839. Ab 19.11.1845 war er 1. Pfarrer in Ostrokollen, von 1846-1857 Pfarrer in Neidenburg und von 1856-1876 Pfarrer in Jedwabno. Von ihm ist der folgende Text überliefert. Der Anlaß ist nicht bekannt; ebeno wenig, um welche Freiheit es ihm ging. Das Jahr 1830 war aber das Jahr der sog. Pariser Juli-Revolution, die ein Anwachsen der demokratischen Bestrebungen auch in Deutschland zur Folge hatte. Dies wiederum führte in Preußen zu verstärkter Bespitzelung der Demokraten und zu ihrer Verfolgung. Vielleicht sind die Verse im Geist dieser frühen Revolutionäre geschrieben. Zugleich sagen sie auch etwas über das Denken und Formulieren der Burschafter in jener Zeit aus.

Wer Gott vertraut, brav um sich haut, kömmt nimmer auf den Hund und macht er ´s noch so bunt. Dies ihr Brüder des Dezenniums von 1820 bis 1830 war unser Wahlspruch in unseren frohen Burschenjahren; jetzt aber ihr Kommi- litonen aller Dezennien, vereinigt in den hehren, ewig unvergeßlichen Jubeltagen un- serer alma mater unsern Seelen zum ewigen Bruderbunde das hohe thatkräftige Wort. Wer die Wahrheit kennt und sagt sie nicht Das ist fürwahr ein erbärmlicher Wicht. Frei ist der Geist: Der Geist der freien Wissenschaft! (Zitiert nach Römer)

11 August Ferdinand Kob 1807 - 1877 <<< 11 Minna Schellong 1810 - 1861, 11 Franziska Stengel 1826 - 1876

33. Soldat in Friedenszeiten: Albert Kob und Guido Kob

Albert Kob wurde Offizier. Über seine Karriere wissen wir folgendes: 1837 Portepée-Fähnrich im 4. Inf. Rgt. in Königsberg, 1839 Sekonde-Leutnant, 1852 Premier-Leutnant, 1854 Abschied. Das ist eigentlich nichts Besonderes. Aber möglicherweise hat er an einem besonderen Ereignis 1851 in Berlin teilgenommen. 1851 nahm nämlich eine Deputation dieses Regiments mit allen Fahnen an der Enthüllung des Denkmals Friedrichs des Großen in Berlin teil. Vielleicht ist Albert Kob dabei gewesen. Und dann wird hier deutlich, wie sehr Preußen in den Jahren 1848 ff. die Unruhen und Freiheitsbestrebungen in Polen fürchtete. Deshalb findet er hier Erwähnung.

Das Königlich Preußische Grenadier-Regiment König Friedrich I. (4. Ostpreußisches) Nr.5 trug ab 10.3.1823 den Namen 5. Infanterie-Regiment, ab 4.7.1860 4. Ostpreußisches Grenadier-Regiment (Nr.5), ab 7.5.1861 4. Ostpreußisches Grenadier-Regiment Nr.5 und ab 27.1.1899 den zuerst genannten Namen. Seine Garnisonstädte waren Danzig, Posen und Liegnitz. Eingesetzt war es 1848/51 bei der Besetzung der polnischen Grenze. Die Uniform der Offiziere bestand ab 1808 aus dunkelblauem Frack mit hohem rotem Kragen und blauen, mit silbernen Tressen eingefaßten, Schulterklappen.

11 Albert Kob 1814 - 1886 <<< 11 Elisabeth Leßmann

Auch Guido Kob wurde Offizier, Leutnant im Inf. Regt. 36, schied aber schon 1853 aus dem Militärdienst aus. Als junger Offizier hat er wohl an der Bekämpfung der revolutionären Unruhen im Rheinland teilgenommen.

Das Infanterie-Regiment Nr. 36 war das Königlich Preußische Füsilier-Regiment General-Feldmarschall Graf Blumenthal (Magdeburgisches) Nr.36. Es ist am 13.12.1815 errichtet worden unter dem Namen 34. Infanterie-Regiment, trug ab 12.2.1816 den Namen 36. Infanterie-Regiment (4. Res.) und ab 22.12.1900 den eingangs erwähnten Namen ; seine Garnison war ab 1833 Saarlouis und ab 1849 Luxemburg. 1848 wurde es bei der Bekämpfung von Unruhen im Rheinland eingesetzt. Die Uniform bestand ab 1842 aus Helm mit eckiger Vorderschiene, blauem Waffenrock mit einer Reihe gelber Knöpfe, Kragen blau mit roten Patten, Feldmütze blau mit roten Besatzstreifen

12 Guido Kob * 1829

34. Richter in Ostpreußen, in Meseritz und in Berlin: Konrad Walter Kob

Konrad Kob machte das Abitur 1853 am Gymnasium in Lyck, wurde1859 vom Auskultator zum Tribunal-Referendar ernannt, 1862 Gerichts-Assessor, war dann Assessor in Russ, 1865 Gerichtsassessor als Kreisrichter beim Kreisgericht Ragnit mit Funktion Wischwill, Kreisrichter in Lötzen und Oletzko (Marggrabowa), Landgerichtsrat in Lyck, Landgerichtsdirektor in Meseritz und schließlich in Berlin. Als Premierleutnant und Kompanieführer nahm er am deutschfranzösischen Krieg 1870/71 teil und dabei an der Belagerung von Neu-Breisach (Waldecksches Korps). Er erhielt das EK II. Zuletzt wohnte er in Berlin-Kreuzberg, Kreuzbergstraße 71.

Nach seinem Tod zog seine Witwe nach Königsberg i. Pr., womit aus den Masuren-Kobs Königsberger Kobs wurden. Anna Luise Kob erinnert sich an ihre Großmutter väterlicherseits als im Sessel am Fenster sitzend und über einen Spion das Leben auf der Straße beobachtend. Ihr Vater Martin sen. ging mittags immer zum Kaffee zu ihr. Sonntags besuchte die Familie sie, auch mit Lore Lippold. Die Großmutter wohnte im Roßgarten, Kalthöfsche Straße.

In der Illustrierten Geschichte des Krieges 1870/71 der Union Deutsche Verlagsgesellschaft finden sich Beschreibungen der Belagerungen von Schlettstadt und Neu-Breisach. Die Belagerung von Schlettstadt fand vom 22.10.1870 bis 24.10 1870 statt. An ihr war die Ostpreußische Landwehrbrigade unter Oberst von Zimmermann beteiligt. Als nicht mehr aktiver Soldat und Reservist gehörte Konrad Walter Kob zur Landwehr. Da die ostpreußische Landwehr offenbar in einer Brigade (zwei Regimenter, ca. 8.000 Mann) zusammen gefaßt war, müßte er dazu gehört haben. Die eigentliche Belagerung von Neu-Breisach fand vom 2.11. bis 11.11. 1870 statt. Allerdings war Neu-Breisach schon vorher umzingelt von Truppen, die Anfang Oktober über den Rhein gesetzt waren. Gegen diese Truppen machte der große Teil der Besatzung von Neu-Breisach am 5. Oktober 1870 einen Ausfall. Der wurde vom Landwehr-Bataillion Goldap „kräftig zurückgeschlagen”. Das paßt zusammen, wenn nicht die ganze Brigade vor Schlettstadt stand, sondern zumindest ein Bataillion schon vorher vor Neu-Breisach. Und da bei Konrad Kob Neu-Breisach erwähnt ist und eine Auszeichnung, könnte es sein, daß er zu diesem Bataillion gehört und sich bei diesem Ereignis ausgezeichnet hat.

Im Januar 1991 hielten Bärbel und ich uns in Berlin auf und suchten Spuren der Familie. Dabei gingen wir auch den spärlichen Informationen der Stammtafel Kob nach. Am 8.1.1991 notierte ich folgendes: „Das Wohnhaus Kreuzbergstraße 71, in dem er gewohnt hat, steht noch. Es macht aber einen heruntergekommenen Eindruck. Aus den Fenstern werden wir beim Schauen und Photographieren argwöhnisch betrachtet. Auf dem Zwölf-Apostel-Friedhof in der Kolonnenstraße ist das Büro offen. Wir erfahren, daß der Friedhof 1890 angelegt wurde, daß Konrad Kob am 5.5.1892 beigesetzt wurde, daß die Grabstelle die Nr. 1-13-9 hatte und daß sie erst 1978 neu belegt wurde. Wir sind betroffen, daß sich vorher niemand aus der Familie ausgekannt hat und daß das Grab nicht hatte gerettet werden können. Der Friedhof war wohl ein Prominentenfriedhof. Alte Gräber mit bekannten Namen sind noch erhalten.”

Das Wohnhaus in der Kreuzbergstraße liegt unmittelbar am Kreuzberg mit rückseitigem Blick auf den Park. Vom Kreuzberg aus hat man noch heute einen weiten Blick über Berlin. Oben steht ein Denkmal, das an Schlachten der Befreiungskriege erinnert. Auf dem Friedhof findet man u.a. die Grabstätte des Hausarztes von Theodor Fontane, Dr. Delhaes. Mit einem Klaus-Jürgen Delhaes bin ich zusammen in die Schule gegangen. Ruß und Wischwill waren kleine Städte. Wischwill hatte einen hohen litauischen Sprachanteil. Ruß war wohlhabend und hatte 1869 2.200 Einwohner. Die Bevölkerung war ethnisch und religiös durch den Handel mit Rußland gemischt. Jüdische Holzhändler kauften hier Holz auf und transportierten es über die Memel nach Memel. Über kleine Flöße auf kleinen Flüssen kam das im Winter geschlagene Holz nach Ruß und wurde auf der Memel zu größeren Flößen und die wieder zu 120 m langen und 20 m breiten Triften zusammengefügt. Flößer in langen Kaftanen mittels baumlanger Ruder, den Putschienen, lenkten die Triften. Eine Holzhütte auf diesen, die Schafferne, diente dem Führer, dem Schaffer, und seinen Gehilfen.12/24 Konrad Walter Kob 1835 - 1892 <<< 12/25 Luise Friederike Maria Hoffmann 1838 - 1930

 

III. Hugenotten und Pfälzer als Vorfahren

1. Die Hugenotten

Über Magdalena Sonnemann, die Frau von Martin Kob sen. gibt es hugenottische Vorfahren der heutigen Kobs. Allerdings hat es mit dieser Kategorisierung seine besondere Bewandtnis. Die Herkunft des Begriffs „Hugenotte” ist nicht ganz klar. Es könnte sein, daß er von „Eidgenosse” kommt, denn die frühe französische Form war „Eignots”. Unter Hugenotten versteht man französische Glaubensflüchtlinge, die auch in Deutschland und in Brandenburg-Preußen Aufnahme gefunden haben. Hierzu kam es, weil die Reformation auch in Frankreich viele Anhänger gefunden hatte. Allerdings wollten die französischen Könige dies von Anfang an mit aller Macht und Gewalt verhindern, weil sie eine Schwächung ihrer Zentralmacht durch die freiheitlich gesinnten und bei den Calvinisten eher demokratisch organisierten Protestanten befürchteten. Ab 1524 gab es immer wieder Beschlüsse und Edikte, die den neuen Glauben bei Todesstrafe verboten. Allerdings hingen dem neuen Glauben vor allem der Adel, Wohlhabende und Gebildete an, die sich damit nicht abfinden wollten. Sie hielten sich eigene Heere, um sich zu verteidigen. Insgesamt zehn sogenannte Hugenottenkriege wurden deshalb zwischen 1562 und 1629 geführt. Zwischen Phasen der Verfolgung und der Kriege gab es immer wieder auch friedliche Zeiten. In die Geschichte besonders eingegangen sind: der protestantische General Coligny; die Batholomäusnacht (Pariser Bluthochzeit) im Jahre 1572, als bei der Hochzeit Heinrich von Navarras mit der Tochter der Katharina von Medici die als Gäste anwesende Führungsspitze der Protestanten ermordet wurde; der Übertritt Heinrichs IV. zum katholischen Glauben mit der Aussage „Paris ist eine Messe wert” 1593; die sogenannten Dragonaden, bei denen Dragoner-Regimenter in protestantische Städte und Dörfer gelegt wurden, um die Bewohner so lange zu peinigen, bis sie konvertierten; das Edikt von Nantes 1598 mit der Duldung der Protestanten. Das Edikt von Nantes führte zu einer längeren, relativen Beruhigung. Am 18. Oktober 1685 allerdings unterzeichnete König Ludwig XIV. die Urkunde über die Revokation des Edikts von Nantes. Die öffentliche Ausübung des protestantischen Gottesdienstes wurde verboten. Der Abbruch der protestantischen Kirchen wurde befohlen, woraufhin sofort 400 Kirchen zerstört wurden. Die Pastoren wurden des Landes verwiesen und die Protestanten verpflichtet, ihre Kinder katholisch zu erziehen. Die Auswanderung wurde verboten und das Vermögen der bereits Ausgewanderten und nicht Zurückkehrenden konfisziert. Nachdem schon vorher immer wieder Protestanten außer Landes gegangen waren, führte dies zu einer großen Fluchtbewegung. Als Zufluchtsländer boten sich zunächst die Niederlande und Großbritannien an, dann wegen der Veränderung der Situation in diesen Ländern mehr und mehr deutsche Staaten.

Hier ist besonders Brandenburg mit dem Toleranzedikt von 1685 zu nennen. Am 8.11.1685 erließ der Große Kurfürst das Edikt von Potsdam und rief damit die Hugenotten ins Land. Das Edikt wird bis heute als ein Beispiel für brandenburg - preußische Toleranz gepriesen. Im Vergleich zu den Zeitgenossen war der Kurfürst sicher auch tolerant. Aber nicht im heutigen Sinne. Er brauchte Siedler, denn sein Land war nach dem Dreißigjährigen Krieg verwüstet und hatte 30 % der Bevölkerung verloren. Auch waren die Kurfürsten reformiert, während das Land lutherisch geblieben war; der Kurfürst hatte seine eigene Konfession nicht durchsetzen können. So suchte er Reformierte als Gegengewicht zu den Lutheranern. Das Edikt spricht denn auch davon, daß Christen gleichen Glaubens aufgenommen werden sollen, also Reformierte. Deshalb hatte der Kurfürst auch schon am 24.11.1683 den Rat der Stadt Bern um Vermittlung von Siedlern gebeten, natürlich weil dieser reformiert war und weil man aus dem Kanton Bern mit reformierten Siedlern rechnen konnte. Ähnliches galt für die Waldenser und Holländer, unter ihnen Mennoniten, und dann unter Friedrich II. für die Pfälzer. Nicht reformierter Herkunft waren dagegen die lutherischen Salzburger. In der Regel wurden die Neuankömmlinge durchaus mit Privilegien ausgestattet. Allerdings darf man aus all dem nicht folgern, daß alle Religionen in Preußen gleiche Rechte genossen. Den Katholiken und den Juden etwa wurde erst im 19. Jahrhundert Gleichheit gewährt. Toleranz im 17. und 18. Jahrhundert hatte eben noch wenig mit der sich nach der französischen Revolution entwickelnden Religionsfreiheit zu tun. Den Hugenotten aber half das. Zehntausende fanden eine neue Heimat in Brandenburg -Preußen. Und sie brachten Fachkenntnisse mit, als Offiziere und Bankiers, als Bauern und Gärtner, als Goldschmiede und Büchsenmacher, als Weber und Tapetenproduzenten, um nur einige zu nennen. Nicht, daß es so etwas vorher nicht gegeben hätte, aber Weizen und Kartoffel, Erbsen und Bohnen, Blumenkohl und Spargel, Salat und Spinat, Karotten und Suppenkräuter wurden erst durch die Hugenotten allgemein gebräuchlich. Sie züchteten Blumen und Obstbäume und brachten den Tabakanbau mit. Die Hugenotten brachten den Berlinern Hackfleisch (Bulette) und Weißgebäck (Schrippe) bei. Die erste Brühwurst produzierte in Berlin ein Hugenotte. Hugenotten auch gründeten die erste Weißbierbrauerei. Aber auch ihre Beiträge zu den Künsten und Wissenschaften ist bedeutend; man denke nur an die Charité oder Theodor Fontane. Sie leisteten eben einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau Preußens.

Halten wir also fest, daß die Hugenotten aus Frankreich kamen. Mit den Kob ´schen Vorfahren verhält es sich aber etwas anders. Für die Dupont, Goffrier, Urbain und Villain werden der Hennegau und für Vaquier Flandern als Heimat angegeben. Für andere mag das auch gelten. Der Hennegau aber ist eine alte Grafschaft, die nach wechselnden Herren schließ-lich zu den Niederlanden gehörte. Flandern war ebenfalls eine niederländische Landschaft. Betrachtet man das heute auf der Karte, gehört ein schmaler südlicher Streifen dieses Gebietes zu Frankreich. Nördlich davon befindet sich Belgien und noch weiter nördlich die Niederlande. Um 1660 unterschied man jedoch die spanischen Niederlande (ungefähr heutiges nördliches Frankreich und Belgien) und die Vereinigten Niederlande (ungefähr die heutigen Niederlande). In den spanischen Niederlanden und heutigem Belgien liegt die Stadt Mons, früher Berg genannt, aus deren Umgebung die meisten Vorfahren der Kobs kamen.

Die Niederlande hatten zur Zeit der Reformation und danach zu Spanien gehört. König Philipp II. von Spanien hatte nicht nur in seinen Stammlanden sondern auch in den Niederlanden versucht, den Protestantismus zu verhindern und hatte die Protestanten dann verfolgt. Schon ab Mitte des 16. Jahrhunderts hatten Protestanten aus den Niederlanden flüchten müssen. Dazu gehörte die Strafexpedition des Herzogs von Alba ab 1567. Diese führte zu einem jahrzehntelangen Freiheitskrieg in den Niederlanden. Wir Älteren haben in der Schule noch Willhelm Raabes „Schwarze Galeere” gelesen und von den Geuzen geschwärmt. 1581 riefen die „Generalstaaten der sieben vereinigten Provinzen”, der Nordprovinzen, ihre Unabhängigkeit aus. In der Folgezeit entwickelten sich diese Nordstaaten sehr dynamisch, wurden ein Vorzeigestaat und eine Kolonialmacht, die Engländern und Spaniern die Stirn bot. In den verbliebenen „Spanischen Niederlanden” gab es diese Entwicklung nicht, sie wurden mit all ´ den Unterdrückungsmaßnahmen, die im habsburgischen Reich dazu gehörten, rekatholisiert. 1609 gab es einen Waffenstillstand in den Unabhängigkeitskriegen zwischen Spanien und den Niederlanden. Es folgte der dreißigjährige Krieg und danach ein Erstarken Frankreichs, das nun unter Ludwig XIV. nach verschiedenen Seiten expandieren wollte. 1667/68 ging Frankreich erfolgreich gegen die spanischen Niederlande vor. 1672 bis 1678 kämpfte es gegen die Generalstaaten erfolgreich. 1688 bis 1697 eroberte es im sog. Pfälzischen Erbfolgekrieg die Pfalz und verwüstete sie. Diese Kriege, die immer mit französischen Landgewinnen endeten, bedeuteten, daß jeweils die Protestanten durch die weiterhin praktizierte antiprotestantische Politik Frankreichs bedroht waren. Aber die Gegend um Mons gehörte dazu nicht, sie blieb spanisch und konnte erst 1691 von den Franzosen erobert werden. So erklärt sich die Flucht der Kobschen Vorfahren nicht aus der Situation der Protestanten in Frankreich sondern aus der in den spanischen Niederlanden. Im allgemeinen Verständnis wird das aber nicht so differenziert gesehen. Da zählen sie auch zu den Hugenotten. Als Wallonen sprachen sie ja auch französisch.

Auch etwas anderes muß man noch unterscheiden. Die Hugenotten, die nach Groß-Ziethen kamen, kamen 1686 über die Pfalz, wo sie sich schon länger oder kürzer aufgehalten hatten. Michel Vaquier war 1672 nach Flomersheim bei Friesenheim (heute Frankenthal) gekommen. Die Duponts hatten schon seit 1651 den Hembshof bei Friesenheim ( Hemsheim ist heute ein Stadtteil von Ludwigshafen) gepachtet. Die Hugenotten, die nach Klein-Ziethen kamen, kamen direkt aus dem Hennegau. Der Kirchenchronik kann man entnehmen, daß letztere wohl in der alten Heimat katholisch geworden, heimlich aber evangelisch geblieben waren. Mußten sie doch 1886 zunächst dem katholischen Glauben abschwören. Zu ihnen hatte Jean Gaufriè gehört. Bis dahin hatten sie noch in der alten Heimat ausgehalten. 1686 folgten dann beide Gruppen der mit dem Toleranzedikt ausgesprochenen Einladung. Ein Motiv dürfte gewesen sein, daß sie nach dem Toleranzedikt nicht in eine ungewisse Zukunft fliehen mußten. Konnten sie doch jetzt sicher sein, gern aufgenommen zu werden, und kannten sie auch die Bedingungen. Die Fluchtbewegung insgesamt zog sich auch jetzt über einen längeren Zeitraum hin, immer wieder kamen Einzelne und Gruppen.

2. Groß-Ziethen und Klein-Ziethen

Beide Dörfer liegen etwa 11 Kilometer südwestlich von Angermünde. Die Namen wurden im Mittelalter als Cythene, Scythen magna und Cyten parva bezeichnet. Hammer leitet den Namen von zit, altslawisch ziti, für Leben her. Manoury vermutet, daß Groß und Klein-Ziethen nicht mit der Größe zu tun haben sondern daß sie so viel wie Deutsch- und Wendisch- Ziethen bedeuten. Beide Dörfer gehörten im Laufe der Jahrhunderte verschiedenen Herrschaften an, wurden aber in der Reformationszeit kurfürstlich.

Groß-Ziethen wurde im Dreißigjährigen Krieg zerstört, nur zwei Bauern und einige Witwen blieben übrig. Die meisten Bewohner kamen ums Leben. Im Jahre 1686 wurde es dann mit Hugenotten besiedelt. Nach einem Bericht des Pfarrers Thérémin aus dem Jahre 1752 kamen die Groß-Ziethener zum großen Teil aus Mannheim, Mutterstadt und Frankenthal. Aus Mutterstadt kam von unseren Vorfahren David Dupont, aus Flomersheim bei Frankenthal (heute Ortsteil von Frankenthal) kam Michel Vaquier. Für diese beiden war die Pfalz nur eine Durchgangsstation. Bei den Hugenotten aus der Pfalz muß man davon ausgehen, daß ein Teil schon länger in der Pfalz gelebt hatte. Michel Vaquier von 1673-1683. Von den Duponts weiß man, daß sie seit 1651 den zur Gemeinde Friesenheim gehörenden Hembshof (heute Stadtteil Hemshof von Ludwigshafen) gepachtet hatten, ein pfälzisches Staatsgut. Nun winkte ihnen in der Uckermark eigener Besitz. Da häufig Verwandte oder Bekannte gemeinsam in die Fremde zogen, darf man annehmen, daß in Groß-Ziethen Pierre und David Dupont verwandt waren. Zugleich eröffnet das die Möglichkeit, daß auch David vorher in Friesenheim, heute Stadtteil von Ludwigshafen, gewesen war. Der Wanderweg der Groß-Ziethener ist nicht mehr bekannt. Vermutlich kamen sie über Frankfurt, wo der Rat Merian im Auftrag des Brandenburger Kurfürsten Hugenotten sammelte, sie betreute und den Weg nach Berlin organisierte.

Für Groß-Ziethen sind Lagepläne von 1686 und 1726 erhalten. Von den Kob ´schen Vorfahren sind dort als Hofbesitzer ausgewiesen: Michel Vaquier Nr. 3 und David Dupont Nr. 23 und 24. Neben den Neuankömmlingen gab es noch den deutschen Lehnschulzen Lehmann und den „Wildschützen”, also den Unterförster. Daneben gab es einen „französischen” Schulzen. Zu den Neuankömmlingen gehörten auch nicht nur Bauern. Da sie aus religiösen Gründen gekommen waren und eine andere Konfession als die einheimischen Lutheraner hatten, bekam Groß-Ziethen auch einen Pfarrer und einen Lehrer, die Klein-Ziethen mitversorgten. Natürlich gab es in Groß-Ziethen einen Krug. Das besondere aber ist, daß dieser Krug abwechselnd, je für drei Jahre, von den Bauern betrieben wurde. Es gab also keinen festen Krüger. 1748 wurden in der Kirche die bekannten Tafeln mit den 10 Geboten in französischer Sprache angebracht. Sie haben 6 Taler gekostet. Die Seelenzahl betrug im Jahr 1700 123.

Im Mai 1990 waren auf dem Friedhof Grabsteine zu finden von Wilhelm Dupont 23.5.1857 - 27.2.1941, Wilhelm Urbain 7.10.1866 - 19.4.1932 und August Villain 1.9.1847-20.12.1918

Klein- Ziethen wurde im Jahre 1637 zerstört, nur ein Bauer und ein Kossät überlebten. Hier waren im Jahre 1680 vier Höfe vorhanden. Im Jahre 1686 wurden Hugenotten angesiedelt. Nach einem Bericht des Pfarrers Thérémin aus dem Jahre 1752 sind die Klein-Ziethener aus Wasmes und der Pasturage de Carignan gekommen. Von Pierre Gaufrié wissen wir, daß er aus Pasturage de Carignan kam. Thérémin berichtet auch, daß ihre Vorfahren im Jahre 1685 alle „dem Papismus” abgeschworen hätten., und zwar in Maastricht vor dem Pastor le Faucheur. Als dieser überrascht war wegen ihrer guten Kenntnisse, fragte er, wer sie so gut unterrichtet habe. Darauf antwortete einer dieser Wallonen: „Niemand! Wer kann zu Gott gehen, wenn Gott ihn nicht zieht?” Dies hätte den Pastor veranlaßt, ihnen das Zeugnis auszustellen, sie seien Leute, belehrt von Gott. Es ist zu vermuten, daß sie seinerzeit offiziell katholisch geworden waren, heimlich aber evangelisch blieben. Manoury vermutet, daß sie nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 wegzogen, um offen als Protestanten leben zu können. Allerdings war Mons spanisch und nicht französisch, sodaß wohl eher das Toleranzedikt die Motivation hergab.

Diese Klein-Ziethener Wallonen kamen nicht über die Pfalz sondern über Maastricht. Von dort ging es zur brandenburgischen Festung Wesel, wo sie gesammelt wurden. Dann dürfte es die alte Poststraße entlang gegangen sein über Burbaum - Olfen - Lünen - Hamm - Hultrop - Lippstadt - Neukirchen - Bielefeld - Herford - Rehme - Minden. Hier kamen sie am 18.6.1686 an. Von dort ging es weiter über Luhden - Oldendorf - Hohnsen - Elze - Hildesheim - Nettlingen - Beinum - Hornburg - Zilly - Halberstadt - Heimersleben - Wansleben - Magdeburg - Nedlitz - Hohenziatz - Ziesar - Brandenburg - Großkreuz - Potsdam - Zehlendorf nach Berlin. Diese Orte waren immer 1 ¾ bis 3 ½ Meilen von einander entfernt, also 13 -26 km. Man darf annehmen, daß der Weg von der Mehrzahl zu Fuß zurück gelegt wurde. Und das galt für Männer, Frauen und Kinder. Beim Tode von Vincent Rouvel wurde gesagt, er sei 1685 auf der großen Straße bei Wesel geboren. Mehr bedarf es nicht, um zu überlegen, was die Frauen geleistet haben. Vermutlich war das aber erst 1686 und vermutlich waren sie dann im Juli in Chorin. Einer dieser Bauern mit Namen Gaufrié (Goffrier), wohl unser Vorfahr, hatte seine Frau und seine Kinder in den Niederlanden gelassen und war nach Brandenburg gekommen, um zu sehen, ob das Land gut sei. Als er dies festgestellt hatte, kehrte er wieder zurück zu seiner Familie und brachte sie in die Uckermark. Als er dort war, soll ihn sein Gewissen gequält haben, weil er seine Religion nicht so geliebt hatte, daß er um ihretwillen überall hingegangen wäre, sondern erst die Güte des Ackers untersucht hätte.

Für Klein-Ziethen ist der Lageplan von 1686 überliefert. Von den Kob ´schen Vorfahren sind als Hofbesitzer ausgewiesen: Jean Gaufrié Nr. 12 (?), Pierre André Nr.6, seit 1702 Witwe Ouart = Nicole Goffrier, Charles Vilain Nr. 9 seit 1690, ab 1712 Jaques Urbain (?), Jaques Urbain Nr.15. In Klein-Ziethen wohnten neben den Neuankömmlingen noch zwei deutsche Bauern. Die Seelenzahl für Klein-Ziethen betrug im Jahre 1700 234, weil neue Zuwanderer hier vorübergehend untergebracht waren, ging dann aber 1701 auf normale 105 zurück.

Die Darstellung folgt Manoury S. 81 ff.

3. Über Frankenthal in die Uckermark: Michel Vaquier (Vaqué, Vagnier)

Michel Vaquier ist 1695 in Groß-Ziethen gestorben. Seine Heimat ist unbekannt. Aber von etwa 1673 bis 1683 hat er sich in Flomersheim in der Pfalz aufgehalten. Flomersheim ist heute ein Stadtteil von Frankenthal. In Groß-Ziethen kaufte er am 8.4.1687 den Hof Nr. 3 nach dem Lageplan von 1686 von Steffen le Nain. Seine Witwe heiratete noch 1695 Pierre Ro (Rotte) aus Flandern, der den Hof übernahm. Nach dem Lageplan von 1726 gehörte Pierre Ro der Hof Nr. 13, der dann aber an Pierre Vaquier fiel. Zumindest 1942 standen unter den ältesten Häusern Groß-Ziethens noch das 1686 von Ro gebaute und daneben ein von ihm und seinem Stiefsohn Vaquier gebautes. Es scheint also so, daß die Familie Ro-Vaquier zwei bis drei Höfe besaß und daß diese an die Vaquier-Söhne gingen. Der Hof Nr. 3 hatte vier Hufen á 20 Morgen; Michel war also Bauer. Außerdem gehörten ihm 2 Pferde, 5 Kühe, 3 Stück Jungvieh, 10 Schafe, und er bestellte 10 Morgen Wintergetreide und 8 Morgen Sommergetreide (Liste von 1696). Das Haus war nach deutscher Art gebaut. (Manoury S. 81 ff, Gahrig S. 310 f.).

5/3486 Michel Vaquier + 1695

4. Kossät in Klein-Ziethen: Jaques Urbain

Jaques Urbain ist 1714 in Klein-Ziethen gestorben. Nach Manoury gehörte er zur ersten Hugenottengruppe, die direkt aus Wallonien gekommen war. Der Lageplan von 1686 weist ihn als Besitzer des Hofes Nr. 13 aus. Das Bestandsverzeichnis zählt für diesen Hof auf: 1 ½ Hufen, 2 Pferde, 2 Ochsen, 3 Kühe, 4 Stück Jungvieh, 8 Morgen Wintergetreide und 10 Morgen Sommergetreide, Haus französischer Art und Herkunft Hennegau. Offenbar hat er 1712 den Hof von Charles Vilain übernommen. Das machte Sinn, denn die Höfe in Klein-Ziethen waren alle gleich groß, mit 1 ½ Hufen aber Kossätenhöfe und zu klein zum Überleben. Es könnte aber auch sein, daß die beiden Höfe durch die Heirat der Kinder in eine Hand kamen. (Manoury S. 81 ff.).

6/1636 Jaques Urbain + 1714

5. Winkel-Vilain : Charles Villain (Vilain)

Von Charles Villain ist überliefert, daß er aus Groß-Ziethen kommt und am 14. August 1712 54 Jahr gestorben ist. Nach dem Lageplan von 1686 hatte in Groß-Ziethen Gaspard Villain den Hof Nr. 18. Es gab aber noch den Kossätenhof Nr. 28, der ebenfalls einem Vilain gehörte, dessen Vornamen aber nicht genannt wird. Da der Hof in der Ecke der Dorfanlage lag, wurde der dortige Vilain Winkel-Vilain genannt. Das könnte Charles Villain gewesen sein. Denn ein Charles Vilain kaufte erst am 1.6.1690 in Klein-Ziethen von Charles Lancet den Hof Nr. 9 nach dem Lageplan von 1686. Vermutlich war dies unser Charles, und er war von Groß-Ziethen nach Klein-Ziethen gezogen. Da für Tochter Anne Klein-Ziethen als Herkunft genannt ist und diese einen Urbain geheiratet hat, spricht alles für diese Version. Mit dieser Heirat ging der Hof auch an Urbain. (Manoury S. 81 ff., Gahrig S. 310, 312).

6/1738 Charles Villain + 1712

6. Mittellos in der Fremde: Charles Ouart

Charles Ouart ist am 1. September1703 in Groß-Ziethen gestorben. Nach Manoury (S. 81 ff.) kamen im Jahre 1700 27 völlig mittellose Wallonen-Familien, für deren Start der Kurfürst 500 Taler stiftete. Die meisten zogen schnell weiter. In Groß-Ziethen blieb eine, in Klein-Ziethen blieben zwei, darunter Ouhart (Ouart). Das müßte Charles Ouart gewesen sein, auch wenn die AT erwähnt, daß er 1703 in Groß-Ziethen gestorben sei. Der Lageplan weist außerdem unter Nr. 6 Pierre André aus und seit 1702 Witwe Ouart. Diese müsste Nicole Goffrier sein. Allerdings passen das Todesdatum und die Hof-übernahme nicht zusammen. Nach Gahrig (S. 215) kam seinerzeit eine Familie Ouart aus Carignan bei Mons nach Schmargendorf

6/1740 Charles Ouart + 1703

7. Witwe mit Hof: Nicole Goffrier (Gaufrié)

Nicole Goffrier ist wohl 1653 geboren und am 22. Dezember1738 in Klein-Ziethen 85 Jahre alt gestorben. Ihre Heimat war der Hennegau (Haynault). Sie gehörte wohl zu der Gruppe, die 1686 über Maastricht-Wesel gekommen war. Da für den ebenfalls mitgekommenen Pierre Gaufrié (Verwandtschaft ist wahrscheinlich) die Pasturage de Carignan (Paturage) bei Mons als Heimat angegeben ist, könnte das auch für sie gelten. Der Lageplan für Klein-Ziethen von 1686 weist für Hof Nr. 6 ab 1702 die Witwe Ouart als Besitzerin aus. Nach den Familienunterlagen war sie mit Charles Ouart verheiratet, der nach diesen Unterlagen auch erst 1703 gestorben ist. Sollte das ein Irrtum sein, könnte sie nach seinem Tode den genannten Hof erworben haben. Die Familie Ouart ist für Klein-Ziethen bei Manoury erwähnt, für Schmargendorf bei Gahrig. Ein anderer Ouart ist nicht genannt. Die Schmargendorfer Familie stammte aus Carignan bei Mons. (Manoury S. 81 ff.).

6/1741 Nicole Goffrier 1653 - 1738

8. Über Ludwigshafen in die Mark : David Dupont (du Pont)

David Dupont lebte in Groß-Ziethen und ist dort am 4.September 1730 gestorben. Er war mit Esther Vagnier verheiratet. Die Duponts kamen ursprünglich aus dem Hennegau. Sie hatten seit 1651 den Hembshof bei Friesenheim (Hemshof und Friesenheim sind heute Stadtteile von Ludwigshafen) gepachtet. David ging dann offenbar nach Mutterstadt. Er kam mit einigen Söhnen aus Mutterstadt in der Pfalz und besaß die Höfe 23 und 24 nach den Lageplänen von 1686 und 1726. Den Hof Nr. 24 verkaufte er 1717 an Devantier. Der Hof 23 hatte 4 Hufen á 20 Morgen, so daß David Bauer war. Er besaß 2 Pferde, 3 Ochsen, 3 Kühe, 5 Stück Jungvieh und baute 9 Morgen Wintergetreide und 6 Morgen Sommergetreide an. Das Haus war zunächst nach französischer Art und dann fester nach deutscher Art gebaut (Liste von 1696). Nach Manoury ist David Dupont bereits 1707 verstorben. (Manoury S. 81 ff., Gahrig S. 310,312).

6/1742 David Dupont + 1730 <<< 6/1743 Esther Vagnier + 1749

9. Ein Pfälzer und Marlene Dietrich: Henri Horst

Er ist wohl 1730 in der Pfalz geboren und am 31. Januar 1809 79 Jahre alt gestorben. Er wird als reformierter Kolonist aus der Pfalz erwähnt. Mit anderen Pfälzern kam er unter Friedrich dem Großen nach Schmargendorf. Da sein Sohn 1768 in der Pfalz geboren ist, muß er danach nach Schmargendorf gekommen sein (Gahrig S. 214f.).

Auf dem Friedhof in Schmargendorf erinnert ein Grabstein für Conrad Dietrich (1.4.1858 - 26.7.1909) an die Familie Dietrich, deren Ahnherr einst als Pfälzer nach Schmargendorf gekommen ist. Aus dieser Familie stammte der berühmte Filmstar Marlene Dietrich. Vermutlich ist jener Dietrich zusammen mit Henri Horst und Anna Margarete Heilmann aus der Pfalz nach Schmargendorf gekommen. Aber auch folgende Grabsteine waren im Jahr 2003 noch zu finden: Wilhelmine Becker geb. Dufresne * 25.2.1849 + 25.2.1927 und Marie Götting geb. Dupont * 27.11.1901+ 25.4.1999.

8/440 Henri Horst 1730 (?) - 1809 <<< 8/441 Anna Margarete Heilmann 1744 (?) -1814

10. Müller und Musketier: Martin Gauger (Goger)

Martin Gauger hatte am 19. Juni 1755 in Regenwalde geheiratet und ist dort am 1. April 1801 gestorben. Er war Kornmüller in Regenwalde und Musketier im von Amstel ´schen Regiment. Der Name klingt hugenottisch. Regenwalde ist eine Kleinstadt in Pommern. Für Stargard aber ist eine Zuwanderung von Hugenotten im Jahre 1740 nachgewiesen. So ist zu vermuten, daß auch Martin Gaugers Vorfahren damals ins Land gekommen sind.

Generalmajor von Amstel war vom 1.7.1754 bis 6.5.1757 Chef des Königlich Preußischen Grenadier-Regiments König Friedrich Wilhelm IV. (1. Pommersches) Nr.2, den Beinamen erhielt es erst später. Man unterschied zwischen Chef und Kommandeur. Die Garnison war von 1744 bis 1792 Stettin. Die Uniform dieses Regiments bestand seit 1690 aus blauem Rock, weißen Lederhosen, Grenadiermützen, vorn gelbes Blech mit Namenszug und Granate. In der Regimentsgeschichte werden Musketiere allerdings nicht erwähnt Ab dem Beginn des Siebenjährigen Krieges nahm das Regiment an diesem Teil und kämpfte u.a. bei Hirschfelde, Busch-Ullersdorf, Schloß Gravenstein, Kratzau, Reichenberg, Liebenau, Arnsdorf, Nimburg, Jung Bunzlau, Leipa und Naumburg. Am 6.5.1757 fiel von Amstel vor Prag. Martin Gauger kann an diesen Kämpfen beteiligt gewesen sein. Seine Heirat am 19.6.1755, also noch in Friedenszeiten, steht dem angesichts des preußischen Kantonalsystems nicht im Wege. Die Geburt seines Sohnes Martin am 15.10. 1758 läßt darauf schließen, daß er spätestens Ende 1757/Anfang 1758 wieder zu Hause war.

8/428 Martin Gauger (Goger) + 1801 <<< 8/429 Anna Sophia Bliesener

11. Die Lebensbedingungen

Die Rechtsgrundlagen

Die Rechtsverhältnisse der Hugenotten wurden nicht einseitig vom Kurfürsten festgelegt sondern in Vertragsform niedergeschrieben. Diese Verträge wurden ergänzt durch Dekrete. Welche Bedeutung der Rechtsstatus hatte, wird an den Lasten deutlich, die die eingesessenen Bauern zu tragen hatten. Sie mußten für die kurfürstlichen oder adligen Güter pflügen und ernten, bei Jagden das Wild treiben, Baufuhren, Marsch- und Ablagerfuhren leisten, das geschossene Wild nach Berlin fahren, den Gerichtsschreiber (Justitiarius) des Amtmannes fahren und Botengänge besorgen. Dies waren die sog. Herrenfronen. Dazu kamen die Gemeindefronen. Diese bestanden in Straßenbauten, im Räumen von Gräben, Nachtwachen und anderen Diensten. Dem gegenüber versprach das Edikt von 1685 den Hugenotten Freiheit von allen Lasten. Im Jahre 1690 wurde das ihnen noch einmal bestätigt.

Die Urkunde hatte folgenden Wortlaut: „Nachdem Seine Churfürstliche Durchleuchtigkeit zu Brandenburg, Unser gnädigster Herr sub dato Potsdam, den 16. November 1886, ingleichen Potsdam, den 17. Juny 1687 bereits gnädigst verordnet, daß die in Dero Ämbter Lökenitz, Grambzow, Chorin, Ruppin und Mülenbeck sich Establirten Frantzöischen und Pfältzische Ackersleute und Coßäthen, wie auch ihre Kinder und Nachkommen, nach endigung der Ihnen gewilligten Freyjahren zu keinen würklichen Frohndiensten jemahlen angehalten, sondern in ein gewisses jährliches Dienstgeld, als unter Lökenitz und Grambzow ein Ackersmann je zwölf Taler und ein Cossäte zu sechs Taler, unter Chorin ein Pauer jährlichen zehen Taler und ein Cossäte fünff Taler, und unter Ruppin und Mülenbeck ein Pauer zu acht Taler und ein Cossäte zu vier Taler gesetzet werden sollten. So lassen Sie solches nicht allein dabey allerdings gnädigst bewenden, sondern wollen und ordnen überdem auch gnädigst, daß sothane Frantzöische und Pfältzische Ackersleute und Cossäthen vor sich und ihre Nachkommen von aller Leibeigenschafft wie sie auch Nahmen haben möchte, zu ewigen Zeiten befreyet seyn sollen. Gestalten dero Sie denn dero Ambts-Cammer zu Cölln an der Spree, wie auch denen ietzigen und künfftigen Beamten zu Löcknitz, Grambzow, Chorin, Ruppin und Mülenbeck hiermit gnädigst anbefohlen, sich hiernach unterthänigst und gehorsambst zu achten, und mehrbesagte Frantzöischen und Pfältzische Ackersleuthe und Cossäten bey dieser ihnen gnädigst ertheilten Concession jederzeit wie Männiglichen zu manuteniren, und nicht zugestatten, daß sie unter einigerley praetext darunter pertubirt werden mögen. Friedrich von Danckelmann”

Diese Privilegien blieben nicht unumstritten. Das eine oder andere geriet in den Dörfern selbst in Vergessenheit. Aber die Bauern der Umgebung, die lutherischen Pfarrer und die Amtmänner versuchten immer wieder, Einschränkungen zu erreichen. Unter Friedrich I. wurde das in der Regel abgelehnt, unter Friedrich Wilhelm I. erhielten die Amtmänner aber freie Hand. So wurde einerseits den Bauern in Groß- und Klein-Ziethen im Jahr 1704 wegen der schlechten Ernte ein steuerliches Freijahr gewährt. Andererseits erhielten sie nicht alle Äcker, die ihnen zugesagt waren, oder sie durften auf einmal das Vieh nicht mehr in die Waldungen zur Weide treiben, wie es allgemein üblich war. Dann sollten sie bei der Wolfsjagd Treiberdienste leisten. Anders als in anderen Dörfern ließen sich die Ziethener die Übergriffe des Amtmannes nicht gefallen. Im Sommer 1710 sollten sie Fuhren und andere Dienste verrichten und lehnten das ab. Also erging am 12.8.1710 eine königliche Verordnung, die sie aber auch nicht befolgten. Da schickte der Amtmann den Vogt, um von jedem einen Taler einzuziehen. Darauf sind die Ziethener „losgegangen, haben mit den Glocken gestürmet und ihn zum Dorf hinausgejaget”. Sie wurden noch einmal ermahnt, dann sollten 20 Mann von „Ihro Hoheit des Kronprinzen Regiment” kommen. Darauf schickten sie am 27.2. und 6.3. 1711 Denkschriften an den König. Die Antwort erging am 20. Januar 1712. Darin wurde ihnen bestätigt, daß sie nicht verpflichtet gewesen waren, Fuhren für den König zu erbringen. Allerdings seien sie verpflichtet, nachbarliche Dienste (für die Gemeinde) zu leisten. Weitere Eingaben änderten daran nichts.

Es ging aber noch weiter - in der doppelten Bedeutung des Wortes. Mit Friedrich Wilhelm I. übernahm 1713 ein König die Regierung, dessen Handeln durch Sparsamkeit, Abneigung gegenüber allem Französischen und seinen cholerischen Charakter bestimmt war. Er schränkte die Produktion von Luxusgütern durch die hugenottischen Städter ein. Machte aus seiner Geringschätzung der hugenottischen Bauern kein Hehl. Versuchte auch, aus den Bauern höhere Abgaben herauszupressen. Schwankte zwischen rabiaten Eingriffen in die Rechte der Hugenotten und wohlwollenden Phasen hin und her. Seine grobe Art, mit Menschen umzugehen, übernahm auch noch der letzte Amtmann. So sollten die Bauern immer wieder Frondienste leisten. Am 22.7.1718 verordnete das Königlich Preußische General-Finanz-Direktorium, daß die Privilegien nur den Zuwanderern selbst zugestanden und nicht vererbbar seien. Ein halbes Jahr später ließ der König verlauten, er bestätige die Privilegien. In anderen Fällen stellte der Amtmann auf einmal fest, daß die Bauern ihre Häuser nicht selbst gebaut hätten, obwohl sie es hatten, verlangte einen finanziellen Ausgleich und jagte die Bauern von Grund und Boden, wenn sie nicht zahlen konnten. Auch wurden die Söhne immer häufiger zum Militärdienst gepresst. Das führte zu einer kleinen Auswanderungswelle, da sich die Nachbarländer um die Hugenotten rissen. Etwa ist die dänische Stadt Fridericia von Hugenotten gegründet worden, die aus Brandenburg abgewandert waren. Solche Vorgänge bewogen den König zur Milde, um alsbald wieder in die vorige Politik zu verfallen. Immerhin muß man auch feststellen, daß sich die königlichen Räte immer wieder mäßigend einschalteten. Wegen besonderer Hartnäckigkeit taten sich hier die Ziethener hervor. Sie gaben nicht nach, auch wenn man ihnen Festungshaft in Spandau androhte. Die eindeutige Tendenz aber ging dahin, aus freien Bauern Fronarbeiter zu machen. Ein vorläufiges Ende fanden die Auseinandersetzungen 1726 damit, daß den Bauern zur Abgeltung einiger Frondienste zusätzliche Steuern aufgeladen wurden. Die Steuern hatten nun für den Ziethener Bauern und seinen Vater als Altsitzer eine Höhe, die dem Gehalt des Pfarrers entsprach. Nach 40 Jahren war von den Privilegien des Potsdamer Edikts nicht mehr viel übrig geblieben. Es folgte eine neue Abwanderungswelle. Erst 1734 regelte die Domänenkammer in Berlin die Angelegenheit mit einem Erlaß, in dem sie den Amtmann von Chorin anwies, „der Frantzosen Dienste nicht mehr zu gebrauchen.” Endlich hatten sie sich ihre Freiheiten wieder erkämpft. Noch einmal flackerten die Streitigkeiten 1748 auf. Um die einheimische Tuchfabrikation zu fördern, befahl Friedrich der Große, daß jeder Bauer Flachs anzubauen und ihn zu spinnen hatte. Die Ziethener waren zwar bereit, weiter Spinngeld zu zahlen, wollten aber nicht selbst spinnen, weil dies eine zusätzliche Belastung gewesen wäre. So befahl die Kriegs- und Domänenkammer, daß jeder Bauer jährlich 3 Haspelstücke zu liefern habe, jedes zu 10 Fitzen, jede Fitze zu 40 Faden 4 Ellen. Umgerechnet bedeutete dies Fäden von 861 km und 690 m Länge, ganz schön viel. Wie dieser Streit ausgegangen ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Weitere Auseinandersetzungen um die bäuerlichen Rechte wurden dann vor Gericht ausgetragen: z. B. der Hütungsprozeß von 1742, um die Frage, wo die Groß-Ziethener ihr Vieh hüten durften, mit erstem Urteil 1767, einem zweiten Urteil 1779 und der Veröffentlichung 1799, letztlich ein Erfolg der Ziethener. Die Streitigkeiten über die Fuhren aber zogen sich bis ins 19. Jahrhundert hinein.

Bei allem muß man auch bedenken, daß die Neuankömmlinge kaum der deutschen Sprache mächtig waren. Auch das war ein Problem. Denn erst im Jahre 1738 stellt ein Bericht des Consistoriums fest, daß das Gerichtsverfahren sich „jetzt um so leichter gestaltet, als Jedermann so ziemlich die Landessprache versteht, was bei den Vorfahren nicht der Fall gewesen.”

Mann und Frau

Wenn davon die Rede ist, daß eine Frau einen Hof übernommen hat, ist das vielleicht verwunderlich. Doch, obwohl die Frau in jener Zeit in Brandenburg nicht annähernd die Rechte eines Mannes hatte, gab es sehr wohl auf dem Land auch den Typ der adligen Gutsherrin, die das Gut bewirtschaftete (da der Mann beim Militär war) oder der selbst bewußten Bäuerin, die (zwar mit eingeschränkten Rechten) für Haus, Gesinde und Kinder die Verantwortung trug. Dies hatte die Reformation mit ihrem Bild von der „protestantischen Hausmutter” (vgl. Luthers Frau Käthe) ermöglicht. Was das Erbrecht angeht, erbte die Frau beim Tod ihres Mannes die Hälfte des Vermögens. Allerdings bestand nach dem Tod des Mannes ein Wiederverheiratungszwang. Der neue Mann erhielt aber nur eingeschränkte Rechte am Hof. Auch verdrängten Gutsherren im 18. Jahrhundert zunehmend Witwen von den Höfen. Aber es ergab sich eben doch eine Situation, in der eine resolute Frau sich durchaus eine eigene Position verschaffen konnte. Dies dürfte insbesondere auch für die Hugenotten gegolten haben, die ja als Bauern in einer privilegierten Rechtsposition waren.

Der Ackerbau

Die Hugenotten aus der Pfalz brachten den Tabakanbau nach Groß- und Klein-Ziethen. Hierzu ist die folgende Anekdote überliefert. Als der erste Bauer mit einer Fuhre seines geernteten Tabaks von Groß-Ziethen nach Berlin kam, um denselben dort zu verkaufen, schüttelte der Krämer ungläubig den Kopf und meinte, es wären wohl Kohlblätter, denn Rohtabak war hier noch unbekannt. Ruhig nahm der Bauer einige Blätter vom Wagen, stopfte damit seine Pfeife und fragte, indem er dem Kaufmann den Rauch ins Gesicht blies: „Nun, ist das etwa Kohl?” Dieser bot nun 20 Groschen für die Ladung, die etwa einen Wert von 40-50 Thalern hatte; doch das ging dem entrüsteten Bauern über den Spaß; er ließ seinen Tabak bei einem Bekannten in Berlin, kehrte in sein Dorf zurück, verkaufte seinen Hof, zog nach Berlin und legte hier eine Tabakspinnerei an, zu der ihm die Ziethener Bauern das Rohmaterial lieferten. Welcher Ziethener Bauer das gewesen sein soll, ist nicht bekannt. Einer unserer Vorfahren war es jedenfalls nicht. Die Geschichte stammt von Pfarrer Théremin, der auch erzählte, daß er 1716 bei Herrn von Boerstel in Hohen-Finow zuerst Kartoffeln gegessen habe, von dort einen Teil roher Kartoffeln mit nach Groß-Ziethen gebracht, sie hier ausgepflanzt und so die ersten Kartoffeln geerntet habe. Der Tabak hatte nach dem Dreißigjährigen Krieg in Deutschland Verbreitung gefunden. Wurde der Tabak zunächst importiert, so wurde er bald und für etwa zweihundert Jahre großflächig auch in Deutschland angebaut. Eines der wichtigsten Anbaugebiete in Preußen war die Uckermark. Da der Tabak nährstoffreiche, leichte Böden benötigt, waren die Pfalz und auch die Uckermark mit ihren Sandböden sehr geeignet. Auch war die Tabakpflanze robust, weshalb ihr das rauere Klima nicht schadete. Andererseits erforderte der Anbau große Sorgfalt, so daß es der einzelne Bauer, Kossät oder Büdner war, der ihm gerecht werden konnte und der damit neben dem Anbau von Getreide und Kartoffeln eine zusätzliche Erwerbsquelle hatte. Aber auch Handwerker bauten gerne nebenher Tabak an. Abnehmer fand man, denn der Tabak war ein verbreitetes Luxusgut, auch der armen Schichten. Auch glaubte man an die heilende Kraft des Tabaks.

Der Suppenkessel

Erste Suppen hat es wohl vor 10 000 Jahren gegeben. In der Antike , dem Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit wurde die Suppenküche immer mehr verfeinert. - Für die Wohlhabenden. Der kleine Mann dagegen saß noch lange bei Roggenbrot, Wasser oder Bier vor seinem Feuertopf über dem offenen Feuer mit dem „Brei”, einer dicken, bunten Suppe aus Getreide, Hülsenfrüchten und einfachem Gemüse. Was am Vortag nicht aufgegessen war, blieb drin und stellte den Grundstock der Suppe am nächsten Tag dar. Vielleicht war er froh, wenigstens am Sonntag ein Stück Fleisch dazu tun zu können. In allen regionalen Küchen gibt es ja auch heute noch Gerichte, die aus Resten zusammen gestellt sind, z. B. die Schusterpastete.

Das Backen

Bis die Kartoffel eingeführt wurde, bildeten Backwaren, Breie und Suppen den größten Teil der Speisen in der Mark Brandenburg. Das Brot wurde aus Roggen gebacken, da Weizen nicht gedieh. Das alte Landbrot war groß, rund und hatte einen Durchmesser bis zu 45 cm. Das Brot war haltbar, denn es wurde nur alle 3 bis 4 Wochen gebacken. Zum Backen gab es in jedem Dorf ein Backhaus, da Feuer in den Häusern ohnehin gefährlich war und sich wohl auch nicht jeder ein Backhaus leisten konnte und wollte. Wegen der Brandgefahr stand das Backhaus am Rande des Dorfes. Auch war es üblich, um das Backhaus herum Nußbäume zu pflanzen, weil deren Geruch die Mücken vertrieb. Die Teigherstellung begann am Abend vor dem Backtag. Man setzte an einem Ende des vier bis fünf Meter langen Backtroges den Sauerteig an, der vom letzten Backtag aufgehoben worden war. Der Bäcker löste den Sauerteig in Wasser auf und vermengte ihn mit Mehl. Dieser Vorteig vermehrte sich über Nacht auf das Doppelte und wurde am nächsten Tag mit dem Rest des Mehles verknetet. Das Kneten war eine harte Arbeit und nahm zwei bis drei Stunden Arbeitszeit i. d. R. mehrerer Kräfte in Anspruch. Zum Backen mußte der Ofen etwa eine Stunde aufgeheizt werden. Dann wurde die Glut im Ofen verteilt und nach dem Ausglühen herausgeholt. Vor dem Einschieben des Brotes wurden drei leere Ähren dreimal hin- und hergeschoben. Waren sie dann dunkelbraun, stimmte die Temperatur. Auch wurden dabei verschiedene Sprüche aufgesagt. Dann wurden die Brotlaibe auf dem Brotschieber in den Ofen geschoben. Um wenig Hitze entweichen zu lassen, mußte das schnell gehen. Nach 1 ½ bis 2 Stunden war der Backprozeß zuende und die Brote wurden mit dem Schieber wieder herausgeholt. Mit Wasser bestrichen, wurde die Rinde glänzend. Die Restwärme nutzte man zum Kuchenbacken und Dörren des Obstes. Auch zum Flachsdörren nutzte man den Ofen. Um das Abbrennen des Flachses zu verhindern, mußte der Ofen gänzlich von der Glut befreit werden. Dazu kroch eine in nasse Tücher eingewickelte Person in den Ofen und löschte die Glutreste mit nassen Lappen

Man geht davon aus, daß heute eine Person etwa 60 Kilogramm Brot im Jahr ißt. Noch um 1800 herum war der Durchschnittswert etwa fünf mal so hoch. Es mußte also viel gebacken werden. Doch die Backöfen waren in Preußen für die Obrigkeit immer ein Stein des Anstoßes. Wurden doch viele Feuersbrünste auf nicht beaufsichtigte Backöfen zurückgeführt. So sollte verhindert werden, daß jede Familie einen Backofen hatte. In einem Reglement von 1761 wurden strenge Vorschriften erlassen: kein Dorf sollte mehr als vier Backöfen haben; die Mindestentfernung vom nächsten Gebäude sollte 30 bis 40 Schritte betragen; bei Sturm durfte der Ofen nicht benutzt werden.

Das Schlafen

In Deutschland waren die Betten, anders z. B. als in England, kurz und schmal. Pflegte man doch in einer eher sitzenden Haltung zu schlafen. Als Grund hierfür wird angegeben, daß in den Ofen beheizten Räumen die Luft weiter unten im Zimmer wesentlich schlechter (Gase) war. Ein englischer Reiseführer von 1850 beschreibt die Betten in deutschen Hotels so: „ Eine der ersten Beschwerden, die ein englischer Reisender in Deutschland führen wird, gilt den Betten. Es ist darum angebracht, ihn rechtzeitig auf das ganze Elend vorzubereiten, das er in diesem Punkt antreffen wird. Ein deutsches Bett ist nur für eine Person bemessen; man kann es mit einer offenen Holzkiste vergleichen, eben noch breit genug, sich darin umzudrehen und selten ausreichend lang für einen Mann mittlerer Statur. Die störenden Kopfkissen bilden mit dem Bett einen rechten Winkel, so daß es kaum möglich ist, ausgestreckt zu liegen und eine andere als sitzende Position einzunehmen. Die Stelle der Wolldecken wird meist durch ein aufgebauschtes Federbett eingenommen, ganz geeignet, unfreiwillig hinausgeworfen zu werden und damit den Schläfer in äußerster Not zurücklassend. Der findet sich dann bei kühlem Wetter halb erfroren, bei warmem dagegen, sollte es doch an seinem Platz geblieben sein, dem Erstickungstod nahe.” (John Marray, Handbook for Travellers on the Continent, London 1850)

Die Reinlichkeit

Die Römer legten großen Wert auf ihre Badekultur. Vom Mittelalter sind uns Bilder von öffentlichen Badehäusern bekannt, wo Männlein und Weiblein gemeinsam im Bottich saßen (oder waren es vielleicht doch Freudenhäuser?). Auf jeden Fall war es mit der Waschkultur des gemeinen Volkes in Deutschland dann erst einmal aus. Man wusch sich allenfalls noch Gesicht und Hände. Im 18. Jahrhundert fing man an, Leibwäsche zu gebrauchen, doch an intensives Waschen dachte man noch nicht. Waschkultur gab es in Klöstern und bei den höheren Ständen. Noch 1880 schrieb ein französischer Wissenschaftler, daß ein Wannenbad für den Arbeiter zu lang und zu teuer sei. So wurde die Dusche erfunden und zuerst an Soldaten und Gefängnisinsassen ausprobiert. 100 Mann konnte man damit in einer Stunde abfertigen (man bedenke, wie viele Sekunden da auf einen kamen). Dieses Duschen geschah dann im Winter einmal, im Sommer zweimal im Monat. Also, Badewanne für gehobene Stände im Haus, Badehäuser mit Wannenbädern im Stadtviertel und die Gemeinschaftsdusche für Soldaten waren dann für einige Jahrzehnte das Ideal. Den Amerikanern verdanken wir, daß Badewanne und Toilette in einen Raum kamen.

In meiner Kindheit habe ich noch die verschiedenen Berliner Varianten erlebt. Einzimmerwohnung mit Küche, Gemeinschaftstoilette auf halber Treppe, keine Waschmöglichkeit außer dem Spülbecken in der Küche, kein Bad in Berlin-Wedding, Grüntaler Straße, Hinterhof, der ersten Wohnung von Georg Bömbös und Frau. Anderthalb-Zimmerwohnung mit Küche und Toilette, Toilette in eigenem Raum in der Wohnung ohne Waschbecken, Waschmöglichkeit nur im Spülbecken in der Küche, Berlin-Wedding, Soldiner Straße 110 Hinterhof, Wohnung von Karl Bömbös mit Frau und sechs Kindern. Einstmals vornehme Bürgerwohnung in Berlin - Friedenau, Niedstraße 15 mit Badezimmer und zentraler Wasserversorgung über Koksheizung im Keller, Waschtisch im Schlafzimmer, unsere Wohnung, in der wir von 1948 bis 1953 zur Untermiete wohnten. Zweieinhalb-Zimmerwohnung mit Küche, Badezimmer mit Toilette und einem, mit Holz geheizten, Ofen zum Erwärmen des Badewassers, Waschen in der Küche, unsere Wohnung in Wilhelmshorst, Rosenweg 4 von 1939 bis 1947. Bei morgen- und abendlichem Waschen wurde in meiner Kindheit am Sonnabend gebadet und die Wäsche gewechselt . In der vollen Wanne badeten zuerst wir Kinder gemeinsam und dann die Mutter. Wilhelm Busch hat in seinem Gedicht „Bad am Samstagabend” die Dramatik eines solchen gemeinsamen Bades beschrieben. Das Kindermädchen kommt da zu dem Schluß: „Sie spricht voll Würde und voll Schmerz: / „Die Reinlichkeit ist nicht zum Scherz!” / und die Moral von der Geschicht: / Bad zwei in einer Wanne nicht!”

Das Wäschewaschen

Auch das Waschen war früher schwere Arbeit. Ich erinnere mich noch, wie in den fünfziger Jahren meine Mutter einmal im Monat bei Onkel und Tante in Lichterfelde „große Wäsche” wusch. Die hatten nämlich hinter dem Haus eine Waschküche, neben der der alte Brunnen stand, der aber zu der Zeit schon trocken war. Die Waschküche war ein kleiner Schuppen, in dem der mit Holz zu beheizende Waschkessel stand. Es begann damit, daß ich am Nachmittag vor dem Waschtag unsere Wäsche mit dem Fahrrad von Friedenau bzw. Wilmersdorf mit dem Fahrrad nach Lichterfelde brachte. Dann fuhr Charlotte auch dorthin und weichte noch abends unsere Wäsche und die von Onkel und Tante im Waschkessel ein. Am frühen Morgen wurde der Waschkessel angeheizt und dann die Wäsche mit einem Waschmittel gekocht. Auf dem Waschbrett wurde anschließend jedes Stück mit Kernseife eingerieben, geschlagen, gewrungen und dann in einer Wanne gespült. Anschließend wurde die Wäsche auf lange Leinen gehängt, die in der Mitte mit Wäschestangen gestützt wurden. War das Wetter gut, war die Wäsche nach dem Mittag trocken. Sonst zog sich das Ganze in den nächsten Tag hinein. Dann wurde sie zum Rollen zur Bäckerei Hartmann gebracht. Dort stand in einem Nebengebäude die Kasten-Rolle. Sie bestand aus einem großen, schweren Holzkasten voller Steine, der auf zwei Holzwellen lag und über Kurbel und Zahnradmechanismus hin und zurück bewegt werden konnte. Das Kurbeln war meine Sache. Die Holzwellen lagen so, daß die Kiste, wenn man sie an das eine Ende des Gestells gekurbelt hatte, sich auf der anderen Seite etwas anhob. So konnte man die dortige Welle herausziehen, die Wäsche sorgfältig herumwickeln und sie wieder unterlegen. Die Kiste kam zurück, dann geschah auf der anderen Seite dasselbe. Wenn man die Kiste dann einige Male hin und her bewegt hatte, war die Wäsche glatt gepreßt. War auch dies getan, war Kaffeezeit. Es gab die vom Bäcker mitgenommenen und mittags frisch gebackenen Brötchen mit dem von Tante selbst hergestellten Apfel-Gelee, und wir kamen uns nach getaner Arbeit wie die Könige vor. Als es uns schon ein bißchen besser ging, leistete Charlotte sich dann auch mal ein Schmalzbrötchen oder eines mit Harzer Käse.

Doch Seife gab es zur verbreiteten Anwendung und günstigem Preis erst im Laufe des 19. Jahrhunderts. Bis dahin war das Auslaugen der Wäsche die übliche Methode. In einem Bottich aufgeschichtet, goß man Rindergalle, Seifenkrautwurzel oder sogar Urin über die Wäsche, goß auch heiße Holzaschenlauge drüber. Durch Schlagen, Reiben, Stampfen oder Klopfen sollte dann der Schmutz aus der Wäsche weichen. Bei diesen Methoden brauchte man viel Wasser, so daß es Waschstellen an Gewässern gab. Anschließend wurde die Wäsche zum Bleichen in der Sonne auf die Wiese gelegt. Den Namen „Bleiche” findet man heute noch in vielen Orten als Straßennamen. Erst 1907 brachte die Firma Henkel das erste Waschmittel „Persil” auf den Markt, das selbsttätig enthärten, waschen und bleichen konnte.

IV. Die Kobe von Koppenfels

1. Ein Herr von Adel: Johann Sebastian Kobe von Koppenfels

Geb. 15.Aug. 1699 studirte zu Eißfeld und Jena. Chursächs. Advocat 25. Jan. 1721; studirte darauf zu Wittenberg (16.12.1721, Jena 30.6.1716, examen pro praxi forensi 15.1.1721, d. Verf.) Eisenachl. Amtmann zu Crayenberg 11.Mai 1726; Weimarli. Rath und Cammer Consulent mit einstweiliger Verwaltung der Aemter Heußdorf und Capellendorf, Hhäußl. Regierungs und Consistorial Assessor 1731 1. Sept. (1732 d. Verf.) und 15.Mai 1733 Coburg-Saalfeldli. gemeinschaftl. Rath bei der geheimen Cantzlei zu Coburg und 14. Jun. 1737 Hof- und Regierungs Rath daselbst und 24. Dec. e.a. Hhäußl. Hof- und Consistorial Rath; legte 1748 seine Aemter nieder, trat 1750 wieder an als wirkl. geheimer Rath. Vom Kaiser geadelt 26. Aug. (richtig ist April) 1754. + 20. sep. 24. Nov. 1765. ux. Polyxena Regina, hln. D.Georg Adam Will, Maintzl. Hofrath und Reichsritherschaftl. Consulenten Erb- und Gerichtsherr auf Breitenau hinterl. jüngste Tochter 1737 + 1756 sep. 15. Jun. (14) 12 ej.” (FGvK).

Eintragung im Kirchenbuch von Hildburghausen vom 20. November 1765: „Wohlgebohr. J. Sebastian Kobe. Herzogl. S. Hildburghsischer Hochbetrauter wirkl. Geh auch Hofs consistorial Rath ist dh. 20.Nbr. 1765 im 67.ten Jahr seines Ruhm vollen Alters gestorben.”

J. S. Kob wurde am 26.4.1754 durch Kaiser Franz I., den Mann von Maria Theresia, in den erblichen Adelsstand erhoben, hat aber seiner Familie den Adelsstand verheimlicht und nannte sich weiter Kob oder Kobe, wie das auch die Eintragung in das Kirchenbuch beweist. Seit 1752 war er Herr auf Schweikertshausen und Dobertshausen bei Mellrichstadt. Im Weimarer Staatsarchiv (Abt. F) befinden sich über 200 handschriftliche Bände des Johann Sebastian und seines ältesten Sohnes Johann Friedrich. Außerdem auch im Meininger Staatsarchiv (Abt. M).

Bei Human (S.42/43) finden sich folgende Ausführungen: „Johann Sebastian Kobe von Koppenfels, Herzoglich Sachsen-Hildburghäuser wirklicher Geheimer- auch Hof- und Consistorialrat, nach langer Leibesschwachheit am 20. November 1765 früh 5 Uhr verschieden, ein wahrhaft getreuer Rat Ernst Friedrich Carls, nach dessen Tode niemand mehr dem Herzog den Ruin des Landes zu offenbaren wagte. Ein Mann, von dem sein Grabredner sagen durfte: ”Der Name, die Gelehrsamkeit, der Fleiß, die Ausarbeitung des großen Mannes werden in vielen Kabinetten und Landschaften unvergeßlich bleiben. Seine Stärke in dem Bezirke der ganzen Rechtsgelehrtheit, in den Altertümern, in der Welt- und Kirchengeschichte, in der heiligen Sprache, in den Lehren von Gott, die Vernunft und Schrift predigen, leuchtete allen, die sich persönlich oder nur schriftlich mit ihm einließen, bald in die Augen. - Wie im Weimarschen und Coburgischen, so hatte er seit 1742 zwanzig Jahre lang, besonders unter der vormundschaftlichen Regierung Sophie Albertinens, dem fürstlichen Hause die wichtigsten Dienste geleistet und war am 26. August 1754 von Franz I. in des Heiligen Römischen Reiches Adelsstand mit dem Beinamen von Koppenfels erhoben worden. War sein Leben nicht ohne Verleumdung und Anfechtungen, so trö-stete er sich des, daß er immer auf Wahrheit und Gerechtigkeit hielt. Sein Eifer aber für die Religion, sein ununterbrochener Besuch der Gottesdienste, seine Demut vor dem Abendmahl, sein Unwille über die Widersprecher der heilsamen Wahrheit waren allgemein bekannt. Auf seinem 18-monatigen Krankenlager erquickte er sich gern am Zuspruch seines Beichtvaters, des Generalsuperintendenten Kern, all seine Wissenschaft konzentrierte sich da in der Liebe zu Jesu Christo, dem Gekreuzigten. Und der Polyhistor, der Sprachgelehrte, der beredte Kobe fand seinen Frieden nur noch in der Bibel, die seinen Tisch immer schmückte, und an jenem alten Kernliede: <Ich weiß, wen Du willst herrlich zieren und über Sonn und Sterne führen, den führest Du zuvor hinab! So wie einst unter Schmach und Leiden, ist Er noch auf dem Thron der Freuden den Sündern liebreich zugetan.> Neben vielen gehaltvollen Deductionen in den wichtigen von Sachsen-Meiningen gegen Hildburghausen erhobenen Klagen wegen der Erbschaftsübermasse beim Amte Sonnefeld (1743-1752) suchte er besonders in der Hildburghausenschen Münzsache den Beweis zu führen, daß von uralten Zeiten her, vermöge Kaiserlicher Begnadigungen, wie überhaupt dem Hochfürstlichen Hause Ernestinischer Linie, so insonderheit auch Hildburghausen, das Münzregal zustehe. Sein ganzes Leben aber war eine Erfüllung des schönen Wunsches, den sein Pathe, der Director des Gymnasiums in Coburg, Johann Sauerbrey, seinem Pathengeschenk einst beifügte.”

Ein etwas längerer Auszug aus dem Adelsbrief sagt so manches über das Denken der Zeit, die Person Kobes und die gesellschaftliche Bedeutung der Erhebung in den Adelsstand: „Wir Franz von Gottes Gnaden Erwehlter Römischer Kayser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, in Germanien und zu Jerusalem König, Herzog zu Lothringen und Bar, Großherzog zu Toscana, Herzog zu Calabrien, Geldern, Montferrat, in Schlesien zu Teschen, Fürst zu Charleville, Markgraf zu Pont a Moufson und Nomeny, Graf zu Province Vaudemont, Blanckenberg, Zütphe, Saarwerden, Salm, Falckenstein - Bekennen für Uns und Unsere Nachkommen, am heiligen Römischen Reich öffentlich mit diesem Brief, und thun kund allermanniglich. Obgleich die Höhe der Römisch-Kayserlichen Würdigkeit, darein Uns der allmächtige Gott nach seiner väterlichen Fürsehung gesetzet hat, vorhin mit vielen herrlichen, edlen und ritterlichen Geschlechten und Unterthanen versehen ist, So seynd Wir doch um so mehr geneigt, Unserer und des heiligen Römischen Reiches Unterthanen und Getreue Ehr, Würde, Aufnehmen und Wohlfahrt zu beförderen, und deren Nahme und Geschlechte in höhere Ehr und Würde zu setzen, oder sie in ihrem von Altersher erworbenen adelichen Herkommen zu bestätigen, als sie, ihre Vor- und Eltern in Unseren und des heiligen Römischen Reichs treugehorsamsten Diensten sich vor anderen gebrauchen lassen, und wohl verhalten haben, damit andere durch dergleichen milde Belohnungen treuer Dienste zu löblicher Nachahmung guten Verhaltens und Ausübung ritterlicher Thaten gleichfalls bewegt und aufgemuntert werden. Wann wir dann gnadiglich angesehen, wahrgenommen und betrachtet haben, die Ehrbarkeit, Redlichkeit, adeliche Sitten, Vernunfft, Fähig- und Geschicklichkeit, auch gutes Herkommen, womit vor Unserer Kayserlichen Majestät Unser und des Reichs lieber, getreuer Johann Sebastian Kobe fürstlich-Sachsen Hildburghausischer Hof-Regierungs- und Consistorial-Rath angerühmet und anbey - allergehorsamst vorgebracht worden; Wasmaßen nicht allein seine VorEltern sowohl Vätter- als mütterlicher Seits bey verschiedenen Chur- und Fürsten ansehnliche Ehren-Ämter und Bedienungen, sowohl in Militari als auch civili bekleidet, und darin dem Durchleuchtigste Erzhauß, wie nicht weniger dem heiligen Römischen Reich treueste Dienste geleistet, sondern erselbsten hat nach zuruckgelegten Studiis durch seine ohnermüdete Anwendung in verschiedenen Wissenschaften sich so tauglich und verdient gemacht, daß er dem Fürstlichen Hauß Sachsen Ernestinischer Linie nun in die Dreyßig Jahr ersprießliche Dienste geleistet, und bey solcher sich durch Ausarbeitung vieler gelehrten Schrifften in denen wichtigsten Landes- Regierungs- und Proceß-Angelegenheiten, auch bey einem Kayserlichen Reichs-Hof-Rath einigen Ruhm erworben, nicht minder bey dermahlig- Fürstlich- Sachsen- Hildburghausischen Hof- Regierung- und Consistorial- Raths Stelle in vielen auch deren wichtigsten Verrichtungen bey verschiedenen Reichs- Ständischen Höfen und Conferenzien gebraucht worden; gleich wie nun derselbe auch in diesem seinen gehorsamsten Dienst-Eifer, gegen Uns, das heilige Reich, und dem Durchleuchtigsten Ertz-Hauß noch ferners bis in sein Grab zu beharren des unterthänigste Erbietens ist, wie er wohl thun kann u soll, So haben Wir aus ob angeführten Unser Kayserliche Gemüth bewegende Ursachen Ihne Johann Sebastian Kobe die Kayserliche Gnade gethan, und denselben samt seinen ehelichen Leibs-Erben und derenselben Erbens-Erben beederley Geschlechts absteigenden Stamens in des heiligen Römischen Reiches Adelstand erhoben, gewürdiget und eingesetzet; folglichste der Schaar, Gesell- und Gemeinschafft anderer adelichen Persohnen dergestalt zugeeignet, als wann sie von ihren vier Ahnen Vätter= und mütterlicher Seits in solche Stand herkommen und gebohren wären, mithin von männiglich an allen Orten und Enden in allen und jeden Handlungen und Geschäfften, geist= und weltlichen dafür gehalten, geehret, genennet und geschrieben werden, darzu alle und jede Gnad, Ehr, Würde, Freyheit, Stimm, Sitz, Vortheil, Recht, Gerechtigkeit, Altherkommen und gute Gewohnheit haben, zu allen geistlichen Stellen auf Dom-Stiffteren, hohen und niederen Ämtere geist= und weltlichen, nach jeden Stiffts wohl hergebrachten Gewohnheiten und Statuten aufgenommen werden, und mit anderen Unseren und des Reichs rechtgebohrnen Lehens-Turniersgenoßenen adelichen Personen zu turnieren, mit ihnen Lehen und allandere Gerichte und Recht zubesitzen, Urtheil zuschöpfen, und recht zusprechen, theilhafftig, würdig, und darzu tauglich, geschickt und gut seyn sollen und mögen.” 7 Johann Sebastian Kobe von Koppenfels 1699 - 1765 <<< 7 Polyxena Regina Will 1737- 1756 (?)

2. Kanzler in Weimar und Goethes Nachbar: Johann Friedrich Kobe von Koppenfels

Geb. 22.6.1738, gest. 19.9.1811 in Weimar; studirte zu Göttingen, ward da Doctor juris; Rath und geheimer = und Lehnsecretaire 1763; Hofrath zu Weimar 1774, RegierungsRath zu Weimar, war 1779 geheimer RegierungsRath noch 1785, endlich Kanzler in Weimar. ux. Maria Christina, hl. Johann Wilhelm Kühne (von Kühn), Chursächsl. Cammer-Rath in Eisenach mittelste Tochter, 17.Nov. 1763 zu Eisenach copul.” (FGvK).

Maria Christina, Tochter des königlich polnischen und kurfürstlich sächsischen Kommerzienrates Johann Wilhelm von Kühn (* 12.2.1710, + 19.8.1770 in Eisenach) und der Viktoria Maria Weiss aus Langensalza (vermählt am 23.5.1735) wurde am 26.8.1748 geboren, heiratete Johann Friedrich am 17.11.1763, also fünfzehnjährig (?), sie starb am 25.10.1810. - Ihr Vater, Johann Wilhelm von Kühn, war Herr auf Schönstädt, Gröningen, Niedertopfstädt, Borschla und Heimbach” (FGvK).

Johann Friedrich, der Kanzler in Weimar, wird in vielen Schriften und Büchern erwähnt. Er war Herr auf Rohrbach, das seine älteste Tochter Johanna Wilhelmine erbte. Daß Goethe bei ihm verkehrt hat, ist unbewiesen. Der Goethes Aussicht störende „Nachbargiebel” des Koppenfels-Hauses beweist zwar die nächste Nachbarschaft, mehr aber auch nicht. „ Und so will ich denn hier auch noch anführen, daß ich in diesem Elend das neckische Gelübde gethan: man solle, wenn ich uns erlöst und mich wieder zu Hause sähe, von mir niemals wieder einen Klagelaut vernehmen über den meine freiere Zimmeraussicht beschränkenden Nachbargiebel, den ich vielmehr jetzt recht sehnlich zu erblicken wünsche (Goethes Werke, Weimarer Ausgabe 1. Abt., Bd.33, Seite 100,101 „Campagne in Frankreich”). Ein Goethe-Brief vom 27.7.1797 an den Kanzler beweist eher, daß kein sehr vertrauliches Verhältnis miteinander bestand. Auf der anderen Seite hatte die Kanzler-Tochter Amalie Karoline Friederike den ganz besonderen Freund Goethes geheiratet (1803), den Johann Heinrich Meyer, den „Kunschtmeyer”.

Johann Friedrich v. K. und seine Frau Maria Christina, geborene v. Kühn, wurden in Weimar im „Kassengewölbe” auf dem Jakobsfriedhof beigesetzt, jener Begräbnisstätte, in der bereits am 12.5.1805 auch Schiller beigesetzt war. Die Gedenktafel an der rechten Seite vermerkt beide Eheleute von Koppenfels.

8 Johann Friedrich Kobe von Koppenfels 1738 - 1811 <<< 8 Maria Christina von Kühn 1748 - 1810

3. Weimar im Jahre 1806

Am 9. Oktober 1806 erklärte Preußen Frankreich den Krieg. Zu den wenigen Fürsten, die sich diesem gewagten Unternehmen gegen Napoleon anschlossen, gehörte der Herzog Carl August von Sachsen-Weimar. Napoleon, der seine Truppen seit dem letzten Krieg noch in Süddeutschland stehen hatte, rückte sogleich nach Thüringen vor. Noch am 9. Oktober kam es bei Schleiz zu einem ersten Zusammenstoß, einen Tag später fiel der preußische Prinz Louis Ferdinand bei Saalfeld, und schon am 14.Oktober stieß die preußische Hauptarmee bei Auerstädt auf den französischen Marschall Davout, und Napoleon selbst griff die 2. preußische Heeresgruppe bei Jena an. In beiden Schlachten siegten die Franzosen. Jena und Weimar waren schutzlos den Siegern preisgegeben. Am Nachmittag des 14. Oktober 1806 wurde Weimar besetzt und in der Nacht zum 15. begann die Plünderung der Stadt. Johanna Schopenhauer erlebte diese Zeit in Weimar und berichtet darüber 1838 in der „ Zeitung für die elegante Welt” wie folgt:

... Die Stadt ist förmlich der Plünderung preisgegeben; die Offiziere und die Kavallerie bleiben frei von den Greueln, und taten, was sie konnten, um zu schützen und zu helfen. Aber was konnten sie gegen 50.000 wütende Menschen, die diese Nacht frei schalten und walten durften, da die ersten Anführer es, wenigstens negativ, erlaubten! Viele Häuser sind rein ausgeplündert; zuerst natürlich alle Laden; Wäsche, Silberzeug, Geld ward fortgebracht, die Möbel, und was sich nicht transportieren ließ, verdorben; dazu der gräßliche Witz dieser Nation, ihre wilden Lieder: Mangeons, buvons, jouons, brulons toutes les maisons! Hört man an allen Ecken. Überall liefen sie mit brennenden Lichtern umher, die sie dann in den ersten besten Winkel schleuderten. Es ist unbegreiflich, daß nicht Feuer an allen Ecken ausgekommen ist. Auf dem Markte hatten sie große Wacht-Feuer angebrannt, um welche sie schwärmten, und Hühner, Gänse, Ochsen brateten und kochten. ... Prinz Murat und viele Generale waren in der Stadt, der Kaiser kam erst den folgenden Morgen. Viele Einwohner flüchteten aus den Häusern in Wald und Feld und sind zum Teil noch nicht wieder da, Hunderte hatten sich ins Schloß gerettet; auch in diesem ist man in die Silber- und Wäschekammer gedrungen, und hat manches daraus geraubt. Auch des Herzogs Gewehrkammer ist geplündert worden. Die Herzogin hat unbegreiflich vielen Mut gezeigt und uns alle gerettet. Auch hat der Kaiser fast zwei Stunden mit ihr gesprochen, was noch keiner Fürstin widerfahren sein soll. Sie allein ist geblieben, während alle die Ihrigen entflohen. Wäre sie auch fortgegangen, so stände Weimar nicht mehr. Alles, was ins Schloß geflüchtet war, nahm sie auf und teilte mit ihnen, dadurch kam es denn, daß sie und alle einen ganzen Tag nur Kartoffeln zu essen hatten. ... Einige sind so glücklich gewesen, gleich Offiziere ins Quartier zu bekommen, die ihnen etwas Schutz, oft mit eigener Lebensgefahr, gewährten. ... Die Witwe Herder, deren Logis ich jetzt bewohne, mußte ins Schloß flüchten; bei ihr ist alles zerstört, und, was unersetzlich ist, alle nachgelassenen Manuskripte des großen Herder, die sie mitzunehmen vergaß, sind zerrissen und zerstreut. ... Professor Meyer wollte in seinem Hause bleiben, aber die fliehenden Preußen ließen drei Pulverwagen dicht vor seinem Hause stehen, wovon einer ganz zerbrochen war, daß das Pulver umher lag. Meyer konnte also nicht bleiben; er eilte zu seinen Schwiegereltern (v. Koppenfels), die nicht weit von Kühns wohnten. Auch hierher drangen Unholde, raubten Alles, trieben zuletzt mit Gewalt die unglückliche Familie zum Haus hinaus, welche zusehen mußte, wie man ihre Habseligkeiten ordentlich auf Wagen lud und fortfuhr. Meyers Schwiegervater (der ehemalige Kanzler v. K.) ist ein alter kränklicher, hypochondrischer Mann, der eine Kasse zu verwalten hat und ängstlich Ordnung liebt. Goethe sagte mir nachher, er hätte nie ein größeres Bild des Jammers gesehen, als diesen Mann im leeren Zimmer, rund um ihn alle Papiere zerrissen und zerstreut. Er selbst saß auf der Erde, kalt und versteinert. Goethe sagte, er sah aus wie König Lear, nur daß Lear toll war, und hier war die Welt toll. Ich habe Meyern und einigen Anderen mit den Hemden und anderer Wäsche Deines Vaters ausgeholfen, bis sie sich wieder welche anschaffen können, auch mit unserem Weine habe ich schon manches traurige Herz erquickt. ......”

4. Francke-Schüler und Offizier: Carl Heinrich Kobe von Koppenfels

* 23.Mai 1745, get. 24. ej. studirt bis 1764 Ostern zu Coburg, ging e.a. als Cadet nach Braunschweig, Lieutenant unter den Sachsen. Patenkind des Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau, ~ mit Christiane Karoline Luise Regina Amalia von Hanstein, * 26.5.1765, + 18.4. 1818. - Zuletzt Oberstlieutenant und Regimentskommandeur zu Weißenfels; + zu Dresden 3.9.1823 (FGvK).

Christiane von Hanstein (* 26.5.1765, + 18.4.1818) war die Tochter des Carl Johann Adolf von Hanstein, königl. Preußischer Kapitän/Hauptmann a.D. (* 10.1.1726, + 23.3.1777), Herr auf Ershausen, Töpfer, Wahlhausen, Bornhagen und Lehne, und seiner Gattin Friederike, geborene von Hagen, aus dem Hause Zaunröden. Der Vater von Hanstein hatte 1763 den Abschied genommen, um seine Güter zu bewirtschaften (FGvK).

Von Carl Heinrich ist auch überliefert: „.. wurde in der Franckeschen Stiftung in Halle erzogen. Sein Pate war u. a. Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, der „alte Dessauer”. Als dieser einmal die Frankesche Stiftung besuchte, stellte ihm Direktor Francke den jungen Heinrich Karl vor. Auf die Frage des Fürsten, was er werden wolle, antwortete Heinrich Karl: „Ich soll studieren, möchte aber lieber Soldat werden.” Tage darauf wurde Heinrich Karl zum Fürsten befohlen und von ihm als Junker in sein Regiment Anhalt eingereiht. Erst danach wurde Direktor Francke davon benachrichtigt. Der Vater Johann Sebastian war sehr ungehalten darüber, ließ Heinrich Karl nach dem Tode des Fürsten den Abschied aus preußischen Diensten nehmen und brachte ihn in Sachsen im Regiment Clemens unter”. Carl Heinrich war zuletzt Oberstlieutenant und Regimentskommandeur in Weißenfels und nahm am 16.2.1814 den Abschied. Er hat an den Feldzügen 1778/9, 1796, 1806, 1808/9 in Polen und 1812 teilgenommen.

In den napoleonischen Kriegen standen Offiziere aus der Familie von Koppenfels sowohl auf napoleonischer wie auf preu-ßischer Seite. Auf napoleonischer Seite, wenn sie in sächsischen Diensten standen. Denn Sachsen stand auf Seiten Napoleons. Der sächsische König hielt ihm auch die Treue bis zu Völkerschlacht von Leipzig im August 1813. Da wechselten in der Schlacht sächsische Truppenteile auf eigene Faust die Seite. Und der König machte unter dem Druck der Offiziere und Beamten schließlich mit.

8 Carl Heinrich Kobe von Koppenfels 1745 - 1823 <<< 8 Christiane von Hanstein 1765 - 1818

5. Sein Haus sieht man heute noch: Just Siegfried Kobe von Koppenfels

Geb. 5. b. 6. Mat. 1749; studirte zu Coburg bis Mai 1764, Leiptzig und Jena bis 1771 Jul., ward Hhäußl. Regierungs-Assessor cum voto Jan. 1772. Hhäußl. Regierungs- und ConsistorialRath Mai 1775. Cammerjunker 1776. Oct. vorher Hofjunker 1773 Jun. Hat 1771 Amtmann in Königsberg (bei Coburg) zu werden gesucht. geh.Rath, der vorderste im geh. Raths Colleg. bis 1806 Aug. ... + 20.Oct.1816 zu Heßberg. ux. Carolina Friederika, hl. Johann August von Kutzschenbach, Hhäußl. Cammerjunkers einzige hinterl. Tochter und deren Mutter eine von Beust, + 1806. 15.April, sep. zu Heßberg 18 ej (FGvK).

Er heiratete am 6.6.1775 zu Löbichau die Carolina Friederike geborene von Kutzschenbach (* 1.12.1755 zu Bucha, + 15.4.1806), eine Cousine von Ernestine von Kutzschenbach, Tochter des königl. poln. und kurfürstl. sächs. Landeskammerrats Johann Augustin von Kutzschenbach (* 20.6.1722 + 27.6.1770) und der Albertine Justiniane geborene von Beust (* 20.9.1734 + 30.7.1782).

Am Marktplatz von Hildburghausen steht noch heute das Koppenfels ´sche Haus. Über dem Eingang finden sich das Monogramm von Just Siegfried „JSvK” und die Jahreszahl MDCCLXXX

8 Just Siegfried Kobe von Koppenfels 1749 - 1806 <<< Carolina Friederike von Kutzschenbach 1755 - 1806

6. Die Frau des Kunscht-Meyer: Amalie Karoline Friederike Kobe von Koppenfels

* 14.1.1771 in Weimar, + 21.4.1825 in Weimar; vermählt 1803 mit 9 Johann Heinrich Meyer (* 16.3.1760 in Staefa am Züricher See, + 11.10.1832), Hofrat und Professor, Maler und Kunstgelehrter, Direktor der Zeichenakademie. Freund Goethes, der ihn 1792 nach Weimar holte und von ihm als „Kunst-Meyer” ( „Kunscht-Meyer”) sprach (FGvK).

In älteren Jahren wollte Goethe sich nicht mehr mit Recherchen belasten und vertraute auf Arbeitsteilung. Zeitgenossen haben davon berichtet, wie Riemer die Philologie vertrat, Meyer die Kunstgeschichte und Eckermann für Zitate aus allen Fächern zuständig war. Meyer versuchte darüber hinaus auch den Meister in Kleidung und Haltung zu kopieren. Doch Meyer war nicht nur Gehilfe, sondern Goethes bester und stets unterschätzter Freund. Meyer hatte eine schwere Kindheit gehabt, da der Vater, ein Kaufmann, nach einem Bankrott die Familie verließ. Meyer wurde Zeichner. Ab 1784 lebte er in der deutschen Künstlerkolonie in Rom. Dort begegnete er Goethe. Nachdem der sich mit seinem zeitweiligen Kunstmentor Tischbein zerstritten hatte, sprang Meyer 1787 ein. Goethe lobte ihn bald über den grünen Klee, weil er ihm den Zugang zu vielen Kunstwerken verdankte. Goethe sorgte nun für den armen Zeichner und holte ihn 1792 als Direktor der Zeichenakademie nach Weimar. Meyer selbst war kein großer Künstler, aber Goethe suchte seine Nähe und nahm ihn sogar in den engsten Familienkreis auf. Er schätzte nicht nur seinen Kunstsinn sondern auch die Zuverlässigkeit und unkomplizierte Bescheidenheit. Da der Schweizer seinen heimatlichen Dialekt über die Jahre beibehielt, diente er nicht selten dem Frohsinn aber auch dem Spott. Manches mußte er da einstecken, was eigentlich Goethe treffen sollte. August Wilhelm Schlegel beispielsweise reimte: „ Laß die Schnuze von der Kunscht! / Du hascht nu eimol nüt der Muose Gunscht.” Über seine Ehe mit Amalia ist wenig bekannt. Sie kam zustande, obwohl Goethe über den heiratsbedingten Auszug seines Freundes verstimmt war. Auch freute sich Goethe egoistisch keineswegs über das Glück seines Freundes. Das Verhältnis beider war aber nicht nachhaltig gestört und so gut, daß es nicht durch Unterwürfigkeit des Adlatus geprägt war und heftige Diskussionen möglich waren. Anekdoten gibt es einige. Verbürgt sind schweigsame Kutschfahrten der beiden Herren. Da soll Goethe einmal angesichts der vorbeiziehenden Landschaft ein „Hm, hm” geräuspert haben, worauf Meyer knapp antwortete: „ So isch ´s”.

In seinem Testament bestimmte Meyer sein nicht unbedeutendes Vermögen von an die 33. 000 Taler zu einer Stiftung für Hausarme, der Meyer-Amalien-Stiftung, deren Oberaufsicht Großherzogin Maria Pawlowna am 29. Mai 1833 übernahm.

9 Amalie Karoline Friederike Kobe von Koppenfels 1771 - 1825 <<< 9 Johann Heinrich Meyer 1760 - 1832

7. Heinrichsorden nach der Konfirmation: Ferdinand Kobe von Koppenfels

* 15.2.1795 in Dresden, + 27.12.1858 in Dresden; ~ 29.10.1827 mit Marianne Emilie von Zeschau (* 31.12.1791 in Zeitz, + 25.5.1853 in Leipzig), Tochter des Heinrich Wilhelm von Zeschau, königl.sächs. Generalleutnant, Staatssekretär der milit. Angelegenheiten, Gouverneur von Dresden und Generaladjudant des Königs (* 22.8.1760, + 14.11.1832) und seiner Frau Karoline Juliane von Brause (* 8.1.1765, + 1.2.1811).

1806 war er Kadett und 1809 Fähnrich im Regiment Prinz Clemens. Sein Bruder schilderte in einem Brief an die Eltern, wie tapfer sich der Vierzehnjährige in der Schlacht bei Wagram geschlagen hat. Mitten im Kugelregen habe er die Fahne an sich gerissen und mit dem Ruf: „Ein Hundsfott, wer die Fahne im Stich läßt!” die Wankenden wieder nach vorn geführt. 1810 Souslieutnant, 1818 Premierlieutnant, 1821-1823 Militärakademie Dresden, 1827 Erzieher im Kadettenkorps. 1829 Kapitän. 1809 erhielt er die silberne Heinrichsmedaille und 1811, nachdem er inzwischen konfirmiert worden war, den Heinrichsorden. Nach seiner Verabschiedung 1834 wurde er zunächst Obergrenzkontrolleur in Tittau und 1840 Salzverwalter in Leipzig. 1857 zog er nach Dresden.

Als sein Sohn Heinrich Ferdinand seinem Vater Ferdinand seine Neigung zur Baronesse von Gutschmid gestand, schrieb ihm dieser u.a.: „ Es kommt nicht so sehr auf den Namen und die äußere Stellung an als vielmehr auf die Eigenschaften des Herzens und der Seele sowie auf hausfrauliche Tugenden. Ich will nicht bezweifeln, daß Deine Auserwählte auch solche Eigenschaften besitzt, bitte Dich aber, sorgfältig zu prüfen, ob Deine Neigung stark genug ist, in den Stürmen des Lebens zu bestehen. Bedenke auch, daß Du in Deiner jetzigen Stellung nicht in der Lage bist, dem etwas luxuriösen Frl. v. G. ein Leben zu bieten, wie sie es gewohnt ist. Du darfst kein Mädchen an dich binden, solange die Erfüllung Eurer Wünsche noch in unbestimmter Ferne liegt. Es tut mir herzlich leid, wenn ich etwas Wasser in den Wein Deiner Freude gießen muß, halte es aber für meine Pflicht, Dich darauf aufmerksam zu machen, und hoffe, daß Du mich verstehen wirst” (FGvK).

9 Ferdinand Kobe von Koppenfels 1795 - 1858 <<< 9 Marianne Emilie von Zeschau 1791-1853

8. Afrika- Forscher: Hugo Kobe von Koppenfels

Reise- und Abenteuerlust sowie Jagdleidenschaft veranlaßten ihn, sein Gut Menchen bei Leipzig zu verkaufen und 1874 nach Westafrika zu gehen, um die damals noch unbekannte Lebensweise der Gorillas zu studieren und möglichst ein Exemplar lebend nach Deutschland zu bringen. Als erster Europäer schoß er am 24.12.1874 einen Gorilla, setzte Kopf und Skelett in Alkohol, den heimlich die Schwarzen tranken, so daß alles verdarb. Später gelang ihm der Fang eines jungen Gorilla. Er brachte ihn glücklich an die Küste und auf das Schiff und fuhr mit ihm 1876 nach Deutschland. Das Tier starb unterwegs an Schwindsucht. 1877 reiste Hugo wieder nach Afrika, drang in das Quellgebiet des Kongo und Ogawe vor und hißte dort die deutsche Flagge. 1880 kehrte er nach Deutschland zurück, um das Land von der Regierung in Besitz nehmen zu lassen. Er erhielt jedoch einen ablehnenden Bescheid. Auf seiner dritten Expedition nach Afrika brach er sich den rechten Hüftknochen und kehrte an Krücken und bettelarm 1883 nach Deutschland zurück. Nach monatelanger Behandlung im Krankenhaus in Erfurt, wo seine Geschwister für ihn sorgten, wurde in Berlin eine Operation versucht, an deren Folgen er starb. Literatur: Zell, Th., Riesen der Tierwelt, S. 180-192; Die Gartenlaube 1877, Nr.25 (FGvK).

10 Hugo Kobe von Koppenfels 1834 - 1884 in Berlin.

9. Verwandt mit Admiral de Ruyter: Adolf Kobe von Koppenfels

Er war preußischer Offizier, zuletzt Major.1866 kämpfte er gegen Hannover und wurde in der Entscheidungsschlacht von Langensalza schwer verwundet (rechtes Schultergelenk zerschossen). Verheiratet war er mit der Tochter des Fabrikbesitzers Henri Villerius und der Marie Anna van Steveninck, Nachkommin des holländischen Admirals de Ruyter. De Ruyter war der Einzige, der die Engländer mehrmals in Seeschlachten besiegte; glänzende Siege errang er 1666/ 67 und 1672/73 gegen die verbündeten englischen und französischen Flotten, sowie 1676 abermals gegen die englische Flotte. Er fiel in der Seeschlacht vor Syrakus (Sizilien), wo er am 29.4.1676 auf seinem Admiralsschiff starb (FGvK).

10 Adolf Kobe von Koppenfels 1839 -1907 <<< 10 Cornelia Jacoba Villerius 1849 - 1937

10. Reiter und Freikorps-Führer: Waldemar Otto Heinrich August Kobe von Koppenfels

Er kam sehr jung an die Kadettenschule, wurde Offizier bei den 13. Husaren, war großer Pferdesachverständiger und erfolgreicher Reiter. Nach einem Sturz mußte er zur Artillerie wechseln. Nach dem 1. Weltkrieg gründete er das Freikorps „Schutztruppe Bug” mit 6000 Mann und 135 Offizieren. Den Abschied hat er als Major erhalten. Kurz nach 1933 bot man dem ehemaligen Freikorps-Kämpfer die Position als SS-Standartenführer an, er lehnte ab. Ebenso 1935, als ihm nach Einführung der Wehrpflicht die Reaktivierung als Offizier angeboten wurde. Im 2. Weltkrieg wurde er zwangsweise rekrutiert und versah als Oberstleutnant seinen Dienst als Standortältester von Celle (FGvK).

11 Waldemar Otto Heinrich August Kobe von Koppenfels 1874-1959 <<< 11 Maria Edith Döring 1889 -1968

11. Regierungspräsident im Dritten Reich: Carl-Ferdinand Edler von der Planitz

Carl Ferdinand besuchte die Humanistische Prinzenschule des sächsischen Königshauses in Dresden und schloß dort Freundschaft mit Kronprinz Friedrich-Christian. Es folgten das Studium der Rechtswissenschaften, die Kriegsteilnahme 1914-18 als Reserveoffizier, 1922 das 2. Jur. Staatsexamen, Tätigkeiten beim Zoll in Oberschlesien, in Kiel und in Annaberg/Erzgebirge sowie bei der Finanzbehörde in Hannover. 1933-1935 war er Landrat in Clausthal-Zellerfeld/Harz, 1935-1938 Landrat in Schweidnitz/Schlesien, von 1938-1943 Regierungspräsident in Stettin/Pommern, von 1943 bis Kriegsende Regierungspräsident in Troppau/Ostsudetenland. Seitdem ist er mit Frau Lotte und Sohn Carl Hermann Horst verschollen.

Lotte Körner stammte aus der Familie des 1813 in der Völkerschlacht von Leipzig gefallenen ehemals bekannten Freiheitsdichters Theodor Körner. Die elterliche Familie lebte noch im sog. Körner-Haus in Dresden-Loschwitz, Körnerweg 6. Das Haus war einst von Theodor Körners Vater, dem Oberappellationsgerichtsrat Christian Gottfried Körner erworben worden. Hier sind Goethe und Schiller zu Gast gewesen. Im Körnerschen Haus sollen Schillers „Don Carlos” und die Ode „An die Freude” entstanden sein.

Ohne Zweifel hat Friedrich Schiller die „Ode an die Freude” in Sachsen verfaßt. Doch wo, das ist umstritten. Leipzig und Dresden nehmen das für sich in Anspruch. Es scheint aber so, daß die Dresdner im Recht seien. Denn Schiller lebte von 1785 bis 1787 im Gartenhäuschen der Familie Körner am Loschwitzer Elbhang. Hier soll auch der „Don Carlos” entstanden sein. Gastgeber war Christian Gottfried Körner, zu der Zeit Konsistorialrat in Dresden, später Geheimer Oberregierungsrat in Berlin, und ab 1785 Freund und Förderer Schillers. Körners Sohn Karl Theodor Körner, 1791 in Dresden geboren war ein nachmals bekannter Dichter bühnenwirksamer Lustspiele und pathetischer Tragödien in der Nachfolge Schillers. 1813 trat er in das Lützow ´sche Freikorps ein und fiel noch im gleichen Jahr bei Gadebusch. Heute erinnert man sich seiner vielleicht noch durch das Lied „Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd”. Aus dieser Familie stammte Lotte von der Planitz geb. Körner.

In ihren Erinnerungen schreibt Marga Bednarz geb. von der Planitz 1969, daß ihre Eltern im März 1945 verschollen sein sollen. Ihren Vater beschreibt sie als liebenden Vater und aufrechten Mann, der nur Sauberes und Richtiges getan habe. Im Juli 1944 habe sie um ihren Vater Angst gehabt, „weil ich spürte, daß er am Anti-Hitlerputsch beteiligt war” (FGvK). Die Karriere des Vaters im 3. Reich und ein der Familienchronik beigefügtes Bild, das ihn in einer SS-Uniform (Schirmmütze mit Totenkopf, Mantel mit Generalsspiegeln) zeigt, sprechen allerdings eine andere Sprache.

12 Carl-Ferdinand Edler von der Planitz 1893 - 1945 (?) <<< 12 Lotte Körner 1899 - 1945 (?)

V. Königsberg, Flucht und Neuanfang

1. Das moderne Ostpreußen

Die Ostpreußen hatten sich lange schwer damit getan, ihre eigene Identität an ein übergeordnetes Preußen oder gar das ferne Deutschland zu verlieren. Das änderte sich das im 19. Jahrhundert und insbesondere nach 1871. Ostpreußische Regimenter hatten in Frankreich gekämpft. Auch in Ostpreußen feierte man die Siege und gedachte der Gefallenen. Die um sich greifende preußische Deutschtümelei fand auch in Ostpreußen viele Anhänger. Patriotismus und Nationalismus wurden von den Gutsbesitzern und der Beamtenschaft getragen, also denen, die das öffentliche Leben beherrschten und beeinflußten. In kaum einer deutschen Provinz fanden Monarchie und Protestantismus so viele Anhänger wie in Ostpreu-ßen. Bei der Reichstagswahl von 1907 gewannen die Konservativen dreizehn von siebzehn ostpreußischen Wahlkreisen, nur Königsberg, Memel und die beiden ermländischen, katholischen Wahlkreise votierten anders. Für die nächsten Jahrzehnte bildeten die ostpreußischen Wähler eine verläßliche Stammwählerschaft der Rechtsparteien. Ab 1870 gab es in Ostpreußen auch eine nationalistische Germanisierungspolitik mit dem Ziel einer einheitlichen Sprache und Kultur deutscher Art. 1894 hatte man den Deutschen Ostmarkenvereins (DOMV)gegründet. Alles, was slawisch oder litauisch klang, sollte weichen. Erste Ortsumbenennungen waren allerdings schon 1877 erfolgt.

Dann kam der 1. Weltkrieg und Ostpreußen erlitt 1914/15 als einzige deutsche Provinz Krieg, Besatzung, Tod und Vernichtung. Schon mit Kriegsbeginn am 1. August 1914 drangen kleinere russische Einheiten nach Ostpreußen ein. Rußland wollte Ostpreußen in die Zange nehmen und erobern, von Osten durch die 1. russische Njemen-Armee und von Süden durch die Narew-Armee. Die Deutschen hatten dem nur schwache Kräfte entgegen zu setzen. Denn nach dem sog. Schlieffen-Plan mobilisierten sie ihre gesamten Kräfte gegen Frankreich. So konnten die russischen Truppen in weniger als drei Wochen bedeutende Teile von Ostpreußen besetzen. In der Not reaktivierte die Oberste Heeresleitung den bereits pensionierten Paul von Hindenburg, dem vor allem dank seines Stabschefs General Ludendorff die Wende gelang. In der sogenannten „Schlacht von Tannenberg” wurde vom 26. bis 30. August 1914 die Narew-Armee umzingelt und geschlagen. Danach wurde in der „Schlacht an den masurischen Seen” vom 8. bis 11. September 1914 die Njemen-Armee geschlagen. Einhundertzwanzigtausend russische Soldaten fielen, neunzigtausend gerieten in deutsche Gefangenschaft. Auf deutscher Seite verloren 13 058 Soldaten ihr Leben. Beide Siege wurden u.a. möglich, weil die Deutschen sich sehr geschickt des Eisenbahnnetzes bedienten und ihre zahlenmäßig unterlegenen Kräfte vor und während der Kämpfe hin und herschieben konnten. Während der Schlieffenplan im Westen u.a. deshalb nicht erfolgreich war, weil man strategische Prinzpien des alten Moltke nicht berücksichtigte, galt hier das Gegenteil. Ähnlich wie Moltke 1866 bei Königgrätz seine Truppen per Bahn zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort brachte und wie es auch 1870 wiedergelang, half in Ostpreußen der planmäßige Einsatz der Eisenbahn zum Sieg. Aber Ostpreußen war in Teilen schlimmer zerstört worden als 1944/45. Dörfer und Städte lagen in Trümmern. Hunderttausende Flüchtlinge waren unterwegs. Die Versorgungslage war katastrophal. Und die Zukunft war unsicher. So hatte schon am 18. August der Gouverneur von Königsberg den Bewohnern empfohlen, die Stadt zu verlassen. Ein Umstand, der wohl den Anlaß dafür gab, daß der sechsjährige Martin Kob nach Stargard zu Verwandten geschickt wurde und zunächst dort auch ein Internat besuchte. Sein Vater wiederum war an diesen Kämpfen als Leiter eines Feldlazaretts beteiligt. Immerhin setzte im Reich eine große Welle der Hilfsbereitschaft ein, so daß Ostpreußen beim Wiederaufbau viel Hilfe erfuhr. Allerdings führten diese Erfahrungen zunächst nicht dazu, daß die militärische Präsenz in Ostpreußen verstärkt wurde. Dies ermöglichte Rußland Anfang 1915 einen zweiten Einbruch nach Ostpreußen. Bei der sog „Winterschlacht in Masuren” gab es trotzdem erneut einen deutschen Erfolg. Allerdings verstärkten diese Ereignisse in der Bevölkerung das Gefühl, daß das Reich sie nicht genügend schützt und vergißt. Eine Sorge, die immer wieder durchschlug, nach dem Krieg bei den Volksabstimmungen, nach der Bildung des polnischen Korridors mit der Folge, daß Ostpreußen vom Reich abgeschnitten war und erhebliche wirtschaftliche Folgen spürte.

In den zwanziger Jahren fand das abgetrennte Ostpreußen neues Interesse im Deutschen Reich. Es wurde Mode, nach Ostpreußen zu fahren. Umgekehrt zog es Künstler, Wissenschaftler und andere aus dem einst so regen und befruchtenden Königsberg nach Berlin. Die Maler Max Beckmann und Ernst Ludwig Kirchner, die Architekten Bruno und Max Taut, auch Käthe Kollwitz verließen Ostpreußen. Statt dessen entstand eine antimoderne „Heimatliteratur”, für die Namen wie Gerhart Hauptmann, Max Halbe, Hermann Sudermann oder William von Simpson standen. Dazu gehört das „Ostpreußenlied”, das von jungen Leuten getextet und komponiert als „Land der dunklen Wälder” nach 1933 und erst richtig nach 1945 Anklang fand. Es paßte dazu, saß sich die Konservativen (Deutsch-Nationalen) in Ostpreußen gegen Ende der zwanziger Jahre mehr und mehr den Nationalsozialisten zuwendeten. Noch 1928 wählten bei der Reichstagswahl 0,8 % der Ostpreußen NSDAP (im Reich 2,8), 1930 22,5 % (18,3), Juli 1932 47,1 % (37,4) und November 1932 39,7 % (33,1). Ostpreußen wählte so braun wie keine andere Provinz, und schließlich war es auch die Deutschnationale Volkspartei, die 1933 Hitler zur Regierung verhalf. Nach der ganzen Geschichte nicht sehr verwunderlich.

Auch die Germanisierung bekam eine neue Dynamik. Der „Bund Deutscher Osten”, an der Spitze der spätere Bundesminister Theodor Oberländer, tat sich hier besonders hervor. Opfer waren u.a. die Ortsnamen. Seit 1933 erfolgten viele Umbenennungen slawisch oder litauisch klingender Ortsnamen in neue deutsche Fantasienamen. 1938 gab es dann noch einmal eine große Welle. So wurden 1500 Ortsnamen „eingedeutscht”. Siegfried Lenz hat das in seinem „Heimatmuseum” anschaulich geschildert. Aus der Familiengeschichte der Kobs waren u.a. folgende Orte betroffen: Darkehmen wurde Angerapp, Eydtkuhnen - Eydtkau, Grabowen - Arnswald, Jurgaitschen - Jarkental, Niebudzen - Niebudschen, Oletzko - Treuburg, Kalinowen - Dreimühlen, Jedwabno - Gedwangen, Gorcziczen - Deumenrode (schon 1928). Plibischken behielt seinen Namen, Ruß und Wischwill ebenfalls, gehörten aber auch nach dem 1. Weltkrieg zum Memelgebiet. Die Ortsnamen Groß Taurothenen, Klischweten und Lerbewitschen konnte ich schon 1913 für Deutschland nicht mehr ausmachen. Ostpreußen veränderte sein Gesicht keine zehn Jahre, bevor es russisch und polnisch wurde. Unverständlich aber ist, daß die Landsmannschaft Ostpreußen nach 1945 für ihren Bereich die neuen Namen mit der Begründung für verbindlich erklärte, daß rechtliche Konsequenzen keine anderen Möglichkeiten eröffneten. So finden sich heute in fast der gesamten Vertriebenenliteratur nur noch die nationalsozialistischen Namen. Ortsnamen, die Jahrhunderte gegolten hatten, an denen zu preußischer Zeit und in der Weimarer Republik niemand etwas fand, waren ausgelöscht, zugunsten einer nationalsozialistischen Rassenpolitik, die gerade mal zwölf Jahre existiert hatte. Was ging wohl in den Köpfen der Vertriebenenfunktionäre vor? Waren sie so von nationalistischem Gedankengut besessen? Wie der unterlassene Wiederaufbau deutscher Städte kam das einer zweiten Zerstörung gleich.

Nationalsozialismus in Ostpreußen ist nicht denkbar ohne Gauleiter Erich Koch. Er war von 1933 bis zum Ende der skrupellose Herrscher über Ostpreußen. Schon 1935 gab es ein Untersuchungsverfahren wegen Machtmißbrauch und kriminellem Verhalten gegen ostpreußische NSDAP-Funktionäre. Koch wurde schuldig gesprochen, aber von Hitler rehabilitiert. Koch war Gauleiter und Oberpräsident, später auch Reichskommissar für die Ukraine. Sein Name verbindet sich mit Germanisierung, Judenverfolgung, Kirchenkampf, Durchhalteparolen und dem Verbot der rechtzeitigen Flucht.

Am 17. Juli 1944 standen die Russen bei Grodno. Für Ostpreußen trat eine allgemeine Reisesperre ein, die es unmöglich machte, ohne Sondergenehmigung nach Westen zu reisen. Am 23. Juli 1944 wurden die aus Berlin und Hamburg nach Ostpreußen evakuierten Frauen und Kinder nach Thüringen und in den Sudetengau geschafft. Die Königsberger auf das Land Evakuierten durften wieder nach Hause. Ab 29. September wurden die aus Königsberg Evakuierten nach Sachsen geschafft. Im Oktober 1944 standen russische Truppen am nördlichen Memelufer. Am 16. Oktober betraten sie bei Stallupönen erstmals deutschem Boden. Mitte November folgte eine Kampfpause. Am 13. Januar1945 begann dann der Großangriff russischer Truppen auf breiter Front, er brachte schnelle Geländegewinne. Am 26. Januar war Ostpreußen eingekesselt, am 29. Januar Königsberg. Auch jetzt noch gab es keine geordnete Evakuierung. Die Menschen flohen zu Schiff und über das frische Haff nach Westen. Als am 30. März Danzig fiel, gab es auch die Landverbindung nach Westen nicht mehr. Koch aber verbreitete weiter Durchhalteparolen, obwohl er selbst nicht mehr in Königsberg sondern in Pillau war. Im April setzte er sich ab, flog nach Hela, wo zwei Eisbrecher mit Luxusgütern auf ihn warteten. Von dort ging es nach Westen. Flüchtlinge wurden auf den Schiffen nicht mitgenommen, obwohl Platz gewesen wäre. Im Westen tauchte Koch unter falschem Namen unter, wurde 1949 entdeckt, an Polen ausgeliefert, dort wegen Verbrechen u.a. in Bialystok zum Tode verurteilt, begnadigt und verbrachte sein Leben bis zu seinem Tod im Jahre 1986 im ostpreußischen Gefängnis Wartenburg. Nach wochenlangem Bombardement und Beschießung fiel Königsberg am 9.April 1945. Über die Leiden der Zivilbevölkerung dabei und danach ist viel berichtet worden. Als Folge der Potsdamer Konferenz fiel der nördliche Teil Ostpreußens an Rußland, der südliche an Polen. Der Norden wurde das Kaliningrader Gebiet, ein großer Militärstützpunkt und verkam. Den Süden hatte Polen übernommen und ihm im Vergleich zum Kaliningrader Gebiet zu einer neuen Blüte verholfen, einschließlich der Restaurierung vieler Gebäude aus der deutschen Zeit.

In der Bundesrepublik wurden die Flüchtlinge keineswegs mit offen Armen aufgenommen. Der Neuanfang war mehr als schwer. Auch Zusammenschlüsse verboten die Westalliiierten bis 1947, weil sie politische Unruhen befürchteten. Mit dem Lastenausgleichsgesetz wurde dann ein Schritt zur Integration getan. Aber noch lange träumten die Ostpreußen von der Rückkehr in die alte Heimat. Am 3. Oktober 1948 durfte dann in Hamburg die „Landsmannschaft Ostpreußen” gegründet werden. In der Satzung standen neben der Pflege der heimatlichen Kultur vor allem soziale Aufgaben im Vordergrund. Die Landsmannschaft wurde aber auch die Interessenvertretung der Ostpreußen. So wurde sie nicht nur zur Heimat vieler Ostpreußen sondern auch zu einer großen Hilfe bei der Integration. Allerdings sollte nicht übersehen werden, daß viele Vertriebenenfunktionäre überwiegend dem Denken der dreißiger Jahre anhingen und eine rückwärts gewandte Politik betrieben. Das zeigt sich auch daran, daß sie in Verkennung der politischen Lage bis in die Gegenwart überzeugt waren, Ostpreußen könne wieder deutsch werden, und daß sie der Verständigungspolitik Willy Brandts und seiner Nachfolger entgegen standen.

2. Stadtschulrat in Königsberg: Heinrich Albert Tribukait

Heinrich Albert Tribukait war mit Marie Henriette Kob verheiratet. Er besuchte die Schule in Lyck und dann bis 1861 das Friedrichs-Collegium in Königsberg i. Pr., studierte in Königsberg und war dann dort Gymnasial-Oberlehrer, später in Rastenburg. Danach war er Königlich Preußischer Kreisschulinspektor, 1886 Stadtschulrat und Stadtältester in Kö-nigsberg i. Pr. Nach ihm wurde dort die Tribukait-Schule benannt. Er war Kriegsteilnehmer 1870-71, Leutnant der Landwehr a. D., Ritter des Königlich Preußischen Roten Adler-Ordens 4. Klasse und Inhaber der Kriegsgedenkmünze 1870-71. Tribukaits Vorfahren lassen sich in Ostpreußen bis in das 17. Jahrhundert zurück verfolgen. Pfarrer Paul Gizycki (Gisevius, 1618-83) überlebte in Czychen 1656 den Überfall der polnischen Tataren-Hilfstruppen. Als Polen nach dem 2.Weltkrieg Lötzen in Gizycko umbenannte, wollte es aber wohl an den Ethnographen H.M.G. Gizewiusz (1810-48) erinnern.

Nach dem Lexikon der Stadt Königsberg und Umgebung stieg während seiner Amtszeit als Stadtschulrat die Zahl der Klassen von 145 auf das Dreifache. In Spandau als Turnlehrer ausgebildet, erwarb er sich Verdienste um die Pflege der Leibesübungen durch die Einführung von Schulwanderungen und den Bau von Turnhallen. Die Stadt ehrte ihn, indem sie ihn zum Stadtältesten ernannte. Groppler berichtet unter Berufung auf Dr. Wilhelm Tribukait, Albert Tribukaits Neffen, daß er in Königsberg an der Burgschule tätig gewesen sei. Unter ihm als Stadtschulrat „sei der Ausbau hygienischer Schulräume in großen Gebäuden mit modernen Einrichtungen zu voller Entwicklung gekommen; Turnunterricht, Ausflüge, Blumenzuchtwettbewerbe und Gartenbautätigkeiten kleiner Schülergruppen seien von ihm gefördert worden. Eine Schule in der Kaiserstraße sei nach ihm benannt worden, als er in den Ruhestand trat. Seinen Lebensabend habe er in einem ihm von der Stadt gegen geringes Entgelt zur Verfügung gestellten Haus an der Nordecke des Schloßteiches verbracht. Er sei als Redner der Dreikronen-Loge eifrig tätig gewesen und habe auch noch sein 50-jähriges Maurer-Jubilä-um feiern können. Dann sei er an den Folgen einer Darmlähmung trotz zweimaliger Operation verstorben. Die Trauerfeier habe unter sehr großer Beteiligung im Krematorium stattgefunden, dabei habe Bürgermeister Goerdeler als Vertreter der Stadt ihm einen langen Nachruf gewidmet”.

12 Heinrich Albert Tribukait 1842 - 1923 <<< Marie Henriette Kob 1844 - 1925

3. Stabsarzt in Allenstein: Johannes Philipp Kob

Johannes Philipp Kob war Stabsarzt in Allenstein beim Infanterie-Regiment Nr. 151. Viel mehr wissen wir von ihm nicht. Aber man kann nachlesen, welche Einsätze dieses recht junge Regiment gehabt hat. Es mag sein, daß er daran beteiligt war. Das Regiment Nr. 151 war das Königlich Preußische (2. Ermländisches ) Infanterie-Regiment. Es war am 31.3.1897 errichtet worden und trug den genannten Namen seit 27.1.1902. Seine Garnison war bis 1909 in Allenstein. Bei Kämpfen war es eingesetzt 1904/06 in Deutsch-Südwest-Afrika, 1914/18 u.a. bei Tannenberg, an den Masurischen Seen, in Warschau und Lodz, an der Düna, im Elsaß, Chemin des Dames, an Marne und Maas und 1919 beim Grenzschutz im Osten.

13 Johannes Philipp Kob 1871 - 1930 <<< 13 Hedwig Stoltzenberg * 1874

4. Pfarrer in Hinterpommern: Werner Karl Kob

Werner Karl Kob wurde am 8.1.1905 ordiniert, war ab 1907 Hilfsprediger (Pfarramtsverwalter) in Giesebitz und dort wohnhaft; Giesebitz war pfarramtlich mit Glowitz verbunden, wo der „erste” Pfarrer tätig war. In der Gemeinde Glowitz gab es 14 Rittergüter, die beim Patronat von Rittergutsbesitzer von Rohr auf Tramnitz vertreten wurden. Ab 1.10.1915 und auch noch 1937 war Werner Kob Pfarrer in Buckowin Kr. Lauenburg. In Buckowin war sein Superintendent Karl Benkendorff, der Großvater von Hellmut Benkendorff. Werner Kob war Schriftenverteiler für die Seemannsmission in Neuwarp.

13 Werner Karl Kob * 1876

5. Gestorben am Fleckfieber in Rumänien: Friedrich Walter Bruno Kob

Bruno Kob war Dr. med. und Arzt in Wehlau. Im 1. Weltkrieg war er eingezogen und starb in Braila (Rumänien) als Chefarzt des von ihm bis dahin geleiteten Feldlazaretts an Fleckfieber. Übrigens hat Martin Kob noch im 2. Weltkrieg das Grab seines Onkels in Braila, der „rumänischen Haupthandelsstadt in der Großen Walachei” besucht.

Bruno könnte mit dem Königlich Preußischen Grenadier-Regiment König Friedrich Wilhelm I. (2. Ostpreußisches) Nr.3 oder mit dem Königlich Preußischen (8. Ostpreuß.) Infanterie-Regiment Nr.45 in Rumänien gewesen sein. Nach meinen Ermittlungen waren diese beiden Regimenter 1917 in Rumänien. Sein Name taucht allerdings bei Voigt nicht unter den Gefallenen oder Verstorbenen auf.

Das Grenadier-Regiment Nr.3 ist am 18.8.1685 errichtet worden und trug den angegebenen Namen seit 27.1.1889. Sein Chef war der Kaiser. Gekämpft hat es 1914 bei Tannenberg, 1915/16 an der Ostfront, 1916 an der Westfront und 1917 in Rumänien. Seine Garnisonen waren Königsberg und Braunsberg. Die Uniform im 1. Weltkrieg war ein dunkelblauer Waffenrock und der Helm aus schwarz lackiertem Leder. Zu den Merkwürdigkeiten dieses Regiments zählt, daß 1813 ein Mädchen mit dem Namen Fuhrmann als Tambour Speer im Regiment kämpfte. Auf Befehl von Yorck durfte es, nachdem dies bekannt geworden war, weiter dienen. Das Infanterie-Regiment Nr. 45 ist am 5.5.1860 errichtet worden. Den zuvor genannten Namen trug es seit 7.5.1861. Garnisonsstädte waren Darkehmen und Insterburg. Die Uniform bestand aus Helm mit eckiger Vorderschiene, dunkelblauem Waffenrock mit einer Reihe gelber Knöpfe.

13 Friedrich Walter Bruno Kob 1867 - 1917 <<< 1. Hildegard Hoffmann 1874 - 1899 <<< 2. Katharina Schläger * 1881

6. Militär- und Kinderarzt, Meister vom Stuhl: Martin Friedrich Konrad Kob

Martin Kob besuchte das Progymnasium in Marggrabowa, ab 1879 das Gymnasium in Lyck und in Meseritz und machte das Abitur 1891 am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium zu Berlin. Michaelis 1891 trat er in die Kaiser Wilhelm Akademie für das militärische Bildungswesen in Berlin ein. 1896 wurde er in Königsberg zum Dr. med. promiviert und approbiert. Anschließend wurde er aktiver Sanitätsoffizier, u.a. 1902 als Stabsarzt in Saarburg und Schlettstadt, 1903 wieder in Berlin an der Kaiser Wilhelm Akademie, 1906 als Stabsarzt in Königsberg, 1912 als Oberstabsarzt beim Inf. Regt. 43, 1917 als Divisionsarzt und im März 1917 (18?) als Generaloberarzt. 1919 nahm er Abschied. Ausgezeichnet wurde er mit dem EK I und EK II. Martin Kob hatte sich neben seiner militärärztlichen Tätigkeit zum Kinderarzt ausbilden lassen und war Chefarzt der Kinderabteilung an der „Diakonissenanstalt der Barmherzigkeit” in Königsberg. Daneben hatte er eine Praxis als Kinderarzt. 1929 bis 1933 war er Vorsitzender der Ärztekammer Ostpreußen und des Ärztevereins Königsberg. Auch war er Meister vom Stuhl der Freimaurerloge „Zu den drei Kronen”. Nach 1933 wurde er aller Ämter entsetzt. Er war deutschnational gesonnen, liebte die Vogesen und wohnte in Königsberg, Königstraße 53 a I., später Hintertragheim 32. Er ist nach mehreren vorausgehenden Herzinfarkten an einem neuen gestorben (Tochter Anna Luise). Das Haus Hintertragheim Nr. 32, in dem die Familie eine große Wohnung bewohnte, gehörte der Loge. Nr. 31 enthielt ein Wirtschaftsgebäude, an das hinten das Logengebäude ( „die Loge”) angebaut war. Nach 1933 übernahm das Kaufhaus Müller, das früher jüdisch gewesen war, das Logengebäude.

Der Familien-Mensch

Martin sen. hatte seine Frau Magdalene in der Charité kennen gelernt, wo sie Schwester gewesen war, ebenso wie ihre Schwester Käthe. Lenchen oder Sonnchen, wie sie genannt wurde, war eine immer tätige und auch für andere Menschen offene und hilfsbereite Frau. Aufgewachsen war sie bei ihrer Tante Anna in Stargard i. P.; denn die Eltern lebten nicht zusammen. Der Vater war nach den USA ausgewandert, und die Mutter lebte bei Tante Marie verh. Tank, die in der Nähe von Stargard einen Bauernhof besaß, und half ihr dort. Bis in ihr Alter war sie medizinisch interessiert. Sie pflegte Tante Anna (Krebs), Tante Marie (Cerebralsklerose) und die eigene Mutter (Darmkrebs) bis zum Tode. Sie war Kinderschwester gewesen und bis ins Alter an medizinischen Dingen interessiert. Schwiegertochter Gisela Behrend erinnerte sich noch an einige Details vom Haushalt. In der Küche gab es eine sogenannte Eieruhr, d. h. ein Rad von etwa 50 cm Durchmesser, in das mehrere Dutzend Eier in Klammern gesteckt wurden. Täglich wurde das Rad ein Stück gedreht, damit sich der Eierinhalt nicht festsetzen konnte. Martin sen. und seine Söhne tranken gerne rohe Eier, besonders wenn sie spät abends vom Stammtisch nach Hause kamen. Dann steckten sie die leeren Eierschalen auch umgekehrt wieder ein. Bemerkte Lenchen das, war sie zwar nicht böse, regte sich aber doch auf. Martin sen. lachte. Auch wurden, so lange es ging, wöchentlich 9 Pfund ungesalzene Butter von der Molkerei geholt. Die Butter wurde u.a. auch dazu gebraucht, daß der Hund „Pussel” meistens Kartoffeln mit Butter zu fressen bekam. Nur zweimal in der Woche wurde aus der Pferdefleischerei feinstes Fleisch geholt und roh verfüttert. Nach dem Hund „Pussel” war für Bärbel und ihre Geschwister der Opa auch der „Pussel-Opa”. Als Gisela geheiratet hat, bekam sie 2 Pfund Butter ab. Es war eine schwierige Umstellung für die alten Leute, als es keine Butter mehr frei zu kaufen gab. Nach der Heirat meinte Martin jun. auch, daß seine Mutter die besten Bratklopse machte; bis Gisela dahinter kam, daß diese mit Butter gebraten waren. Als Gisela das ihrer Mutter erzählte, meinte die, daß das aber ganz schön viel koste. Bekam doch ihre Mutter nicht viel Wirtschaftsgeld, weshalb sie auch Margarine nahm. Gisela übernahm das Rezept von ihrer Schwiegermutter, denn die Klopse ihrer Mutter wurden als Zement-Klopse bezeichnet. Ein besonderes Königsberger Gericht war Kartoffelsuppe mit Bratklopsen drin.

Obwohl Martin sen. häufig abwesend war, stand der Vater im Mittelpunkt der Familie, und die Mutter machte ihn auch dazu, wenn er abwesend war. Daß er als Militärarzt in Königsberg gelandet war, verdankte er einem günstigen Zufall. Als er in Berlin an der Charité tätig war, verschluckte ein Kind des Kriegsministers von Einem eine Münze, die im Hals stekken blieb. Martin gelang es, diese Münze mittels einer Schlaufe zu entfernen. So blieb er den Vorgesetzten in guter Erinnerung und wurde dann nach Königsberg kommandiert. Dort war die Tätigkeit der Militärärzte seit Gründung der Diakonissenanstalt mit einer ärztlichen Tätigkeit an deren Krankenhaus verbunden. Er baute dort die Kinderstation auf und hatte in seiner Wohnung seine Praxis. Aus dem 1. Weltkrieg war er mit einem Herzfehler heimgekommen und hatte dann häufiger Kuren in Kissingen und Bad Bertrich gemacht. Martin sen. war viel in Berlin, vor allem für die Ärzteschaft, aber auch für die Loge. Gewöhnlich ging es über das Wochenende und mit dem Schlafwagen. Nach 1933 erlitt er als Freimaurer persönliche Diffamierungen, wohl auch in der Presse, und der sonstigen Öffentlichkeit. Auch deshalb hat er prozessiert. Schon Ende der dreißiger Jahre wirkte er müde und angeschlagen, woran sicher auch die schweren Enttäuschungen nach 1933 ihren Anteil hatten. Als sein Sohn in den 2. Weltkrieg ziehen mußte, übernahm er wieder die Kinderstation und die Patienten vom Sohn. Nun mehrten sich die Zeichen des Alterns und der Erschöpfung.

Martin Kob hatte schon in jüngeren Jahren Familienforschung betrieben und sich im Laufe der Jahre ein umfangreiches Archiv geschaffen. Bei den Bombenangriffen Ende August 1944 brannte das Wohnhaus nieder. Mit ihm verbrannte auch dieses Archiv. Aber er pflegte auch Kontakt in viele Richtungen. So teilte mir Klaus Römer aus Hildesheim mit, daß seine Familie über Moritz Kob und eine Familie Strehl in freundschaftlichen Beziehungen zur Familie Kob gestanden hätte. Martin Kob sei für ihn immer Onkel „Muckel” Kob gewesen.

Martin sen. dachte deutschnational. Das hieß aber nicht, daß er wie die Deutsch-Nationale Volkspartei, mit den Nationalsozialisten liebäugelte. Auch nach seinen persönlichen Erfahrungen mit ihnen, war er ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten. Seine Söhne sind Mitglieder des „Stahlhelms” gewesen, aber nach dessen „Gleichschaltung” mit der SA aus diesem ausgetreten. Der antidemokratische „Stahlhelm”, Bund der Frontkämpfer, war ein paramilitärischer Verband ursprünglich ehemaliger Soldaten und stand der Deutsch-Nationalen Volkspartei nahe. Er war die größte Organisation dieser Art in der Weimarer Republik und wurde ab 1934 in die SA übergeleitet. Seiner Tochter verbot Martin die Mitgliedschaft im BDM (Bund Deutscher Mädchen). Die Familie las die „Königsberger Allgemeine Zeitung”. Daneben gab es in Königsberg die alte „Hartungsche Zeitung”, bei der Hans Lippold tätig war und die 1935 eingestellt wurde, das der SPD nahestehende „Königsberger Tageblatt” und die „Preußische Zeitung”, das offizielle Blatt der NSDAP.

Der Soldat

Sein Medizinstudium hatte Martin sen. teilweise an der traditionsreichen Ausbildungsanstalt für Militärärzte in Berlin, der Pépiniére gemacht. Die Studenten der Pépiniére waren die Pépins. Der Berliner Volksmund machte daraus „Pfeifhähne”. Als die Anstalt im Dritten Reich nach Würzburg verlegt wurde, nahmen die Studierenden diesen Namen nach Würzburg mit und nannten sich dort „Pfeifhähne vom Heiligen Kilian”.

Das bekannte Militärbild zeigt ihn im 1. Weltkrieg als Oberarzt. Der Generaloberarzt im 1. Weltkrieg entsprach dem Oberfeldarzt im 2. Weltkrieg und dem Oberstarzt bei der Bundeswehr. Das Königlich Preußische Infanterie-Regiment Herzog Karl von Mecklenburg-Strelitz (6. Ostpreußisches) Nr. 43 wurde am 5.5.1860 errichtet. Garnison war von 1899 bis 1919 für das I. und II. Bataillon Königsberg, für das III. Pillau. Die Uniform bestand aus Helm mit zunächst eckiger und später runder Vorderschiene, dunkelblauem Waffenrock mit einer Reihe gelber Knöpfe und Brandenburger Aufschlägen rot, mit roten Patten mit weißem Verstoß, weißen Achselklappen und weißem Lederzeug.

Mit dem Infanterie-Regiment Nr. 43 hat Martin sen. im Rahmen des I. Armee Korps im Herbst 1914 an den Kämpfen in Ostpreußen teilgenommen. Wie schon im Abschnitt „Das moderne Ostpreußen” dargestellt, sahen sich schwache deutsche Kräfte den Angriffen zweier starker russischer Armeen gegenüber. Im Osten war dies die Wilnaer Armee unter Rennenkampf und im Süden die Narew Armee unter Samsonow. Die dem gegenüberstehenden deutschen Truppen waren durch die Eisenbahnstrecke Allenstein - Insterburg miteinander verbunden. Zunächst drohte die größere Gefahr aus dem Osten. Vom 18. bis 20. August 1914 gab es erste schwere Kämpfe im Osten, wo das I. Korps von Insterburg aus zwischen Mallwischken und Gumbinnen die äußerste linke Seite der deutschen Front bildete. Ziel dieser Kämpfe war auf deutscher Seite, den Vormarsch der russischen Kräfte auf Königsberg zu stoppen und dessen Einkesselung zu verhindern. Dabei durfte man aber die eigenen Kräfte auch nicht zu sehr strapazieren. So zog man sich nach drei Tagen zurück. Da der Gegner zauderte, war es sogar möglich, Truppen in Märschen und mit der Eisenbahn nach Süden zu bringen. Zu diesen Truppen gehörte auch das I. Korps. Waren die ersten Kämpfe mehr auf Verteidigung bedacht, ging es nun aber darum, die Südarmee der Russen zu schlagen, weil man sich auf Dauer nicht mit den beiden russischen Armeen auseinandersetzen konnte. So fand dann vom 26. bis zum 31. August 1914 die sogenannte Tannenberg-Schlacht zwischen den Stä-dten Allenstein, Ortelsburg, Neidenburg und Gilgenburg statt. Das I. Korps bildete den rechten Flügel der deutschen Front und hatte den weitesten Weg gehabt. Nach schweren Kämpfen war es in Fußmärschen nach Insterburg gegangen, dann mit dem Zug nach Deutsch-Eylau, von dort zu Fuß in die Gegend südlich von Gilgenburg. In den folgenden Kämpfen wurde die russische Armee eingeschlossen und besiegt. Der Süden Ostpreußens war befreit. Doch nun ging es um den Norden und Osten. Durch den Rückzug der deutschen Truppen nach den ersten Kämpfen bei Gumbinnen, hatten die Russen das Land bis zu einer Linie Labiau, Wehlau, Angerburg, Marggrabowa besetzt. Nun sollten sie auch dort vertrieben werden. Dazu war es notwendig, die siegreichen deutschen Truppen aus dem Süden wieder nach Norden und nach Osten zu führen. Dies geschah bis zum 7. September. Das I. Korps sollte auch jetzt wieder den rechten Flügel bilden. Das bedeutete zunächst aus der Gegend südlich von Ortelsburg über Johannisburg nach Arys zu marschieren. Von dort ging es ab 7. September zwischen Lötzen und Lyck hindurch in Richtung Goldap. In die Hauptkämpfe griff das Corps dann zwischen Goldap und Gumbinnen ein. Am 11. September hatten auch diese Kämpfe ein Ende. Auch sie endeten mit Verlusten der Russen an Toten in ähnlicher Höhe wie bei der Tannenberg-Schlacht. Neben der Tannenberg-Schlacht nannte man dann diese Kämpfe die Schlacht an den Masurischen Seen. Insgesamt verloren in diesen drei Wochen etwa 120. 000 russische und etwa 13.000 deutsche Soldaten ihr Leben. Die Zahl der Opfer unter den Zivilisten findet man so nicht. Warum ich das so genau erzähle? Die Zahl der Opfer war enorm. Martin Kob sen. war dabei. Er war dabei, wie seine Soldaten in weniger als drei Wochen nicht nur dreimal in schwere Kämpfe verwickelt waren, sondern auch schätzungsweise 200 Kilometer zu Fuß marschiert sind. Die Folgen für die Arbeit der Ärzte kann man sich kaum vorstellen. Und für ihn ging es nicht nur abstrakt um den Kampf für die Heimat, wie das ja jedem Soldaten gesagt wurde, sondern ganz konkret. Arys, Lyck, Goldap, das sind nur drei Orte, die in der Geschichte der Kobs eine Rolle gespielt hatten, einer Geschichte, die ihm noch ganz nah war. Das war seine Heimat. Und die Schäden, die der Krieg dort angerichtet hatte, waren größer als die im 2. Weltkrieg. Er muß also auch emotional sehr beteiligt gewesen sein. Nur hatten er und seine Generation die Chance zum Neuanfang und Wiederaufbau. Das war dreißig Jahre später nicht mehr der Fall. Wie konnte nur Deutschland nach solchen Erfahrungen so schnell wieder einen Krieg beginnen, im Osten.

Der Freimaurer

Martin sen. war Mitglied der zum Verband der Großen National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln” gehörenden Johannisloge „Zu den drei Kronen” in Königsberg. Sie war am 12. September 1746 als Loge „Zu den drei Ankern” gegründet worden und am 10. Juni 1760, nach dem die Arbeiten von 1758 an geruht hatten, unter dem Namen „Loge zu den drei Kronen” reaktiviert worden. Verbunden war sie mit der Schottenloge „Andreas zum goldenen Leuchter”, gestiftet am 17. Januar 1769. Die Loge arbeitete bis Mai 1933, sie hatte damals noch 450 Mitglieder. Das Logenhaus befand sich in Hintertragheim 31. Martin Kobs Wohnung befand sich in dem auf dem Logengrundstück stehenden und ebenfalls der Loge gehörenden Vorderhaus Hintertragheim 32. Die drei ältesten Logen hatten ihre Logenhäuser nebeneinander. An der Straße standen Wohnhäuser, dahinter die Logenhäuser und Nebengebäude. Die Gärten gingen bis an den Schloßteich und waren miteinander verbunden wie eine große Parkanlage. Die Mitglieder trugen an einer blauen Schleife ein Mitgliedsabzeichen am Revers. Der Name „Zu den drei Kronen” wird unterschiedlich erklärt, ohne daß sich diese Erklärungen ausschließen müssen. Zum einen soll es sich bei den drei Kronen um die preußische, die polnische und die russische Krone handeln. Zum anderen wird der Name darauf zurückgeführt, daß Königsberg aus drei selbständigen Städten gebildet worden war, die je ein eigenes Wappen mit einer Krone hatten (Altstadt, Löbenicht und Kneiphof). Von daher führte Königsberg später drei Kronen im Wappen. Bedeutende Mitglieder der Loge waren gewesen: General Leopold Hermann Ludwig von Boyen, der Physiologe Karl Friedrich Burdach, der Verleger Johann Friedrich Hartknoch und der General Wilhelm Ludwig Graf Henckel von Donnersmarck.

In der Loge war Martin Kob über seine Mitgliedschaft hinaus ehrenamtlich tätig. Dies weist das Mitgliederverzeichnis 1930/31 aus. Dem Verzeichnis können wir einige Details entnehmen. So wohnte er damals im Hintertragheim 32, Tel. 2763. Er wurde in die Loge am 4.9. 1912 aufgenommen in Grad I, kam am 12.9.1913 in Grad II. und am 20.2.1919 in Grad III. Da die Einstufung in Grad drei üblicherweise nach ein bis zwei Jahren erfolgte, darf man diesen großen Zeittraum auf den 1. Weltkrieg zurückführen. Vom 24.6.1920 - 24.6.1925 war er 2. Aufseher, vom 24.6.1925 - 24.6.1927 war er zugeordneter Meister und ab 24.6.1927 Meister vom Stuhl. Er war Ehrenmitglied der Großen National-Mutterloge zu den 3 Weltkugeln in Berlin, was sein ehrenamtliches Engagement in Gremien dieser übergeordneten Loge bestätigt. Außerdem war er Ehrenmitglied der Logen „Hütte am See” in Lyck, „Zu den 3 Toren des Tempels” in Rastenburg und „Constantia zur gekrönten Eintracht” in Elbing. Auch diese Ehrenmitgliedschaften sind nicht denkbar ohne eine gewisse Präsenz am Ort. Wenn hier von Graden die Rede ist, darf man dieses nicht als Rangordnung oder Dienstgrad mißverstehen. Zur Existenz als Freimaurer gehört das Lernen, das Wachsen der Persönlichkeit. Dies ist nicht möglich ohne Belehrung, Gespräch und Einführung in die (geheimen) Riten. Jeder Grad beschreibt so Teilaspekte des freimaurerischen Gedankengutes und der freimaurerischen Regeln. Stichworte zum Gedankengut sind Demut, Pflichterfüllung und Nächstenliebe, aber auch die Zahlensymbolik oder die besondere Begrifflichkeit. Dabei geht im 1. Grad (Lehrling) um das „erkenne dich selbst”, im 2. Grad (Geselle) um das „schau um dich” und im 3. Grad (Meister) um das „schau über dich”. Dies ist die „Arbeit” in der Johannisloge als 1. Stufe, es folgt als 2. Stufe die Andreasloge mit 3 Graden und als 3. Stufe die Kapitelloge mit 4 Graden.

Anna Luise Löhr erinnerte sich, daß ihr Vater viel in Berlin war. Gewöhnlich war er am Wochenende dort und fuhr mit dem Schlafwagen hin und zurück. Die Sitzungen hätten der Ärzteschaft und der Großloge Friedrich der Große gegolten. Nach 1933 habe er als Freimaurer persönliche Diffamierungen, wohl auch in der Presse und der sonstigen Öffentlichkeit erlitten. In dieser Zeit hätten die Freimaurer auch jüdischen Königsbergern geholfen. Auch hat sie die persönliche Erinnerung an ein Geschehnis im Jahre 1935. Sie habe schon in ihrem Metallbett, das wohl vom Militär stammte, geschlafen. Da sei die Mutter plötzlich mit einem Mann in Stiefeln in ihr Zimmer getreten. Der habe ihren Vater gesucht, ihn aber nicht angetroffen. Es habe eine laute Diskussion gegeben, dann sei die Telefonleitung durchgeschnitten worden. Gegen die Wohnungstür mit Glasscheibe und Gitter davor seien Steine geworfen worden. Ein Nachbar habe die Polizei telefonisch gerufen. Nach 1933 habe das früher jüdische Kaufhaus Müller dann das Logengebäude genutzt. Hans Kob erinnert sich an Erzählungen von Gisela Kob. Danach sei 1935 der Mob von hinten in die Loge eingedrungen, vielleicht durch das Wirtschaftsgebäude. Die Gittertür zwischen Wohnhaus und Nebengebäuden habe gerade noch geschlossen werden können. Auch sei erzählt worden, daß im Garten für jeden Freimaurer ein Rosenstock gepflanzt gewesen sei.

Historisch betrachtet, läßt sich dazu folgendes sagen. Die „Große National-Mutterloge Zu den 3 Weltkugeln” war ein Verband von Johannislogen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde sie, um den Zugriff der Nationalsozialisten zu erschweren, in einen Orden mit dem Namen „National Christlicher Orden Friedrich der Große” umbenannt. Der neue Name machte auch den traditionell christlichen Hintergrund dieser Loge deutlich. In ihr, einer Art Dachverband der Königsberger Loge, hatte Martin Kob auch ehrenamtliche Aufgaben. Sehr schnell nach der Machtergreifung begannen Übergriffe der SA und SS auf die Logen. Sie drangen in Logengebäude ein, bedrohten die verantwortlichen Freimaurer, „beschlagnahmten” und stahlen bzw. demolierten das Mobiliar. Der physische und psychische Druck, der dadurch ausge-übt wurde, führte zu Austritten aus Logen, aber auch zu Selbstauflösungen. Andere versuchten durch Übertragung ihres Vermögens, dieses zu retten. Großlogen wandelten sich zudem teilweise in eine andere Rechtsform um. Auch dies, um den neuen Machthabern den Zugriff zu erschweren. So beschloß eben die Große National Mutterloge am 11. April 1933 die Umwandlung in einen Orden und die Umbenennung in „National Christlicher Orden Friedrich der Große”. Martin sen. dürfte an dieser Entscheidung beteiligt gewesen sein. Einen Höhepunkt erreichten diese Aktionen im Sommer 1933. Inzwischen wurden auch führende Freimaurer verhaftet und in Einzelfällen auch in KZs gesteckt. In den Akten des Reichsjustizministerium befindet sich ein Bericht über Ausschreitungen gegen Tochterlogen der Berliner Mutterloge. In ihm wird berichtet, daß am 24. September 1933 in Königsberg die dortige Tochterloge der Großen National Mutterloge, „Zu den drei Kronen”, von einem Polizeikommando durchsucht worden sei. Anschließend hätten SA und SS das Gebäude besetzt und umfangreiche bauliche Veränderungen veranlaßt, ohne die Hauseigentümer um Erlaubnis zu bitten oder auch zu informieren. In ähnlicher Weise sei gegen die benachbarte Loge „Totenkopf und Phoenix” vorgegangen worden. Hier hätten 20 Gestapo-Beamte eine Woche lang Bibliothek und Archiv der Loge durchsucht. Am 4. Januar 1934 unterzeichnete der preußische Ministerpräsident Hermann Göring dann eine Verordnung, mit der in das Satzungsrecht der Logen eingegriffen wurde. Jetzt galt u.a., daß Mitgliederversammlungen mit einfacher Mehrheit die Auflösung der Loge beschließen konnten, daß eine solche Versammlung auf Antrag eines einzelnen Mitglieds stattzufinden habe und daß sie beschlußfähig sei unabhängig davon, wie viele Mitglieder anwesend seien. Auch dies führte weiter zu Austritten und Auflösungen von Logen. Am 5. August 1935 drohte Innenminister Frick dann mit der Auflösung der Großlogen, Hitler bestärkte ihn darin. Das Innenministerium drängte dann auch auf Auflösung und unter seinem Druck sagten die altpreu-ßischen Großlogen ihre Auflösung zu. Am 16. Juni 1935 trat die Mitgliederversammlung der „Großen National-Mutterloge Zu den drei Weltkugeln” in Berlin zusammen; da das eigene Gebäude geplündert und versiegelt war, im Gebäude einer anderen Loge. Die Versammlung beschloß die Auflösung zum 15. Juli 1935 und empfahl den Tochterlogen die Auflösung bis 21. Juli 1935. Auch an diesem Beschluß könnte Martin Kob beteiligt gewesen sein. Ob seine Königsberger Loge zu diesem Zeitpunkt noch bestand und wann sie aufgelöst wurde, wissen wir nicht.

Angesichts dieser Tatsachen stellt sich die Frage, ob sich die Erinnerungen von Tochter Anna Luise wirklich auf ein Ereignis im Jahr 1935 beziehen oder ob dies schon 1933 war. Von der jeweiligen politischen Situation her wäre beides denkbar. Sowohl 1933 wie noch einmal 1935 gab es besonders starken staatlichen Druck gegen die Freimaurer. In neuerlichem Gespräch gab Anna Luise ihrer Erinnerung, daß ihr Vater an diesem Abend in Masuren und ihre Brüder auf einem Stahlhelm-Abend gewesen seien, eine neue Bedeutung. Da der Stahlhelm ab 1934 in die SA eingegliedert wurde und ihre Brüder in diesem Zusammenhang austraten, mußte der genannte Überfall wohl doch der vom Jahre 1933 sein. Auch schienen ihr jetzt die wenig präzisen Erinnerungen eher darauf hinzudeuten, daß sie noch jünger gewesen sein könnte.

Ein Portrait

Im Osterrundbrief 1961 der „Ostpreußischen Arztfamilie” findet sich unter der Überschrift „Was wir immer bewahren wollen” ein ausführliches Portrait von Martin Kob, das Dr. Schröder verfaßt hat. Es würdigt Martin Kob sen., ist aber zugleich in Sprache und Denken ein Zeitdokument. Wollen wir die Erinnerung an ihn und seine Zeit bewahren, gehört es in vollem Umfang in die Familiengeschichte, auch wenn seine Kinder manche sachliche Fehler bemängelten.

Der Generaloberarzt In memoriam Dr. Martin Kob aus Königsberg/Pr.

Es gab eine Zeit im noch unzerstörten Königsberg, da wußte beinahe jedes Kind, wer mit dieser Titulatur gemeint war. Nur was gerade die Kinder, die ihn doch soviel angingen, sich darunter vorgestellt haben, ist nicht überliefert. Dr. Martin Kob, um den es sich handelte, pflegte den Titel zwar selbst nicht zu lieben und ihn als seinen einzigen nicht geschätzten Kriegsgewinn zu bezeichnen. Aber wie das so kommt - „das eben brauchte man”. Der Titel hängte sich ihm an, weil er so gut zu ihm paßte, und er wurde ihn nicht mehr los, nachdem er erst einmal eingebürgert war. Wohin der Generaloberarzt seine Schritte auch lenkte, ob in das Krankenhaus der Barmherzigkeit, in das Ärztehaus in der Fließstraße, in den Logengarten oder an das Bett eines kranken Kindes, wo immer dieser so gewichtige, so preußischgerade, so respekteinflößende Mann mit den ebenso strengen wie gütigen Augen auftauchte, immer wieder wisperte es irgendwo: „der Herr Generaloberarzt!” Ehrfurcht und Achtung bei groß und klein kam in diesen Worten zum Ausdruck, aber auch ein bißchen Angst, ein wenig verschämte Liebe und ein grenzenloses Vertrauen schwangen darin mit. Mit dem üblichen „Onkel Doktor” wäre es da - so meinte man jedenfalls - nicht getan gewesen, so wenig wie es jemand eingefallen wäre, etwa den alten Dr. Geßner aus Memel nicht in jeder Lebenslage mit „Herr Sanitätsrat” anzusprechen. Dessen Generation gehörte nämlich der Generaloberarzt an, und ihrer beider Werdegang hatte nicht von ungefähr manche gemeinschaftlichen Züge getragen. Auf jeden Fall waren sie beide aus dem gleiche Holze geschnitzt, aus einem dauerhaften, die Stürme der Zeiten überdauernden Holz, das ihrem Wesen prägnante Züge gab und wie geschaffen erscheint, um Begriffe wie Zucht und Ordnung, Unerschrockenheit und Redlichkeit und alles das sonst noch darzustellen, was den Preußen einstmals in der Welt Achtung und Anerkennung gesichert hat. Nichts hat so sehr im Laufe dieser Nachkriegsjahre das Gewissen des Familienchronisten bedrückt, wie das bislang nicht eingelöste Selbstgelöbnis, in der Reihe der Ärzte der alten Heimat jenes Mannes zu gedenken, der in mehr als einer Hinsicht als Vertreter einer mit ihm zu Grunde gehenden Welt, welcher wir alle die stärksten Kräfte und Impulse unserer Entwicklung verdanken, in aller Stille, fast unbeachtet, von der Bühne des Lebens abgetreten ist, ohne an seinem Grabe die öffentliche Anerkennung zu finden, die ihm zukam. Wer, wie der Chronist, sich mitschuldig daran fühlte, daß solches geschehen konnte, und dem Gang der Entwicklung nachsinnt, die dahin führte, beginnt sich erst richtig der ganzen Bodenlosigkeit einer Zeit bewußt zu werden, die alle überkommenen Maßstä-be verschob und es fertig brachte, sich auch noch der wenigen Stützen berauben zu lassen, die in dem hereinbrechenden Chaos Halt geben können (Martin Kob war der letzte frei gewählte Vorsitzende des Vorstands der Ärztekammer, Dr. Schröder war sein von den Nationalsozialisten eingesetzter Nachfolger, J. T.). Martin Kob war von solcher Art, und wer von uns ihn auch nur oberflächlich gekannt hat, wußte darum. Denn sein Aufstieg zu einer der führenden Persönlichkeiten der ärztlichen Standes- und Berufsvertretung war fest auf seinen hervorragenden Eigenschaften und Fähigkeiten gegründet und von keinerlei Konjunktur abhängig. Aber als er am 9. Mai 1944 72jährig seine Augen für immer schloß, mag er froh gewesen sein, seiner treuen Lebensgefährtin, die ihm drei Monate zuvor in den Tod vorausgegangen war, so rasch folgen zu können. Denn schon lagen schwere Schatten über seiner so oft bedrohten und so oft von den alten Soldaten verteidigten Heimat, böse Kränkungen waren ihm als Lohn für immer bewährte Treue und Hingabe widerfahren, und die Ideale, denen er ein Menschenalter hindurch nachgestrebt hatte, schienen endgültig im Staub zu liegen. Sollten wir ihn also am Ende glücklich preisen, daß es ihm erspart geblieben ist, noch die Bombennacht in Königsberg zu erleben, die mit Tausenden von Menschen auch sein Haus und seine Habe und mit dieser das vernichtete, was er in mühseliger Lebensarbeit zu einem 400 Jahre zurückreichenden Archiv der Familie Kob zusammengetragen hatte? Wir dürfen wohl annehmen, daß er die Schwelle, an welcher persönlicher Besitz und sei er noch so wertvoll, noch etwas wog, schon lange hinter sich gelassen hatte, denn die seelischen Belastungen, die er damals bereits hinter sich hatte, und die ihn dennoch nicht gebrochen hatten, waren sicherlich weit schwererer Art. Sorglos in einer wohlgesichert erscheinenden Zeit war Martin Kob aufgewachsen. Er wurde am 3.1.1872 als vierter Sohn in Lötzen geboren, wo der Vater damals Kreisrichter war. Rechtliches Denken, das ihn später so ausgezeichnet hat, war ihm also schon im Elternhaus mitgegeben. Im übrigen dürfen wir erwarten, daß er eine freie und ungebundene Jugend in dem schönen Masuren gehabt hat, kaum beeinträchtigt durch Anforderungen der Vorschule in Marggrabowa, dem späteren Treuburg, und dann durch die der altehrwürdigen Lateinschule in Lyck, die er von 1879-1884 besucht hat. Mit der Versetzung des Vaters - so war es eben auch damals schon in Beamtenfamilien - mußte die Schule alle paar Jahre gewechselt werden, was nicht unbedingt das Fortkommen auf ihr erleichterte. Trotzdem hat es Martin termingerecht bis zur Reifeprüfung geschafft. Auf Lyck folgte das Gymnasium in Meseritz, auf dieses das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Berlin, wo 1891 das Abiturium ihm den Zugang zum Friedrich-Wilhelm-Institut für das militärärztliche Bildungswesen in Berlin, Pépiniére genannt, eröffnete. Wer sparsam wirtschaften mußte und seine Kinder studieren lassen wollte - und diese Voraussetzungen waren bei den höheren preußischen Justizbeamten mit vielen Kindern eigentlich immer gegeben - gab seine Söhne, die sich den Arztberuf erwählt hatten, gerne dorthin, weil der Staat bei ihrer Ausbildung Zuschüsse leistete. So mag es gekommen sein, daß Martin, dessen Eltern damals ohnehin in Berlin wohnten, sich dort immatrikulieren ließ, obwohl in jenen Jahren diese Anstalt noch längst nicht jenen Glanz und Rang besaß, welche ihr als späterer Kaiser-Wilhelm-Akademie eigen war. Immerhin Koryphäen der medizinischen Wissenschaft wie Robert Koch, Rudolf Virchow, Emil Behring waren aus ihr hervorgegangen und hatten ihr internationalen Ruf verschafft. Martin Kob hat dort jedenfalls die vier vorklinischen Semester absolviert und war gleichzeitig ein froher Farbenstudent, der dank seiner hervorragenden Eigenschaften bald Sprecher seiner Burschenschaft (Hevellia, Berlin) wurde. Im 5. Semester verließ er die Pépiniére und ließ sich an der Universität Berlin immatrikulieren, wo er alsbald das Physikum bestand. Dann starb sein Vater, die Mutter siedelte mit den anderen Kindern nach Königsberg über, und Martin nahm Ostern 1894 zwar ungern, aber doch einsichtig, Abschied von den Berliner Hevellen und setzte das Studium an der Albertina fort. Bei der dortigen Gothia fand er denselben Geist vor, der ihn in Berlin so stark an seine Burschenschaft gebunden und seine besten Kräfte geweckt hatte. Das Erlebnis des Farbenstudentums, die Wahrung der durch dieses gepflegten Tugenden, in Sonderheit eine männlich aufrechte Gesinnung und ihre unerschrockene Verteidigung, ist für sein ganzes Leben bestimmend geworden. Diesem Ideal diente er in Königsberg u.a. als Mitbegründer des VAB (Vereinigung alter Burschenschafter), in welcher er sich bis in sein Alter rege betätigte. Trotz derartiger Bindungen wurde das Staatsexamen 1896 in Königsberg fristgerecht abgeschlossen und gleich anschließend bei dem Pionier-Batl.1 das zweite Halbjahr als Einjährig-Freiwilliger Arzt - das erste hatte Kob schon 1892 mit der Waffe gedient - absolviert. Dann trat er in die aktive Sanitätsoffizierslaufbahn über, schlug also doch den mit dem Eintritt in die Pépiniére begonnenen Weg ein. Die ersten Stationen dieses Weges waren: Unterarzt beim Pionier-Batl. 18 in Königsberg, Assistenzarzt beim Dragoner-Rgt. in Allenstein, dann bei den Wrangel-Kürassieren in Königsberg. Wenig später kommandierte man ihn (März 1899) für drei Jahre als Assistent an das Krankenhaus der Barmherzigkeit, um ihm eine gründliche klinische Arztausbildung zuteil werden zu lassen. Es ist interessant, in Verfolgung dieses Lebensweges einmal festzustellen, wie vorzüglich schon damals die Ausbildungsmöglichkeiten eines Sanitätsoffiziers waren. Von der vielgeschmähten Einseitigkeit kann man wirklich nicht reden. Freilich mußte man wie in jedem Beruf sich auch hier durch Tüchtigkeit hervortun. Und daran hat es der junge Dr. Kob offenbar nicht fehlen lassen. Wie damals im Heer und in der höheren Beamtenschaft üblich, versetzte man ihn auch für eine gewisse Zeit an die Westgrenze des Reiches. 1902 kam er als Stabsarzt nach Saarburg in Lothringen, später nach Schlettstatt im Elsaß. Kobs Vorliebe für die Vogesen stammte aus jener Zeit. 1903 folgte eine kurze Stabsoffiziersausbildung an der Kaiser-Wilhelm-Akademie und von dort aus die Abkommandierung an die berühmte Heubner ´sche Universitäts-Kinderklinik an der Charité in Berlin. Wie Kob auf die Kinder gekommen ist, ist nicht überliefert. Das Fach war ganz jung und sein Lehrer ein weltbekannter Begründer dieser Disziplin. Nach Ablauf des dreijährigen Kommandos war der Kinderfacharzt fertig, der bunte Rock wurde wieder angezogen, und ab ging es als Bataillonsarzt zum Inf.-Rgt. 43 in Königsberg am Trommelplatz. 1912 wurde er unter Beförderung zum Oberstabsarzt Regimentsarzt desselben Regiments. Aber die Kinderheilkunde ließ den rührigen Mann nun nicht mehr los. Er ließ sich als Facharzt für Kinderkrankheiten nieder und eröffnete gleichzeitig am Krankenhaus der Barmherzigkeit eine Kinder-Poliklinik, deren Leitung er auch nach Angliederung einer stationären Abteilung bis zu seinem Ende behielt. Inzwischen (1907) hatte Kob geheiratet und zwei Söhne bekommen (sehr viel später folgte noch eine Tochter), von denen der älteste den Vornamen, das Kinderarztfach und so viele väterliche Eigenschaften geerbt hat, daß man meinen könnte, den Generaloberarzt wie in seinen besten Jahren noch heute auf Erden wandeln und die gleiche Vielseitigkeit im Wirken für seine Mitmenschen entfalten zu sehen. Sogar alle Voraussetzungen für die Erreichung des gleichen militärischen Ranges hat der Sohn erfüllt, nur ist der Titel seit dem Ende des Ersten Weltkrieges bei der deutschen Wehrmacht nicht mehr zu haben. Dieser Krieg hat unseren Generaloberarzt vor mannigfache Aufgaben gestellt und ihm in gewisser Hinsicht die Erfüllung seines ursprünglichen Berufszieles, alsdann aber auch den Abschied vom Soldatentum gebracht. Als Chefarzt eines Feldlazaretts beim I. Armeekorps hat Kob bei Tannenberg, in der Winterschlacht in Masuren, beim Übergang über den Narew, bei Wilna und Dünaburg, später am Narocz-See, bei Lodz, dann bei Braila in Rumänien das Beispiel eines Sanitätsoffiziers der alten Schule gegeben, der sich in allen Situationen zu helfen wußte, mochten diese auch noch so wenig dem Bild entsprechen, das man sich vor Kriegsbeginn von den Anforderungen eines Krieges im Osten gemacht hatte. Seit Januar 1917 war er als Divisionsarzt an der Westfront in unzähligen Einsätzen tätig, und im September 1918 wurde er zu seinem Mißvergnügen als Chefarzt des Festungshauptlazaretts nach Königsberg versetzt. Der langersehnte Weg in die Heimat und zur Familie wurde dem alten Frontsoldat durch das verleidet, was er als den vergifteten Geist der Heimat bezeichnete, gegen den anzukämpfen und die Ordnung gegenüber allen Auflösungserscheinungen aufrecht zu erhalten, nun seine Aufgabe wurde. Dabei erwies er sich als ein rocher de bronce im Strudel des Zusammenbruchs, und das große Festungslazarett hatte Ursache dankbar zu sein, daß ihm in solcher Situation ein so erfahrener und aufrechter Mann an die Spitze gestellt wurde, so daß die Wirrnis des Arbeiter- und Soldatenrates seine Ordnung nicht zerstörte. Im März 1919 nahm Kob nach Erledigung seiner Aufgabe den Abschied und war fortan trotz des zuvor noch erlangten Titels „Generaloberarzt” - nur Kinderarzt. So sehr ihn diese Tätigkeit ausfüllte und ihm in weiten Kreisen der Bevölkerung Ansehen und Beliebtheit verschaffte, so wenig konnte er seine organisatorischen Fähigkeiten und seinen immer auf das Gemeinwohl gerichteten Sinn brach liegen lassen. In den nun folgenden Jahren zeichnete er sich besonders durch reges Interesse für berufspolitische und standesethische Fragen der Ärzteschaft aus. Bald darauf wurde er zum Vorsitzenden des Königsberger Ärztevereins gewählt, Ende der zwanziger Jahre (das Jahr ist leider nicht überliefert) erfolgte seine Wahl zum Vorsitzenden der Ärztekammer für die Provinz Ostpreußen. Als solcher wurde er Mitglied des preußischen Ärztekammerausschusses und des Vorstandes des deutschen Ärztevereinsbundes. Das ärztliche Standesleben in der Provinz ruhte damit sicher in einer guten Führungshand, von allen Seiten kamen Zeichen der Anerkennung und des Vertrauens. Es war dem Generaloberarzt beschieden, der letzte freigewählte Kammerpräsident seiner Heimat zu sein. Seiner konservativen Einstellung nach - er stand den Deutschnationalen nahe, gehörte aber keiner Partei an - regte sich schon früh in ihm der Widerstand gegen die in den Nachkriegswirren auch in Ostpreußen allmählich aufkommende nationalsozialistische Bewegung. Zudem war er Meister vom Stuhl (ein äußeres Anzeichen des großen Ansehens, das er im geistigen Königsberg genoß) der Königsberger „Loge zu den drei Kronen” und galt als solcher in den Augen der Nazis von vorneherein als verfemt. Zunächst ließ man ihn nach der „Machtübernahme” noch kurze Zeit unbehindert. Dann aber schlugen die Schergen zu, die Freimaurerlogen wurden enteignet, ihre Angehörigen, in Sonderheit diejenigen, die hohe Ämter eingenommen hatten, auf schimpflichste Art erniedrigt, ihrer Posten beraubt und öffentlich beleidigt. Auch dem Generaloberarzt blieb das nicht erspart. SA-Mob drang in seine Wohnung ein, und es wäre ihm schlimm ergangen, wenn man ihn anwesend getroffen hätte. Ihn hat das weder gebrochen noch eingeschüchtert. Unterstützt von der Bevölkerung, die nicht zögerte, ihm ihre Liebe und Dankbarkeit zu bezeugen, trat er unerschrocken der Willkür des neuen Regimes entgegen, wo er nur konnte. Ja, er wagte es sogar allen Warnungen zum Trotz, Prozesse um das Logenvermögen zu führen und dabei die Enteignung das zu nennen, was sie war: Raub. So machte er sich schon früh Erich Koch zum erbitterten Feind. Man nahm ihm im Zuge der Gleichschaltung alle seine Ämter und mit Erbitterung mußte er zusehen, daß auch in das Ärztehaus Ostpreußen ein neuer Geist einzog, wenn man ihn dort auch nach wie vor mit Ehrerbietung behandelte. Nun blieb ihm nur noch sein Arztberuf, der ihn vollständig ausfüllte, und die eigene Familie, die er in seinem Sommerhaus in Neukuhren um sich versammelte und deren Wurzeln er in intensiver Ahnenforschung nachspürte. Die Freude, Enkel heranwachsen zu sehen, war das Äquivalent für alle Enttäuschungen, die ihm unverdient zuteil wurden. Daß die Söhne das Band seiner geliebten Hevellia und der Schwiegersohn das der Gothia trugen, mag ihm eine schöne Bestätigung des eigenen Wollens gewesen sein. Die Genugtuung, zu sehen, daß sein ältester Enkel - auch er heißt Martin - nicht nur Medizin studiert, sondern derzeit genau wie der Großvater Sprecher der Hevellia ist, hat er nicht mehr erlebt. Er hätte sich zweifellos keinen schöneren Lohn seines Lebens gewünscht. Wie schon eingangs gesagt, ging mit dem Generaloberarzt nicht nur die Heimat zu Grunde, sondern es versank eine Welt, zu deren letzten rühmenswerten Repräsentanten er gehört hat. Gutes fachliches ärztliches Können war gepaart mit einem ausgesprochenen Sinn für die Voraussetzungen erfolgreichen ärztlichen Wirkens. Daraus entsprangen eine hohe Berufsauffassung und der entschiedene Wille, die Verfallserscheinungen des Lebens zwischen den Weltkriegen dem Arzttum fernzuhalten, wobei seinen angeborenen Fähigkeiten die Schulung im Corporationswesen und im preußischen Heer zugute kam. Selbst immer zu Opfern bereit, wenn es galt, dem für recht Erkannten zum Siege zu verhelfen, verband er mit straffer soldatischer, niemals aber kommissiger, Haltung die liberale Gesinnung, wie sie während des Zweiten Reiches in Königsberg, sicherlich gerade unter dem Einfluß der Logen, besonders verbreitet war. Hüter der Ordnung und gleichzeitig ein alles verstehender gütiger Vater, ein Patriarch im besten Sinne des Wortes, das war der Generaloberarzt und so möge er in die Geschichte des ostpreußischen Arzttums eingehen. Es ist tröstlich zu wissen und täglich aufs neue zu erleben, daß sein Geist auch unter völlig veränderten Orts- und Zeitumständen weiter in uns lebendig ist.”

Zu den wirren Verhälnissen nach 1918, von denen in diesem Porträt die Rede ist, gehörte der „schwere Kampf um Kö-nigsberg”. Auch in Königsberg hatte 1918 einen Arbeiter- und Soldatenrat die Macht übernommen. Er stützte sich auf die Königsberger Volksmarine-Division mit 1200 bis 1400 Mann und auf etwas 15 000 bewaffnete Arbeiter. Mögliche zusätzliche Unterstützung konnte aus Rußland kommen. Andererseits hatten sich aber vor allem im Osten auch viele konservative Freikorps gebildet. Sie und andere konservative Kräfte versuchten, der Revolution zu begegnen. So griffen das Freikorps „Gerthsche Jäger” und einige wieder aufgestellte Freiwilligenverbände am 3. März 1919 Königsberg an und vertrieben die Volksmarine-Division. Anschließend wurde ein „Regiment Königsberg” aufgestellt und mit wieder entstehenden Truppen das Armeekorps I. wieder gebildet. Für einige Zeit garantierten sie eine gewisse Ordnung, bis sich die Weimarer Republik stabilisierte.

13/12 Martin Friedrich Konrad Kob 1872 - 1944 <<< 13/13 Maria Magdalena Gretchen Sonnemann 1883 - 1944.

7. Die Freimaurer

Das Wesen der Freimaurerei erschließt sich dem Außenstehenden nur schwer. Dies liegt u.a. an der Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder, an der komplizierten Gedankenwelt und an der stark gegliederten Organisation. Name, Gedankengut und Organisationsform knüpfen an die mittelalterlichen Bauhütten an. Diese waren zunftähnliche Bruderschaften von Baumeistern, Maurern, Steinmetzen und anderen Handwerkern am Bau. Sie hüteten und tauschten ihre technischen Fertigkeiten aus, indem sie Baupläne, typisierte Figuren oder Ornamente u. ä. im Geheimen aufbewahrten und nur unter einander weitergaben. Die Ordnung, Rechte und Pflichten waren detailliert geregelt, z. B. mit dem Gelöbnis der Verschwiegenheit oder dem geheimen Gruß. An der Spitze einer Bauhütte stand der Aldermann oder Stuhlmeister. Zu den Regeln gehörte auch die Pflege verschiedener Tugenden wie Duldsamkeit, Bruderliebe, Treue, Verschwiegenheit und Wahrhaftigkeit. Eine Funktion der Bauhütten war aber auch die soziale Fürsorge für bedürftige Mitglieder. Ohne diese Bauhütten wäre der mittelalterliche Bau so vieler Großkirchen nicht denkbar gewesen. Allerdings haftete ihnen auch bald der Geruch eines Geheimbundes an. Ausgangs des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit verloren die Bauhütten wegen des Rückgangs der Bautätigkeit an Bedeutung.

In Groß-Britannien begann man deshalb zuerst, nämlich Ende des 16. Jahrhunderts/Anfang des 17. Jahrhunderts, damit, von der „Werkmaurerei”, also dem Erstellen von Gebäuden, zur „Geistesmaurerei”, also dem Bilden der Persönlichkeit überzugehen. Wohl nicht zufällig war es die Zeit, da in der evangelischen Kirche der Pietismus viele Anhänger fand, eine Bewegung, der es u. a. auch im die Formung des rechten Christen, die Bildung des inwendigen Menschen ging. Bei den Freimaurern ging das einher mit der Aufnahme von Mitgliedern, die andere als Bauberufe ausübten. Mit der Gründung der Großloge von England im Jahre 1717 begann die Freimaurerei im heutigen Sinne. Zusammengeführt wurden ehrenwerte Männer ohne Ansehen des Standes und des Glaubens in einem auf Brüderlichkeit aufgebauten Bund. Sie setzten sich damit über gesellschaftliche Schranken hinweg, die seit dem Mittelalter Menschen von einander getrennt hatten. Ihre Ideale wurden dann Gedankengut der Französischen Revolution. So waren die Freimaurer in ihrer Anfangszeit Vorreiter der bürgerlichen Emanzipation und trugen Reform-Gedankengut in die Gesellschaft. Dies war ohne Zweifel nur möglich, wenn man größtmögliche Vertraulichkeit wahrte, und hier hat die Geheimniskrämerei der Freimaurer eine zweite Wurzel. Mit dem Erstarken des Bürgertums und der schrittweisen Durchsetzung republikanischer oder demokratischer Verfassungen verlor die Freimaurerei ihre gesellschaftspolitische Triebfeder. Umorientierung war nötig. Wollte man dem alten Ansatz treu bleiben, ergaben sich zwei Möglichkeiten: man engagiert sich für die Emanzipation des inzwischen entstandenen 4. Standes oder man reduziert die Freimaurerei auf ihre humanitären, geselligen und esoterischen Inhalte. Die überwiegende Zahl der Logen ging den zweiten Weg. Allerdings muß man fragen, ob dieses Beibehalten geheimbundartiger Formen in der modernen Gesellschaft des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts nicht zwangsläufig zu Mißtrauen und Verdächtigungen führen mußte. Um so mehr als ja etwa Toleranz noch längst nicht bedeutete, daß man auch Frauen aufgenommen hätte oder daß man gegen den Nationalismus gewappnet gewesen wäre. Auch wurde der Schritt von einer gesellschaftsverändernden zu einer gesellschaftserhaltenden Kraft begleitet von einer nun unbedingten Loyalität zum (preußischen) Herrscherhaus. Als Freimaurer war man konservativ und national gesonnen. So vermochte die Freimaurerei 1914 ebenso wenig wie die Kirchen eine friedensstiftende Rolle zu spielen. So wurde auch schon vor dem 1. Weltkrieg die sog. Konspirationstheorie entwickelt, die im Zusammenwirken von Freimaurern und Juden eine Weltverschwörung sah. Versailles wurde dann als ein Werk der Freimaurer angesehen. Auch die NSDAP griff früh die Formel von der Weltverschwörung auf, von Alfred Rosenberg, dem Chefideologen, bis zum „Stürmer”, dem Hetzblatt. Stresemann wurde als „Logenpolitiker” diffamiert, die Loge als „Generalstab des Marxismus” diskreditiert. Die Ludendorff-Bewegung forderte die Vernichtung der Freimaurerei. Es wundert nicht, daß die Nationalsozialisten gleich 1933 gegen die Freimaurer vorgingen.

8. Die Barmherzigkeit

Im Königsberger „Krankenhaus der Barmherzigkeit” waren Vater und Sohn Martin Kob als Ärzte tätig. Ihr Name ist mit diesem Krankenhaus verbunden so wie das Krankenhaus zur Familie gehörte (der Vorsteher Pfarrer Stachowitz nahm z. B. Taufen in der Familie Kob vor und nicht der Gemeindepfarrer). Deshalb lohnt es, etwas mehr über das Krankenhaus zu wissen. Seine Gründung geht auf eine Rheinreise zweier Gräfinnen zu Dohna-Schlobitten zurück. Dabei besuchten die Damen auch das von Pfarrer Fliedner in Kaiserswerth errichtete Diakonissenkrankenhaus und beschlossen, in Königsberg eine ähnliche Einrichtung zu schaffen. Im Jahre 1847 wurde ein Verein zur Errichtung eines solchen Hauses in Kö-nigsberg gegründet. Im Jahre 1849 wurde ein Grundstück auf dem Hinter-Roßgarten erworben und am 18.5.1850 konnte ein Krankenhaus für notleidende Kranke weiblichen Geschlechts eröffnet werden. Dazu waren drei Kaiserswerther Diakonissen entsandt und die ärztliche Betreuung dem Regimentsarzt Dr. Hasse übertragen worden. Von Anfang an bestanden gute Beziehungen zum Kriegsministerium, so daß bis 1918 die Besetzung der Arztstellen mit den Truppenteilen der Garnison Königsberg angehörenden Militärärzten erfolgte. Ab 1855 wurden auch männliche Kranke aufgenommen. 1856 hatte das Krankenhaus schon 80 Betten. Zur Erweiterung wurden weitere Grundstücke angekauft. Ein Geistlicher wurde für die Seelsorge angestellt. Es entwickelte sich eine (Diakonissen-) Schwesternschaft, die ab 1858 bis 1945 vier Diakonissen als Stationsschwestern an die Universitätsklinik abgab. Das Unternehmen wurde fast ganz aus Spenden finanziert. Schwesternschaft und Krankenhaus wuchsen weiter. 1889 gehörten der Schwesternschaft 307 Diakonissen an. 1894 wurden Sonderabteilungen für die verschiedenen Fachrichtungen eingerichtet. 1906 wurde eine Abteilung für innere Kinder- und Säuglingskrankheiten errichtet und ihre Leitung Martin Kob übertragen. Er war damals Stabsarzt und kam aus der Schule von Prof. Heubner in Berlin. Während des 1. Weltkrieges ruhte seine Tätigkeit, weil er im Felde war. Die Kinderstation wurde erst nach einer Pause von den Fachärzten Dr. Jester und Dr. W. Klein betreut. Nach dem Kriege hat er sie wieder aufgenommen. 1928-30 wurde ein neues großes, modernes Krankenhaus errichtet, das den Namen „Neues Krankenhaus” bekam. Die Gesamtbettenzahl betrug nun 500. Ab 30.9.1932 wurde Pfarrer Stachowitz Vorsteher von Diakonissenschaft und Krankenhaus.. Die Zahl der Diakonissen betrug jetzt 1060. Als im Jahre 1932 der Chefarzt der Inneren Abteilung starb, folgte ihm Prof. Dr. Joachim, der langjährige Oberarzt der medizinischen Klinik. Am 31.12. 1932 waren Dr. Diegner und Dr. Kob jun. bei ihm Assistenzärzte. Der schwere Bombenangriff von August 1944 zerstörte 30 % der Gebäudesubstanz. Während der Belagerung wurden auch verwundete Soldaten aufgenommen. Am 9.4.1945 drangen sowjetische Soldaten in das Krankenhaus ein, plünderten und setzten die gesamte Belegschaft und alle Kranken auf die Straße. Dann legten sie Feuer, das weitere 30% der Gebäudesubstanz zerstörte. Belegschaft und Kranke kamen vorübergehend im Oberfinanzpräsidium unter. Da ein Krankenhaus benötigt wurde, errichteten die Sowjets in den verbliebenen Gebäuden der Barmherzigkeit ein Gebietskrankenhaus und holten die Belegschaft dorthin zurück. Prof. Joachim wurde nach Insterburg versetzt und beendete dort im Mai sein Leben selbst. Nachdem immer mehr russische Ärzte kamen, konnte die verbliebene Belegschaft von Herbst 1947 bis Herbst 1948 nach „Central-Germania” ausreisen. 243 Diakonissen haben in der „Russenzeit” ihr Leben verloren. Pfarrer Stachowitz war ebenfalls in den Westen gekommen. Er fing mit dem Wiederaufbau der Diakonissenschaft in Berlin-Nikolassee an, starb aber 1951. In einem in den Jahren 1953/55 in Altenberg bei Wetzlar in den Ruinen eines alten Prämonstratenserinnen-Klosters errichteten Neubau fand die Diakonissenschaft eine neue Heimat. Ein eigenes Krankenhaus wurde nicht errichtet. Aber 60 Schwestern des Hauses arbeiteten von nun an im Stadtkrankenhaus Wetzlar.

9. Jung verstorben: Kurt Hermann August Gustav Theodor Kob

Kurt Kob ist jung an Krebs verstorben. In Erinnerung geblieben ist er durch seine Dissertation: „Westmasuren. Eine bevölkerungsstatistische Untersuchung”, an der philosophischen Fakultät der Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr., R. Trenkel, Berlin 1908. Dem der Dissertation beigefügten Lebenslauf ist zu entnehmen, daß er sich Curt schrieb. Er besuchte das Realgymnasium zu Osterrode und ab 1890 das Kgl. Friedrich-Wilhelms-Gymnasium zu Berlin, studierte in Königsberg drei Semester Französisch und Englisch und dann Deutsch, Philosophie, Geschichte und Geographie. Während des Studiums lieferte er drei Preisarbeiten über Kantische Philosophie, darunter eine in lateinischer Sprache. „Persönlicher Verhältnisse halber” (finanzielle Schwierigkeiten, gesundheitliche Probleme?) konnte er die Examina nicht ablegen. Er wurde Hauslehrer bei Landgerichtsdirektor Schubert in Erfurt, bei Majoratsbesitzer Ulrich Le Tanneux von Saint-Paul auf Jaecknitz und Erzieher der Prinzen und Prinzessinnen zu Hohenlohe-Öhringen. 1917 bestand er das Rigorosum zum Dr. phil. und das Examen für das Lehramt an höheren Schulen.

13 Kurt Hermann August Gustav Kob 1878 - 1917

10. Pfarrer in Pommern: Konrad Kob

 

Konrad Kob war Leutnant in Königsberg, Pfarrer in Bütow (Pommern), am 11.1.1943 Major und dann Pfarrer in Greifswald. Nach „Das evangelische Deutschland" 1927/28: ordiniert 18. Mai 1924, seit 1925 in Bütow. Dort war er Kollege von Werner Benkendorff, dem Vater von Hellmut Benkendorf, dem Mann von Isolde geb. Telschow. Nach „Deutsches Kirchliches Adressbuch 1937" war er da noch in Bütow und hatte in Bütow am 1.11.1925 begonnen. Später war er Pfarrer an St. Marien in Greifswald und wohnte Langefuhrstr. 65. In Greifswald konnten Anna Luise Kob und Klaus Löhr 1944 bei ihm Unterkunft finden.

Einige wenige Informationen erhielt ich auch von Elfriede und Kurt Hofmann aus Greifswald, und das hatte die folgende Bewandtnis. Die Mitarbeiter des Evangelischen Gemeindeverbandes in Frankfurt am Main spendeten seit 1961 im Rahmen einer Bruderhilfe monatlich kleine Beträge, von denen dann zu Weihnachten Mitarbeiter bestimmter Partnerverbände in der DDR Weihnachtspakete bekamen. Diese wurden wieder von einzelnen Mitarbeitern geschickt, so daß sich hieraus im Laufe der Jahre Briefpartnerschaften entwickelten. Irgendwann bekam ich die Hofmanns für die Weihnachtspaketaktion zugeteilt. Hofmanns hatten bis 1966 eine Bäckerei betrieben und wurden dann kirchliche Mitarbeiter. Auf entsprechende Anfrage berichteten sie 1992 über Pfarrer Konrad Kob. Dieser sei bis zu seiner Pensionierung Pfarrer an St. Marien und danach noch viele Jahre Krankenhausseelsorger an den Universitätskliniken gewesen. Bestattet sei er neben seiner Frau auf dem neuen Friedhof in Greifswald, gleich am Haupteingang. Er sei nicht nur der Gemeindepfarrer der Hofmanns gewesen sondern auch Stammkunde ihrer Bäckerei.

14 Konrad Kob * 1897 <<< 14 Hilde Landsberg

 

 

11. Komponist und Vogelfreund: Heinz Tiessen

Heinz Tiessen war der Sohn von Margarethe Kob und Philipp Tiessen. Ab 1905 studierte er Rechtswissenschaften (anschließend Philosophie) und Musik am Stern ´ schen Konservatorium in Berlin. Danach wurde er Kritiker an der Allgemeinen Musikzeitung, Korrepetitor am Königli-chen Opernhaus und an der Volksbühne, Dirigent der Akademischen Orchestervereinigung an der Universität Berlin, ab 1925 Lehrer für Komposition und Theorie an der Hochschule für Musik und Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Seine Werke galten nach 1933 als kommunistisch und „entartet", und er unterlag erheblichen Einschränkungen in seiner Tätigkeit. Er war dann Chorleiter der Berliner Singegemeinschaft, 1946-1949 Direktor des Berliner Konservatoriums, Direktor der Abteilung Musik der Akademie der Künste, Träger des Berliner Kunstpreises 1957. Er arbeitete am Theater sowie als Dirigent und Chorleiter mit den Großen seiner Zeit zusammen. Nebenher war er begeisterter Ornithologe.

Erwin Kroll hat in seinem 1966 erschienen Buch „Musikstadt Königsberg" ein schönes Portrait von Heinz Tiessen gezeichnet. Kroll war selbst Königsberger und Musikkritiker wie Feuilletonleiter der Hartungschen Zeitung bis zu deren Ende, also ein Kollege von Hans Lippold. Nach dem Kriege war er Berliner Musikleiter im Nordwestdeutschen Rundfunk. Mit seiner Veröffentlichung wurden auch eigene Erinnerungen wach. Im letzten Kapitel erwähnt er ein Ferienhaus in Kähnsdorf, einem kleinen Dorf südlich von Potsdam, in das uns hin und wieder im Sommer 1945 Hamstermärsche führen. Und wenn gleich vom Bergheimer Platz die Rede ist, dann lag der in der Nähe unserer letzten Berliner Wohnung in der Geisenheimer Straße. Es muß 1954 gewesen sein, als die genannte Katholische Kirche wieder Glocken bekam. Diese mußten eingeläutet werden, was Stunden dauerte. Jedermann in der Umgebung fühlte sich durch den Lärm gestört. Nur mein Vater nicht. Der öffnete Küchen- und Schlafzimmerfenster, von wo aus wir den Kirchturm sehen konnten, um den schönen Glockenklang in die Wohnung zu lassen. Doch lassen wir Kroll noch etwas über Tiessen sprechen.

Immerhin konnte es geschehen, daß manchmal auf dem Wege zum Briefkasten gegen Mitternacht zwei einigermaßen würdige alte Herren beim Rundgang um die katholische Kirche am Bergheimer Platz in Friedenau zusammentrafen, und dann redeten wir - Tiessen und ich - doch miteinander, redeten von der Not der Zeit und der Zeit der Not .... Tiessens Weg führte schneller und gerader nach Berlin. In dieser „verwegenen", allem Neuen weit aufgeschlossenen Stadt hat der Komponist, der Dirigent, der Hochschullehrer, das Mitglied der Akademie der Künste rasch Wurzeln geschlagen, so daß sein Name aus der Musikgeschichte Berlins nicht wegzudenken ist .... Freilich, wer im Strome der „Welt" schwimmt wie Tiessen, läuft Gefahr, die Heimat zu vergessen. Er hat sich als Komponist, soweit mir erinnerlich, nur einmal ganz offen zu ihr bekannt, nämlich in seiner „Naturtrilogie" für Klavier, einem Lobpreis auf die Schönheiten Niddens .... In Ton, Wort und Schrift entwickelte er sich nun rasch zu einem Bannerträger des Neuen, trat zum Mitarbeiterstab der von Paul Schwers geleiteten Allgemeinen Musikzeitung und schloß sich in den zwanziger Jahren Hermann Scherchen und dessen Neuer Musikgesellschaft an. Damals fand er auch den Weg zu den Arbeitersängern .... Den Anschluß an die Abeitersänger-Bewegung bezeichnete er als einen der ihn am meisten beglückenden Gewinne seines Lebens .... Die zwölf Jahre nationalsozialistischer Gewaltherrschaft lähmten sein Schaffen erheblich. Auch seine wirtschaftliche Lage erschien nun bedroht. 1943 verbrannten zudem seine sämtlichen Partituren. Schon 8 Jahre vorher hatte Herbert Gerigk, der Musikbüttel Alfred Rosenbergs, sich öffentlich folgendermaßen über Tiessen vernehmen lassen: „Man wundert sich, das ehemals prominente Mitglied der bolschewistischen Novembergruppe, den Komponisten der Revolutionsouvertüre und den Schöpfer brandroter Marxistengesänge heute noch zu erblicken." .... „Über alle Erfahrung hinweg immer wieder zum Spontanen zurückzufinden, zur gläubigen Hingabe an die innere Schau", das ist nach Tiessens Ausspruch ewige Aufgabe des Künstlers. Gewiß teilt er mit anderen Spätromantikern das Los, heute (1966) mehr gelobt als aufgeführt zu werden. Aber er, der schon vor Busoni eine „neue Klassizität" für die Tonkunst forderte, läßt für sein eigenes Schaffen die Bezeichnung „spätromantisch" nur etwa bis zu seinem „Amsel"-Septett (op. 20) gelten. Wenn er sich dann um 1918 der Klangwelt des mittleren Schönberg verschreibt, so lehnt er doch die Etikettierung als Expressionist ab und weist ihr gegenüber auf die Musizierfreudigkeit aller seiner Werke hin .... Seitdem läßt sein Schaffen einen zunehmenden Willen zur Vereinfachung und Verinnerlichung, ein schönes Gleichgewicht zwischen Gehalt und Gestalt erkennen .... Zu Tiessens Schülern gehörten der Pianist Eduard Erdmann, der Dirigent Sergiu Celibidache und der Kabarettist Günther Neumann..."

Veröffentlichungen von ihm sind u.a. : Musik der Natur. Über den Gesang der Vögel insbesondere über Tonsprache und Form des Amselgesanges, Atlantis Freiburg i.Br. 1953; Heinz Tiessen, Wege eines Komponisten, Akademie der Künste Berlin, 1962.

14 Heinz Tiessen * 1887 <<< 14 Anneliese Schier-Tiessen ( ? )

 

 

12. Arzt, Soldat und Politiker: Ludwig Konrad Martin Kob

Martin jun. war Dr. med. und Kinderarzt. Am Anfang des 1. Weltkriegs wurde er aus Sicherheitsgründen auf eine Internatsschule in Stargard/Pommern geschickt. Anlaß hierfür war, daß man im August 1914 eine Belagerung von Königsberg i. Pr. befürchtete. Deshalb riet am 18. August der Gouverneur der Festung Königsberg von Pappritz allen Einwohnern, die beruflich nicht in Königsberg gebunden waren, sowie Alten, Kranken, Kindern und den Flüchtlingen, die sich seit Kriegsausbruch in der Stadt befanden, Königsberg zu verlassen. Das Abitur machte er Ostern 1926 am Friedrichskolleg in Königsberg. Es folgten 1926-1931 das Medizin-Studium, Ostern 1928 das Physikum in Berlin, am 9. Juli 1931 das große Staatsexamen, 2.7. 1931 - 22.7.1932 das medizinische Praktikum an der Diakonissenanstalt der Barmherzigkeit in Königsberg i. Pr., 22.7.1932 - 31.3.1937 die Tätigkeit als Assistenzarzt bei Prof. Joachim, am 29.7.1932 die Approbation, am 10.7.1935 die Promotion, am 13.8.1936 die Zulassung als Facharzt für Kinderkrankheiten, am 1.4.1937 die Niederlassung als Kinderarzt Beekstr.7 und Leitender Arzt der Kinderabteilung an der Barmherzigkeit, dies bis zum Krieg. Nach dem 2. Weltkrieg war er Kinderarzt in Flensburg. Promoviert wurde er am 10.7.1935 auf Grund einer als „gut" anerkannten Arbeit „Warum konservative Myomoperation ?". In „Fortschritte der Therapie" 12. Jahrgang (1936) Heft 2 hat er einen Beitrag zum Thema „Die Behandlung von neuropathischen Erkrankungen und Schwangerschaftserbrechen" veröffentlicht. Wohnhaft war er damals in Königsberg, Hintertragheim 28.

 

Der Arzt

Martin jun. Werdegang als Arzt schlägt sich in folgenden ärztlichen Tätigkeiten nieder: - 22.7.1932 bis 31.3.1937 Medizinalpraktikant, 22.7.1932 bis 31.3.1937 Assistenzarzt am Krankenhaus der Barmherzigkeit. Das Zeugnis von Prof. Joachim ist sehr gut und gipfelt darin, von seinem kritischen Denken und seinem unbeirrbaren Gerechtigkeitssinn zu sprechen. - 29.7.1932 Approbation - 1.10.1934 bis 30.10.1934 Hospitation an der Universitäts-Kinderklinik der Charité - Am 3.8.1936 als Facharzt für Kinderkrankheiten anerkannt. - 2.9.1936 bis 1.10.1936 und 3.1.1937 bis 31.1.1937 Mitarbeit und Vertretung in der Arztpraxis Dr. Arnold Kornhuber in Metgethen.

- Am 13.3.1937 wurde er nach öffentlicher Ausschreibung der Stelle von der Kassen-ärztlichen Vereinigung als Facharzt für Kinderkrankheiten für Königsberg Pr. zugelassen. Bemerkenswert ist die Begründung des Beschlusses. Es gab zwei Bewerber, Martin Kob und Ludwig Seitz. Sie waren etwa gleich alt, hatten die gleiche Ausbildung, beide den Ariernachweis vorgelegt und unterschieden sich vor allem hinsichtlich ihres politischen Engagements. Bei Martin Kob keine Parteizugehörigkeit, keine SA-Mitgliedschaft etc. Bei Seitz SA, NSD-Ärztebund (Nationalso-zialistischer Deutscher Ärztebund), anerkannter Arzt beim Amt für Volksgesundheit, außerdem Mitglied im RLB (Reichsluftschutzbund) und der NSV (Nationalsozialistische Volks-Wohlfahrt). Auf Martin Kob fiel die Wahl. Dann allerdings: „In der mündlichen Verhandlung stellte der zuständige Amtsleiter für Königsberg fest, daß zwei männliche Kinderärzte zugelassen werden sollten. Demzufolge wurde auch die Zulassung für Dr. Seitz ausgesprochen." Die erste Entscheidung zeigte, daß sich das Gremium nicht der NSDAP beugte. Hatte die Partei die Auswahl des Nichtmitglieds Martin Kob nicht verhindern können, so sorgte sie mit der zweiten Entscheidung doch noch für ihren Mann.

- Nach dem 28.12.37 Betreuung zweier Mütterberatungsstellen in Königsberg. - Ab 1.10.1939 leitender Arzt der Inneren Kinderstation des Krankenhauses der Barmherzigkeit (nebenamtlich). - 15.11.1945 vom Vorsitzenden des Flensburger Ärztevereins, Ärztekammer Schleswig-Holstein Genehmigung zur Niederlassung als Kinderarzt. Marienhölzungsweg 79. - 27.11.1945 widerrufliche Zulassung zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung - 1.8. 1946 leitender Arzt (Direktor?) der Kinderabteilung des Städtischen Krankenhauses Mürwik (nebenamtlich). - 15.6.1949 nebenamtlich die fachärztliche Versorgung der in sein Fach fallenden Kinder in der Klinik Ost der städtischen Krankenanstalten Flensburg - 10.1.1950 ordentliche Zulassung als Kassenarzt, nachdem der Verband der Ortskrankenkassen seinen Widerspruch zurückgezogen hat. - 1957 Anfrage bei der Flensburger Diakonissenanstalt, ob diese einen Kinderarzt benötigt, abschlägig beantwortet. - Fortbildungswochen in Meran und einwöchige Hospitation an der Universitäts-Kinderklinik Innsbruck - 1.7.1966 Leitung der Kinderabteilung des St. Franziskus-Hospitals in Flensburg mit 25 Betten

Der Soldat

Martin jun. hat den 2. Weltkrieg von Anfang bis Ende an fast allen Fronten mitgemacht. Deshalb gibt seine Militärzeit ein Bild von diesem Krieg und den Ländern, in die er hineinge-tragen wurde.

Ab 1935 hat er ca. zehn Übungen als Unter- und Assistenzarzt d. R. bei der Flak-Maschinengewehr-Ergänzungs-Kompanie Juditten Sanitätsstaffel Königsberg, der Landwehr-Sanitäts-Staffel Neukuhren dem I./Flak Regiment 1 und der 2. (H) Tannenberg mitgemacht. Dabei hat er offenbar im Rahmen einer Wehrübung vom 26.9.1938 - 4.10.1938 mit I./ Flak-Rgt.1 (52211) an der Besetzung des Sudetenlandes teilgenommen, denn sonst hätte er wohl nicht die Medaille zum 1.Oktober 1938 erhalten. Ab 1.9.1939 leistete er Kriegsdienst in der 2. (H)/ Tannenberg, 15. Lw. Felddivision und der 4. Fallschirm-Jäger-Division. Ab 22.5.1937 war er Assistenzarzt d. Res., ab 1.12.1939 Oberarzt der Reserve, ab 1.1.1942 Stabsarzt, ab 1.1.1945 Oberstabsarzt (d. Res.).

Vermerkt sind als Verletzungen und Krankheiten: 10.8.1940 Gehirnerschütterung und Speichenbruch rechts, Bruch II. Lendenwirbel und 9.10. bis 14.11. 1942 Gelbsucht. Vermerkt sind auch als Auszeichnungen: Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse mit Schwertern, Bulgarisches Fliegertätigkeitsabzeichen, Medaille zur Erinnerung an den 1. Oktober 1938 (Einmarsch in das Sudetenland), E.K. II (23.12.1941, am Ende seines nachgewiesenen Einsatzes in Rußland), Bulgarischer Militär Verdienst Orden V. Klasse mit Krone und Kriegsdekoration, Medaille für deutsche Volkspflege, Medaille für die Winterschlacht im Osten 1941/42, EK I (16.9. 1943).

Als Zugehörigkeiten zu Militärdienststellen zählt der Wehrpaß auf: 25.8.-10.11.1940 Sanitätsersatzkompanie L.G. I., 11.11.1940-17.6.1942 Aufklärungsstaffel 2. (H)/10, 12.8.1942-6.3.1943 Luftwaffen Sanitäts Ber. (mot.) 1/XII, 7.3.1943-31.12.1943 Luftwaffen Sanitäts Ber. (mot.) 5/XII, 1.1.1944-31.3.1945 ... 18.6.1942-11.7.1942 Luftwaffen Sanitäts Ber. (mot.) 7/ IV Kdt., 12.7.1942-11.8.1942 Luftlande-Gefechtsverband VIII. Fliegerkorps ( ....)

Nach dem Wehrpaß hat er folgende „Gefechte, Schlachten, und Unternehmungen" mitgemacht: - Polenfeldzug: Durchbruchskämpfe im Gebiet Mlawa-Chorzele, Kampf um die Narew-übergänge bei Pultusk und Rozan, Kampf um die Bug-Übergänge bei Wyszkow und Brok, Verfolgung in Ostpolen im Gebiet um Kluszyn-Siedlece-Garwolin-Minsk. Maz.-Otwock, Kämpfe vor Praga bis zur Übergabe. - Verwendung im Heimatkriegsgebiet auf den Flughäfen Wesensdorf, Stallagsberg, Travemünde, Flensburg. - Besetzung Dänemarks: Einnahme von Seeland, Jütland, Bornholm; Sicherung Dänemarks. - Eroberung Norwegens: Kämpfe zur Herstellung der Landverbindung von Oslo nach Drontheim und Bergen, Kämpfe zur Säuberung des südnorwegischen Raumes, Besetzung und Säuberung von Mittelnorwegen von Drontheim bis Bodö, Kämpfe zur Herstellung der Verbindung mit Gruppe Narvik. - Schlacht in Frankreich: Durchbruchsschlacht an der Somme und Oise, Übergang an der Aisne, Verfolgung über Oise und Ourcq, Einbruch in die Pariser Schutzstellung, Übergang über die Marne und Verfolgung bis zur Seine, Übergang über die Seine und Verfolgung bis an d. Indre, Einnahme von Orleans, Übergang über die Loire, Kämpfe um Cher. - Besetzung Frankreichs und Belgiens. - Balkanfeldzug: Aufenthalt in Rumänien, Einmarsch in Bulgarien, Durchbruchsschlacht durch die Metayas-Linie und Eroberung von Saloniki, Durchstoß zum Aliakomon, Schlacht am Olymp, Verfolgungskämpfe durch Thessalien, Schlacht bei den Thermopylen und Verfolgung bis Athen, Sicherung von Griechenland. - Verwendung im Heimatkriegsgebiet: Flugplatz Gleiwitz. - Ostfeldzug: Schlachten in Bessarabien, Galizien, Durchbruch auf Kiew und Vorstoß an den Dnjpr, Kämpfe im Raum nördlich von Shitomir, Verfolgungskämpfe gegen den Dnjepr, Angriffe über den Dnjepr, Kämpfe bei Kiew, Kämpfe gegen den Donez, Kämpfe am oberen Donez und am Don. Und dann weiter Einsatz im Operationsgebiet der Ostfront bei der 15. Lw. Felddivision. - Einsatz in Italien vom 10.12.1943 - 31.3.1945 im Rahmen der 4. Fallschirm- Jäger-Division.

Diese Division wurde im Januar 1944 im Raum Perugia aus einigen Fallschirmjäger-Regimentern, Resten von in Auflösung befindlichen Luftwaffen-Felddivisionen und aus dem Bodenpersonal der Luftwaffe gebildet. Obwohl noch in Aufstellung begriffen, wurde die Division bereits ab 28. Januar 1944 bei Nettuno südlich von Rom gegen einen amerikanischen Brückenkopf eingesetzt. In dem veröffentlichten Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht spiegeln sich die Kämpfe um Nettuno recht eingehend wieder. Immer wieder ist auch die 4. Fallschirmjägerdivision erwähnt. Das Oberkommando der Wehrmacht war die oberste militärische Befehlsinstanz im Dritten Reich. Es war aus dem früheren Kriegsministerium entwickelt worden und dem Führer direkt unterstellt. Faktisch war es die Befehlsausgabestelle von Adolf Hitler. Deshalb war es in seinen Spitzenpositionen auch mit willigen Helfern Hitlers besetzt. Es verfügte um einen umfangreichen Apparat. Das Tagebuch vermittelt den Eindruck, daß sich die Zentrale um sehr viele Details kümmerte und den Befehlshabern vor Ort wenig Spielraum ließ. Andererseits ist erstaunlich, auf wie viele Probleme an der Front von den Befehlshabern immer wieder hingewiesen wurde und daß dies bis zu diesem Gremium gelangte. Allerdings führte das selten zu einer realistischen Handlungsweise des Führers und seiner Paladine. Mit Nettuno hatte es die Bewandtnis, daß amerikanische Landungstruppen dort, südlich von Rom, am 22. Januar 1944 für die Deutschen völlig überraschend landeten. Auf deutscher Seite räumte man dem Kampf gegen diesen Brückenkopf hinter der Front hohe Priorität ein und zog eilig alle möglichen Truppen zusammen. Zu diesen Truppen gehörte die neu geschaffene 4. Fallschirmjäger Division, die bunt zusammengewürfelt war und sich noch gar nicht richtig organisiert hatte. In einem Führerbefehl zu diesem Einsatz wurde in Anspielung auf einen vielgelesenen historischen Roman von Felix Dahn vom „Kampf um Rom" gesprochen. Auch hieß es, es genüge nicht, taktisch richtige und klare Befehle zu geben; vielmehr müßten alle drei Wehrmachtsteile in ihren Führern und Soldaten von dem fanatischen Willen durchdrungen sein, diesen Kampf siegreich zu bestehen und nicht zu erlahmen, bis der letzte Gegner vernichtet oder wieder ins Meer geworfen sei. Der Kampf müsse geführt werden mit dem heiligen Haß einem Feind gegenüber, der einen erbarmungslosen Ausrottungskrieg gegen das deutsche Volk führe. Der Kampf müsse hart und erbarmungslos nicht nur gegen den Feind, sondern im Falle des Versagens auch gegen jeden eigenen Führer und jede eigene Truppe geführt werden. Die Amerikaner kamen mit 300 Schiffen und landeten auf einer Breite von 35 km. Sie waren sehr schnell den deutschen Truppen zahlenmäßig und technisch überlegen. Von einem Sieg über diese Truppen konnte so von Anfang an keine Rede sein. Trotzdem wurden Gegenangriffe unternommen, und es dauerte bis Anfang Juni, bis die Amerikaner aus dem Brückenkopf ausbrechen konnten. Immer wieder wurde bei diesen Kämpfen die 4. Fallsch. Div. erwähnt. Ab 25. 2 gab es einen neuen Angriff, bei dem die 4. Fallsch. Div. die Aufgabe hatte, Täuschungsangriffe vorzunehmen. Ab 29. Februar scheiterte ein weiterer Versuch. Als Gründe wurden die Überlegenheit des Feindes und die nachlassende „Angriffsfreudigkeit" genannt. Außerdem bedürften einige Divisionen, auch die 4. Fallsch. Div., der Auffrischung und der Ausbildung. Dahinter stand, daß der Oberbefehlshaber in Italien schon am 16.2.1944 die Gefechtsstärke der Kompanien an diesem Abschnitt mit 30 bis 50 Mann beziffert hatte. Hatten Kompanien im Normalfall 150 bis 200 Mann, dann zeigt das, welche Verluste die Kämpfe gebracht hatten. Trotzdem schob man im Führerhauptquartier Armeen und Divisionen hin und her, als wenn es die Ausfälle nicht gegeben hätte. Am 4. Juni 1944 deckten die Fallschirmjäger beim Abzug aus Rom als Nachhut den Rückzug der geschlagenen 14. Armee nach Norden. In den folgenden Monaten kämpfte sie bei Florenz, Rimini, Bologna und schließlich am Po. In schweren Kämpfen zogen sich die deutschen Truppen langsam nach Norden zurück. Am 18.9. befand man sich auf der Höhe von San Marino. Hier wurden zwei Divisionen aus dem Kampf genommen, die vierzehn Tage vorher mit 80% der Sollstärke von etwa 15.000 Mann in den Kampf gezogen waren und nun nur noch 20% der Sollstärke hatten. Drei von vier Soldaten waren also durch Tod, Verwundung, Gefangenschaft oder Krankheit ausgefallen. Am 4.12.44 kämpfte man bei Bologna - hier war auch die 4. Fallsch. Div. wieder dabei - und es hieß, daß die Bataillionsstärke, von Kompaniestärke ist schon nicht mehr die Rede, auf 100 - 150 Mann von einst ca. 600 abgesunken sei. Diese wenigen Angaben genügen wohl zu der Erkenntnis, wie wahnwitzig die deutsche Kriegsführung war. Es fällt aber auch nicht schwer, sich vorzustellen, unter welchen Bedingungen unser Vater als Militärarzt tätig war. Dabei war er ja nicht einmal allen den Gefährdungen ausgesetzt, denen seine Kameraden ausgeliefert waren.

Erhalten ist eine kleine Madonna aus Holz, die die Inschrift trägt: Clara Vicin, Seha di Val Gadena, gigno 1945. Das Val Gadena liegt im Trentino, ist als Grödner Tal bekannt und könnte der letzte Rückzugsort seiner Division gewesen sein. Der Krieg war für sie am 2. Mai 1945 durch Kapitulation der Heeresgruppe C zu Ende. Divisions-Kommandeur war übrigens Generalmajor Trettner, nach dem Krieg der dritte Generalinspekteur der Bundeswehr.

Ein erhaltenes Foto zeigt ihn, wie er im Osten von einem einheimischen Mädchen einen Blumenstrauß in Empfang nimmt. Dieses Bild soll aus einem Album der Fallschirmjäger stammen und wohl in Rumänien/Bulgarien oder Rußland aufgenommen worden sein. Der Blumenstrauß soll der Dank einer Hilfstruppe gewesen sein. Dagegen spricht, daß Martin im Osten bei der 15. Luftwaffenfelddivision war und in Italien bei der 4. Fallschirmjäger-Division. Ist das Bild im Südosten aufgenommen, kann es nicht von den Fallschirmjägern stammen. Stammt es von den Fallschirmjägern, muß es in Italien aufgenommen worden sein. Entscheidend können nicht die Uniformspiegel sein, da die Fallschirmjäger wie die Luftwaffenfelddivisionen zur Luftwaffe gehörten. Dagegen spricht auch, daß auf der Rückseite des Originals das Datum 1. Mai 1943 vermerkt ist. Da war Martin noch im Osten. Nach dem Krieg hat Martin noch Wehrübungen bei der Bundeswehr mitgemacht, um noch Generaloberarzt zu werden. Dies war ihm nicht vergönnt. Er hielt auch noch Kontakt zu ehemaligen Fallschirmjägerkameraden, so ist auf einem der Bilder Herr Kirbs zu sehen, auch wurden Fallschirmjägerbälle besucht. Noch Jahre nach seinem Tod lag zum Totensonntag ein Kranz der Fallschirmjäger auf seinem Grab.

Warum das alles? Es ist nicht bekannt, woran Martin Kob im einzelnen beteiligt war und an welchen Orten ganz genau. Die Aufzählung beschreibt ja nur, wo die Divisionen, denen er angehörte, eingesetzt waren. Auch könnten viele Männer, die den Krieg überlebt haben, ähnliche „Tätigkeitsbeschreibungen" für die Kriegszeit nachweisen. Doch insofern ist das Beschriebene auch wieder typisch für das Erleben deutscher Männer in dieser Zeit. Es zeigt auch noch einmal etwas von der Sprache der Zeit, und es zeigt etwas von der Überheblichkeit Deutschlands in dieser Zeit. Was hatten nur deutsche Soldaten dort überall zu suchen? Was haben sie im einzelnen alles erlebt und bewältigen müssen? Und in einer Zeit, da Psychologie und Psychotherapie eine so große Rolle spielen, fragt man sich auch, was für seelische und psychische Schäden man aus solchem Erleben nach dem Krieg mit nach Hause gebracht hat. Einmal nur hat Mutter Gisela vorsichtig und behutsam davon erzählt, wie schwer ihr Martin es hatte, wieder Zivilist, normaler Familienvater und verständnisvoller Ehemann zu sein. Ehemann einer Frau, die ihrerseits "ihren Mann" hatte stehen müssen, beim Verlassen der Heimat, als werdende Mutter und mit dem Neugeborenen, ein halbes Jahr auf Flucht in ständiger Angst und Sorge um das Wohl der Kinder. Die schlimmste Zeit ohne Mann. Dies bewältigt zu haben, gab Wissen vom Leben und Selbstbewußtsein. Die Gewichte hatten sich verschoben. Nun lebten nicht mehr der Herr Doktor und seine junge Frau zusammen, sondern zwei Erwachsene mit je eigenen Erfahrungen in Notzeiten. Daß das zunächst nicht ohne Spannungen ablief, liegt auf der Hand. Helmuth James von Moltke hat in einem seiner Briefe an Freya einmal so zutreffend geschrieben, das Schlimme am Krieg sei nicht nur, daß Männer töteten, sondern daß sie sich ans Töten gewöhnten. Und Christian von Krockow hat in seinem Buch „Die Stunde der Frauen" diesen Kriegerfrauen ein wunderbares Denkmal gesetzt.

Wieder Zivilist

Im Oktober 1945 wurde Martin Kob aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen. Seine Familie traf er in Flensburg wieder. Unter Schwierigkeiten ließ er sich als Kinderarzt nieder; denn als Flüchtling und in Konkurrenz zu einem Einheimischen erhielt er nicht so einfach die entsprechende Genehmigung. Ab 1.8.1946 war er Leitender Arzt der Kinderabteilung am Städtischen Krankenhaus in Flensburg-Mürwick. Ab 1.10.1951 hatte er einen Vertrag zur fachärztlichen Versorgung der Kinder in den städtischen Krankenanstalten. Später war er auch am St. Franziskus-Hospital tätig. Schon in Königsberg und auch in Flensburg war er ein beliebter Kinderarzt. Alte Königsberger erzählten noch in den sechziger und siebziger Jahren von seinem Vater und ihm, z. B. der Ostpreuße Pfarrer Hans Brehm in Frankfurt am Main.

 Nach dem Aufbau der Bundeswehr nahm er zunächst noch an Reserveübungen bei den Fallschirmjägern teil. Er engagierte sich bei der Landsmannschaft Ostpreußen, Landesgruppe Schleswig-Holstein, deren silberne Ehrenmedaille er am 27.3.1965 erhielt, und war Vorsitzender des Kreisverbandes der vertriebenen Deutschen für den Stadt- und Landkreis Flensburg. Politisch war er in der CDU zu Hause, für die er Fraktionsvorsitzender in der Stadtverordnetenversammlung und ab 1.4.1966 als Ratsherr Ehrenbeamter war. „In Anerkennung seiner Verdienste um die gemeindliche Selbstverwaltung zum Wohl des deutschen Volkes und des Staates" wurde ihm am 31.10.1966 die Freiherr vom Stein Gedenkmedaille des Landes Schleswig Holstein verliehen. Sein Engagement bei ärztlichen Standesorganisationen schlägt sich darin nieder, daß er stellvertretendes Mitglied der Abgeordnetenversammlung der kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein, stellvertretendes Mitglied der Kammerversammlung der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Beiratsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung, Mitglied in deren Prüfungsausschuß sowie Vorstandsmitglied, stellvertretender Vorsitzender und Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Flensburg war. Von 1952 bis zu seinem Tode gehörte er dem Aufsichtsrat des Selbsthilfe-Bauvereins e.G.m.b.H. Flensburg an.

Erinnerungen

Mit 55 Jahren sollte man noch keine Memoiren schreiben! Das Leben ist zwar länger für den Durchschnitt der europäischen Menschen geworden. Man hätte also an seinem Lebensabend noch Zeit und Muße, sich schriftlich zu erinnern. Aber das Leben eines Arztes verläuft so unruhig, ihn treiben so viele und unberechenbare Kräfte an, oft mit über das Maß freiwillig und freudig geleisteter Arbeit hinaus, daß er mit einem frühzeitigen Lebensende rechnen muß. Ich weiß auch, daß ich wie fast alle Kollegen in den Sielen sterben werde d. h. bis um Aufbrauch aller körperlichen und geistigen Kräfte werde arbeiten müssen. Denn das Leben im Alter wird weiter täglich verdient werden müssen und nicht wesentlich durch arbeitsloses Einkommen (Renten, Zinsen) gesichert sein. Außerdem läßt die gewohnte Tätigkeit den Arzt selten aus. - Und während der täglichen und wiederkehrenden Arbeit die Muße aufzubringen, im Kreise der Familie zu plaudern oder Erzählungen und Anekdoten zu wiederholen, bis sie von selbst den Kindern Wissensgut werden - eine schöne Art der Memoirenschreibung in die Herzen der Kinder, so wie ich es noch von meinem Vater her kannte - bleibt mir versagt. Die anstrengenden Zeiten des Wiederaufbaus der wirtschaftlichen Grundlagen einer Familie mit 6 Kindern gab keinen Raum für Muße, die ja dazu nötig ist. Und die Zerstreuung des Wochenendes durch die vielschichtigen Interessen der 3 jüngsten im Hause befindlichen Kinder macht die erzählerische Art der Erinnerungsweitergabe genau so anachronistisch wie die Vorstellung, man könnte heute im Orient mit der Historienerziehung durch weise Leute und Märchenerzähler kulturelle Werte allein oder ausschließlich erhalten.

Kurzum ich meine, daß meine Kinder und die nach ihnen kommen sehr viel besser auf diese schriftliche Art ein Bild von dem Leben und auch (das unter Vorbehalt) Denken und dem Schicksal eines Familienvaters gewinnen können. Sie brauchen dazu eigentlich noch die häusliche Atmosphäre, die nur aus den Erinnerungen der Mutter geschöpft werden kann. Die vielen liebevollen, kleinen Besonderheiten und Schicksalsfügungen werden nur durch sie und ihr Erinnerungsvermögen lebendig. Ich will also in diesen Zeilen meine Eltern und mich und meine Familie bis zu einer Zeit sehen, die noch genügend Abstand gibt. Vielleicht gelingt es mir auch die Gegenwart nur mich betreffend auszudeuten. Doch davon später.

Jetzt zum Beginn

In der Wohnung, in der ich in Königsberg geboren wurde, haben wir nur bis zum 1. Weltkrieg 1914-1918 gelebt. Natürlich weiß ich aus der ersten Lebenszeit aus eigener Erinnerung Nichts. Meine Mutter, übrigens auch ihre einzige Schwester Käte, waren Krankenschwestern in der Elite-Schwesternschaft der Königlichen Charité der Universitätsklinik Berlin. Dort hatte mein Vater als aktiver Stabsarzt sie während seiner Fachausbildung an der Kinderklinik der Charité kennen und lieben gelernt. (Vaters Lebensbild erschien in der ostpr. Arztfamilie, nicht ganz tatsachengetreu aber sehr gut brauchbar für die Familie, die ihre Vorfahren in liebevollem Lichte sehen will). Ein Kommando an die Diakonissenanstalt Barmherzigkeit zusammen mit der Dienststellung eines Regimentsarztes der 43er hatten meine Eltern nach Kö-nigsberg an den Wohnsitz meiner Großmutter, der Mutter meines Vaters, der Luise Kob geb. Hoffmann, Witwe des Landgerichtsdirektors Bruno Kob in Berlin, meines Großvaters, gebracht. Meine Mutter, Lenchen oder Sonnchen genannt (Magdalene geb. Sonnemann), war eine große schlanke stets auch noch bis in ihr Alter energische aber außerordentlich hilfsbereite und für andere mitdenkende und handelnde Frau. Es ist aber gar nicht die Erinnerung an meine Mutter so sehr aus der ersten Jugendzeit lebendig, sondern an meine Kinderschwester, an meinen um 1 ½ Jahre jüngeren Bruder Hans und an die Oma Kob und die Tante Anna.

Nachrufe

Die Reaktionen der Öffentlichkeit auf seinen frühen Tod zeigten wohl erst richtig, auf wie vielfältige Weise und mit welchem Engagement er sich in der Gesellschaft eingesetzt hatte. In den Flensburger Nachrichten erschienen Traueranzeigen der Stadt Flensburg, des CDU-Kreisverbandes, der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein zusammen mit dem Flensburger Ärzteverein und dem Verband der Ärzte Deutschlands, des Malteser-Ordens zusammen mit dem St. Franziskus-Hospital, des Kreisverbandes der Vertriebenen Deutschen, des Selbsthilfe-Bauvereins, seiner Mitarbeiterinnen, der Landmannschaft Ostpreußen, des Bundes Deutscher Fallschirmjäger, der Wohnungsbaukreditanstalt des Landes Schleswig-Holstein und des Landesverbandes der Vertriebenen Deutschen.

Groß aufgemacht berichteten die „Flensburger Nachrichten" mit Text und Bild von der Trauerfeier. Dort konnte man lesen:

Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und in Anwesenheit zahlreicher prominenter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wurde gestern der Flensburger Kinderarzt, Ratsherr und Stadtrat Dr. med. Martin Kob in der Kapelle auf dem Friedenshügel zur letzten Ruhe geleitet. An der Spitze der Vertreter der Landesregierung, der Ratsversammlung, des Magi-strats, der politischen Parteien, Vertriebenen-Verbände und wirtschaftlichen Institu-tionen sah man Innenminister Dr. Schlegelberger, Stadtpräsident Dr. Leon Jensen, Oberbür-germeister Adler, Kreispräsident Franzen, den Bundestagsabg. Will Rasner und den Landtagsabg. Dr. Weimar an der Seite der Familie, der Freunde und Bekannten des Verstorbenen. In den Ansprachen wurde Dr. Kob als eine große Persönlichkeit, als ein durch und durch politischer Mensch und als Vorbild hilfsbereiter und treuer Pflichterfüllung gewürdigt.

Superintendent Handtmann stellte seine Predigt unter das Wort aus dem 68. Psalm: „Gelobt sei der Herr täglich; Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch!" Die Wahrheit dieses Wortes habe der Verstorbene vorgelebt. „Denn er gehörte zu jenen starken Menschen, die unter Tränen lachen, eigenes Leid vergessen und andere glücklich machen." Handtmann erinnerte an das Wirken Dr. Kobs für seine Landsleute und für alle Bürger in der Stadt Flensburg. Die Kraft für diese Arbeit habe er aus dem christlichen Glauben geschöpft. So sei sein Leben reich und erfüllt gewesen.

Tiefe Trauer und Dankbarkeit hat uns hier zusammengeführt", sagte Landesinnenminister Dr. Schlegelberger, der die Verdienste des Verstorbenen ebenfalls eingehend würdigte. „Sein Leben war Arbeit und Hilfsbereitschaft; er brachte uns eine reiche Ernte und den Geist echten Preußentums; er hatte ein warmes Herz für seine heimatvertriebenen Landsleute, auch wenn er es nicht auf der Zunge trug." Zur Person Dr. Kobs sagte der Minister: „Er war kein bequemer, aber ein verläßlicher Mitarbeiter, eine in sich geschlossene Persönlichkeit und ein politischer Mensch in allen Dingen, der immer nur an die anderen dachte. So werden wir ihn in unserer Erinnerung behalten."

Stadtpräsident Dr. Leon Jensen betonte, daß mit der Familie die ganze Stadt um den Toten trauere. „Allen, die ihn kannten, ist bewußt geworden, daß unsere Stadt Flensburg einen gro-ßen Verlust erlitten hat." Es habe seiner Wesensart entsprochen, überall dort zu helfen, wo er meinte, daß er helfen mußte und helfen konnte. Dr. Kob habe so eine Arbeit geleistet, die in allen Kreisen uneingeschränkt Anerkennung gefunden hat. Zur Würdigung des Toten gehöre aber auch die Erinnerung an seine Dienste um die Eingliederung der Heimatvertriebenen. „Dr. Martin Kob ist nicht mehr", schloß der Stadtpräsident seine Ansprache. „Uns bleibt jetzt nur noch zu danken. Und dieser Dank gilt gleichermaßen dem Menschen, dem Arzt und dem Ratsherrn."

Im Namen der Ärztekammer und der ostpreußischen Ärzteschaft würdigte Dr. Schröder den Verstorbenen als einen Menschen, der in erster Linie Arzt war „und der keinen anderen Wunsch hatte, als Arzt zu sein." In diesem Sinne sei er der würdigste Nachfolger seines Vaters gewesen. „Wir alle können stolz auf Martin Kob sein; mit ihm haben wir einen farbenfrohen und vitalen Menschen verloren. Sein Ethos waren Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, phrasenlose Tapferkeit und Redlichkeit, gewachsen auf dem Boden der Liebe zu seiner ostpreußischen Heimat."

Der Sprecher des Bundes der Vertriebenen, Dr. Domabyl (Kiel), bezeichnete den Verstorbenen als „einen wahren Freund, begabten Mitarbeiter und leidenschaftlichen Verfechter alles dessen, was wir Heimat und Volk und was er selbst vor allem sein Ostpreußen nannte." Sein Tod habe eine große und schmerzliche Lücke hinterlassen. „Als einem Vorbild treuer Pflichterfüllung werden wir ihm ein dauerndes ehrendes Andenken bewahren."

In der Kapelle auf dem Friedenshügel waren etwa 250 bis 300 Trauergäste zusammengekommen, um von Ratsherr und Stadtrat Dr. Martin Kob Abschied zu nehmen. Ein Meer von Blumen und Kränzen umsäumte den Sarg, der vor dem Altarraum aufgebahrt war. Den einzigen Fahnenschmuck bildete der Stander der ostpreußischen Landsmannschaft, dessen Vorsitzender und Ehrenvorsitzender der Verstorbene war.

 

Superintendent Handtmann. Psalm 68, 20: Gelobt sei der Herr täglich. Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch.

Manche von Ihnen haben sich vielleicht gewundert, daß wir vorhin das Lied „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren" gesungen haben. Gehört dieses Lied in eine Trauerfeier? Wir Christen sind die einzigen Menschen auf der Erde, die an ihren Särgen nicht Klagelieder, sondern Lob- und Danklieder singen, weil sie an eine Auferstehung und an ein ewiges Leben glauben. Weil Sie das wissen, haben Sie, verehrte Frau Kob, dieses Lied für diese Stunde ausgesucht.

Wenn wir an unseren Entschlafenen denken, dann müssen wir sagen, daß dieses frohe Danklied seinem Wesen entsprach. Von ihm galt das Wort: „Das sind die Starken im Lande, die unter Tränen lachen, die eigenes Leid verbergen und andere glücklich machen!" Er hat zu den Starken im Lande gehört. Wir sahen ihn wirken in seiner großen Praxis als Arzt, wir sahen ihn eintreten für seine Schicksalsgenossen, die Heimatvertriebenen und für die Belange der Stadt Flensburg. Aber wir sahen ihn auch kämpfen gegen die tückische Krankheit. Das kluge Auge des Arztes erkannte, welchen schweren Weg er gehen mußte, und doch raffte er sich immer wieder auf, um zu den kranken Kindern im Franziskus-Hospital zu gehen, die er liebte und die ihn liebten. Kinder empfinden es dankbar, wenn ihnen ein gütiger, fröhlicher Arzt in ihrer Krankheit begegnet.

Wenn wir fragen, woher er seine Stärke nahm, dann können wir nur mit dem Bibelwort antworten: Die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft! Er schöpfte seine Kräfte aus dem Boden des christlichen Glaubens.

Von Euch sechs Kindern habe ich fünf in unserer Marienkirche zum Einsegnungsaltar geführt: Barbara, Martin, Erika, Trutz, Gisela. Gestern habe ich Eure Einsegnungssprüche herausgesucht. Ihr wißt, daß ich Euch damals bat, mit Euren Eltern zusammen Eure Einsegnungssprüche auszuwählen. Ich bin überzeugt, daß Euer Vater Euch bei eurer Wahl geholfen hat. Aus den fünf Sprüchen spricht eine starke Glaubensfestigkeit. Ich will sie nicht alle nennen, aber Deinen, Barbara, will ich erwähnen: Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Die Einsegnung war am 18. März 1951. Ihr wißt, wie es damals in Deutschland aussah. Viele hatten den Glauben über Bord geworfen, Hoffnungslosigkeit und Selbstsucht herrschte. Mit diesem Spruch wollte Euch Euer Vater sagen: Deutschland geht zu Grunde, wenn Glaube, Hoffnung und Liebe nicht bleiben. Mit diesem Wort haben wir Euren Großvater Bruno Behrend am 3. Januar 1962 zur letzten Ruhe geleitet.

Erika, Dein Spruch war: Glaubt an das Licht, solange ihr es habt, auf daß ihr des Lichtes Kinder seid. Liegt nicht über diesem Wort eine Todesahnung? Euer Vater nahm das Licht, so lange er konnte, aus Gottes Hand.

Mit Deinem Spruch, Gisela, wies Euer Vater auf die Kraft, die ihn in seinem Leben begleitet hat: Ich will Gottes Wort rühmen; auf Gott will ich hoffen und mich nicht fürchten. Gott hat ihm viele Lasten auferlegt. Er war mit seiner ostpreußischen Heimat verbunden. Leider verstehen diese Liebe zur alten Heimat heute viele nicht mehr. Während er noch an der Front war, sah er seine Heimat untergehen, erfuhr, daß sein geliebter Vater am 9. Mai, heute vor 23 Jahren, in Königsberg starb und daß bald darauf seine Frau mit vier kleinen Kindern - das fünfte trug sie unter ihrem Herzen - vor den anstürmenden Russen fliehen mußte. Für ihn war es ein Wunder, daß er seine Familie zusammenführen und hier eine erfolgreiche Arbeit beginnen konnte. Er hat es erfahren: Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch! Die schwerste Last haben Sie, verehrte Frau Kob, mit ihm zusammen getragen: das Jahr der Krankheit. Täglich sahen Sie, wie der starke Mann immer schwächer wurde. Und doch richtete er sich immer wieder auf. Seit Beginn seiner Krankheit sah er auf das Wort auf seinem Schreibtisch: „Arbeite so, als ob du ewig leben, und lebe so, als ob du morgen sterben würdest!"

Als ich ihn wenige Tage vor seinem Tode im Krankenhaus besuchte, gab ich ihm einen Vers Dietrich Bonhoeffers in die Hand, den er mit Aufmerksamkeit las und auf seinen Nachttisch stellte: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiß an jedem neuen Tag." Jetzt werden Sie und Ihre Kinder spüren, daß Sie von guten Mächten wunderbar geborgen sind. Sie werden dankbar sein, daß Sie Ihre Mutter bei sich haben. Als ich vorgestern bei Ihnen war, sagte ich Ihnen, verehrte Frau Behrend, das Bibelwort: Ich will dich trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Mit diesem Wort ehrt Gott die Mütter. Er sagt ja, daß er auch nicht besser trö-sten kann als sie. Es wird Ihre große mütterliche Aufgabe sein, dieses Trostamt auszuüben. Ihr sechs Kinder und Schwiegersöhne werdet Euren Vater nicht vergessen. Möget Ihr auch zu den Starken im Lande gehören, die unter Tränen zu lachen vermögen. Und wenn Ihr fragt: Warum ist uns unser Vater so früh genommen, dann mag Euch ein Vers trösten, der meinem Bruder, der auch Arzt war, kurz vor seinem Tode von unbekannter Hand zugesandt worden ist: „Und weiß du jetzt, warum dein Gott dich oft in Todestiefen mußte tragen? Weil er den vollsten, reinsten Ton noch nicht aus deines Lebens Erz geschlagen."

Ihr Geschwister, Freunde und Verwandte, ja wir alle, die wir unsern Dr. Martin Kob verehrt und geliebt haben, wir können nichts Besseres tun, als ebenso offen dem Leben und dem Tod gegenüber zu stehen wie er und uns sättigen lassen von den ewigen Quellen Gottes, von denen er gelebt hat.

Paul Schröder. Es ist eine seltsame Fügung, die es dem Verfasser aufgegeben hat, nach dem Vater nun auch dem Sohn einen Nachruf zu halten. Der Vater, einer der angesehensten Ärzte Ostpreußens, starb am an dem gleichen Tage (vor 23 Jahren), an welchem sein Sohn in Flensburg zu Grabe getragen wurde. Nicht nur das beschwört eine gemeinsame Erinnerung an Vater und Sohn, sondern auch sehr vieles andere. Sie sahen sich äußerlich beinahe zum Verwechseln ähnlich. Man hätte glauben können, der Vater wäre in dem Sohn Martin, der den gleichen Vornamen trug, wiederauferstanden und nicht nur äußerlich bestand solche Ähnlichkeit, sondern auch die hervorstechenden Eigenschaften, Interessen und Neigungen glichen einander verblüffend. Beide waren frohe Farbenstudenten im gleichen Bund gewesen, beide hatten das Fach der Kinderheilkunde als Berufsziel erwählt, beide hatten sich in Krieg und Frieden als ausgesprochen soldatische Naturen bewährt, beide waren nicht nur praktisch in ihrem Fach tätig, sondern leiteten auch eine klinische Fachabteilung in einem großen Königsberger Krankenhaus, wobei der Sohn die unmittelbare Nachfolge des Vaters antrat. Beide sahen in der eigenen Familie die höchste Erfüllung ihrer menschlichen Aufgabe, aber Pflichtbewußtsein und Begabung drängten sie, daneben noch andere Pflichten als Staatsbürger zu übernehmen. Der Vater als Präsident der Ärztekammer Ostpreußen, der Sohn als Ratsherr in Flensburg, um nur die wichtigsten Aufgaben zu nennen. Menschen ihrer Art waren selten und sind es noch. Es konnte daher nicht ausbleiben, daß man allenthalben ihre Hilfe und Mitarbeit begehrte. Sie galten, einer wie der andere, als Muster an Treue und Hingabe, an Zivilcourage und einem stark ausgeprägten Rechtsempfinden, das vom Vater bzw. Großvater stammen mochte, der sich als Kreisrichter in Masuren einen Namen gemacht hatte.

Man möge es verzeihen, wenn in diesem Gedenkwort für den Flensburger Dr. Kob so sehr die Gemeinsamkeit mit seinem Vater angesprochen wird. Aber der eine ist nicht ohne den anderen zu denken, und den, an dessen Grab wir jetzt stehen, würde nichts so freuen wie die Feststellung, daß er das Erbe des Vaters in würdigster Form fortgesetzt hat. Daß auch das Ende dieser beiden Männer ein ähnlich schmerzvolles und tragisches war, sei nur am Rande bemerkt. Unser Freund hier sah sich, noch ehe erhätte daran denken können, Feierabend zu machen, durch ein langes qualvolles Leiden nach und nach aus allen Bindungen seines Lebens herausgerissen, ohne die tröstliche Feststellung machen zu können, daß er sein Ziel bereits erreicht habe.

Wir, die um ihn trauern, fragen uns, warum das geschehen mußte und wir müssen mit den Hinterbliebenen an einer sinnvollen Lösung dieser Frage schier verzweifeln. Sollte uns vielleicht durch den besonders hohen sittlichen und menschlichen Wert dieses Mannes erschrekkend vor Augen geführt werden, daß wir es mit einem Mal begreifen: Wir sind nur Gast auf dieser Erde, wir haben hier nur eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen und dann abzutreten? Sollte uns auf so erschreckende Weise deutlich gemacht werden, daß wir als Kinder unserer Zeit Unrecht tun, den Tod aus unserem Bewußtsein zu verdrängen, nur immer auf Sicherheit und Lebensverlängerung aus zu sein und darüber Wichtigeres zu vergessen?

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß unser toter Freund und Kamerad sich auf seinem schmerzvollen Krankenlager dauernd selbst mit solchen Fragen beschäftigt und eine Bilanz seines Lebens zu ziehen versucht hat. Denn diese Eigenschaft, sich selbst Rechenschaft abzulegen, war ihm wesenseigentümlich. Dafür ein Beispiel. Vor einem halben Jahr starb in Perleberg sein jüngerer Bruder Hans, ebenfalls Arzt, plötzlich an einem Herzinfarkt. Erschüttert schrieb es der Bruder und aus diesem Brief klang deutlich der Stolz hervor, der den Schmerz um den Heimgegangenen milderte. Jener habe mancherlei Ehrung und Auszeichnung in seinem Lebenskreis erfahren. Wörtlich hieß es dann zum Schluß: „Er hat drüben die Stellung gehalten und behauptet. Wir sind stolz auf ihn."

Das entsprach genau Kob ´schem Familienbewußtsein. Darum wird er auch sich selbst mit der Frage gequält haben, ob sein eigenes Streben und Wirken auch eine derartige Würdigung finden wird. Es dürfte niemand in der großen Trauergemeinde geben, der nicht ohne Zögern bereit ist zu erklären: wir sind erst recht stolz auf u n s e r e n Dr. Kob.

Sein Ethos war Männlichkeit, phrasenlose Tapferkeit, Redlichkeit. Sein Denken war klar, seine Worte waren logisch und überzeugend. Überall strömte ihm Vertrauen entgegen. Kampf mit offenem Visier war ihm ein willkommenes Element, das seine Kräfte stärkte. Was er in die Hand nahm, war gut aufgehoben. Seine Liebe gehörte der Heimat, deren Verlust er nie verschmerzen konnte und deren Andenken er mit ganzer Seele zu dienen nicht müde wurde. Das Wort Fontanes aus der Ballade Archibald Douglas sollte auf seinem Grabstein stehen: „Der ist mit tiefster Seele treu, wer die Heimat liebt wie du!" Und alle diejenigen, die dem jähen Abschluß dieses reichen Lebens fassungslos gegenüberstehen, mögen an die Verse erinnert werden, mit welchen ostpreußische Ärzte sich und ihre Angehörigen über den Verlust der Heimat und der Gräber ihrer Lieben schon 1945 hinwegzutrösten versuchten:

Was vergangen, kehrt nicht wieder  aber ging es leuchtend nieder, leuchtet ´s lange noch zurück."

Vielleicht wurde ja aus den Mosaiksteinen dieser verschiedenen Fakten und Äußerungen so etwas wie ein Portrait unseres Vaters. Aber Martin und Anna Luise haben sich zu dem Portrait, das im Mitteilungsblatt der ostpreußischen Arztfamilie von ihrem Vater veröffentlicht wurde, zurückhaltend geäußert. Martin formulierte, daß es „nicht ganz tatsachengetreu aber brauchbar für die Familie, die ihre Vorfahren in liebevollem Lichte sehen will" sei. So dürfen wir annehmen, daß einige Fakten nicht zutreffend geschildert sind und daß auch die „Ecken und Kanten" des Großvaters nicht deutlicher beschrieben wurden. „Starke" Persönlichkeiten sind ja nicht immer nur lieb und haben auch nicht nur Freunde. Sicher gilt das auch für das Portrait, das jetzt hier von unserem Vater gezeichnet wurde. Doch haben wir Menschen nicht alle diese und jene Seiten an unserem Charakter? Und tut es einem Menschen einen Abbruch, wenn auch das nicht verschwiegen wird? Ich denke nein. Das gehört dazu. Unser Vater hat das sicher nicht anders gesehen.

 

14/6 Martin Ludwig Konrad Kob 1908 - 1967 <<< Gisela Anna Henriette Martha Behrend

 

13. Mutter in schwerer Zeit: Gisela Kob

Gisela Kob war eine liebevolle und starke Frau. Auf den ersten Blick schien sie so ganz von Freundlichkeit und Sanftmut geprägt. Aber ihre Sanftmut war nicht Schwäche, sondern „bohrende Sanftmut", wie ihr Sohn Martin das formuliert. Und stark mußte man sein oder wurde man, wenn man mit vier Kindern zwischen acht und vier Jahren ein halbes Jahr auf der Flucht war und das fünfte dabei noch zur Welt und ans Ziel brachte. Stark war sie aber auch als Frau neben dem vielbeschäftigten Mann, die einen großen Haushalt führte, die Kinder großzog, ihm auf mancherlei Weise den Rücken frei hielt und auch noch Geschäftliches der Arztpraxis erledigte. Sie hat übrigens einmal erzählt, daß sie, als Bärbel geboren war, vier Monate einen Neffen oder Enkel von Pfarrer Stachowitz (Leiter der Diakonissenanstalt der Barmherzigkeit) mitgestillt habe. Es gibt in der Familie auch die Überlieferung, daß Gisela das Mutterkreuz, das ihr als kinderreicher Mutter verliehen werden sollte, abgelehnt habe. Dieser Orden war ja von den Nationalsozialisten zur Nachwuchsförderung geschaffen worden. Und so verstand sie sich nicht.

Von ihren Vorfahren mütterlicherseits ist wenig bekannt. Der Großvater Albert Tolksdorf war Bauunternehmer in Tilsit gewesen und hatte sich wohl nicht viel um die Familie gekümmert. Gisela erinnerte sich, daß in ihrer Kindheit einmal ein Mann aufgetaucht sei, der wohl ihr Großvater gewesen sei. Die Großmutter Henriette Urban war vom Dorf. Klischwethen, Jurgaitschen, Groß Thaurothen, so hießen die Dörfer ihrer Kindheit; vergangene, schöne Worte und Namen. Von dort hatte sie einen tiefen Aberglauben mitgebracht, von der schwarzen Katze usw., aber auch alte Hausmittel. Als jemand einen größeren Splitter unter der Haut hatte, holte sie jeden Tag frischen Kuhfladen und legte ihn auf. Tatsächlich kam irgendwann der Splitter heraus. Ihre Tochter Martha hatte es zu Hause schwer gehabt. Die Mutter war streng und hatte die Beaufsichtigung der kleineren Schwester Martha übertragen. Stellte die Kleine etwas an, bekam ´s die Große mit dem Reisigbesen. Diese Ungerechtigkeit hat Martha nie vergessen. Eine Katastrophe muß es gewesen sein, als die Kleine mit sieben Jahren an einem Gehirnschlag starb. Der Pfarrer war es, der Martha dann die Ausbildung zur Erzieherin und Kindergärtnerin vermittelte. Nach der Ausbildung war sie in einem adligen Haus als Erzieherin tätig. Auf jeden Fall muß sie bei den Kindern gut angekommen sein, denn diese hielten Kontakt noch bis lange nach dem 2. Weltkrieg. Ihr ein und alles waren dann ihr einziges Kind Gisela und deren Familie. Vielleicht trug dazu bei, daß ihr Mann wohl zumindest nach dem 2. Weltkrieg auch eine Bekanntschaft in Hamburg hatte. Vielleicht war es auch umgekehrt.

Gisela war einziges Kind gewesen, und die Mutter war ganz auf sie fixiert, bis beider Leben kurz nach einander endete. Die Mutter im Haushalt, das bedeutete Entlastung. Und deshalb haben sie und Martin immer betont, wie wichtig das in schwierigen Zeiten war. Die Mutter bis ins eigene Alter im Haushalt, das bedeutete aber auch, daß Gisela, selbst als sie Witwe war und die Kinder aus dem Haus, nicht wirklich frei war. Bis kurz vor ihrem eigenen Tod stand dem die Sorge und die Verantwortung für die Mutter im Wege. Als Kind hatte sie einen Unfall auf dem Spielplatz mit einer Wippe, die ihr in den Bauch schlug und innere Verletzungen hervorrief. Als Folge mußte ihr die Milz entfernt werden. Nach der Geburt von Erika bekam sie ein Gelenkrheuma, in dessen Folge sich ein Herzklappenfehler einstellte, der sie ihr weiteres Leben lang beeinträchtigte. So war sie gesundheitlich meist angeschlagen und mußte schon in jüngeren Jahren öfters zur Kur. Auch später plagten sei weiter zusätzliche Krankheiten, so in den siebziger Jahren eine Hautkrankheit, die einen längeren Aufenthalt in Kiel notwendig machte, oder 1979 eine Operation, vor der sie große Sorgen hatte. Wie wir erfuhren, wurde aber „nur" eine Geschwulst entfernt, die sich als Neben-Milz gebildet hatte. Mit der Wundheilung hat sie aber lange zu tun gehabt.

Neukuhren

Martin Kob und Gisela Behrend haben sich im Kurhaus von Neukuhren kennen gelernt. Die Kobs hatten dort ein Sommerhaus. Die Behrends machten dort Urlaub. Sonnabends war im Kurhaus immer Ball. So lernte man sich kennen. Für Giselas ältere Kinder ist Neukuhren mit dem Ferienhaus der Familie zudem bis heute die wichtigste Erinnerung an die alte Heimat. Hatten sie doch dort mit Mutter und Großmutter Sommer und Herbst des Jahres 1944 verbracht, in Sicherheit gebracht aus der Großstadt. So hatten sie die schweren Luftangriffe im August 1944 nicht unmittelbar erlebt. Während des Aufenthaltes im Jahre 1944 in Neukuhren sind die großen Kinder dort auch in die Schule gegangen. Die Lehrerin war Frau Sack. Trutz erinnert sich an einen Sanitätskrankenwagen (Sanka) vom Typ Kübelwagen. Im Wäldchen in der Nähe des Grundstücks war ein einfacher Bunker, bestehend aus einer Grube mit Baumstämmen darüber, ausgehoben worden. Er sollte wohl den Soldatenfamilien in der Nähe dienen. Beim großen Angriff auf Königsberg fand die Familie dort Unterschlupf, als die britischen Flugzeuge von der Ostsee kommend über Neukuhren flogen und zu sehen waren. Auch konnte Bärbel von dort aus die sog. Tannenbäume in der Luft über Königsberg sehen. Am nächsten Tag war der Himmel in Richtung Königsberg rot und schwarz. Das Kindermädchen Gerda mußte nach Königsberg, um dort aufräumen zu helfen. Martin kann sich auch an einen Luftangriff in Königsberg erinnern. Bärbel erinnert sich an mehrere solcher Angriffe. Es habe sich immer angehört, als wenn Kugeln gegen Fenster rollen.

 

Das Grundstück in Neukuhren wurde 1927 von Martin Kob sen. erworben. Es hatte die Größe von einem Morgen (preußischer Morgen = 2553 qm). Auf ihm stand ursprünglich ein Sommerhaus, dem in den dreißiger Jahren ein zweites für die junge Familie hinzugefügt wurde. Die in der Familie existierende kolorierte Zeichnung des ersten Hauses (die wohl erst nach dem Kriege angefertigt wurde) ist insofern nicht ganz korrekt, als die Fenster an der linken Seite rechteckig waren und bis heute sind. Die Lage des Grundstücks läßt sich nach dem in unserem Besitz befindlichen Meßtischblatt 1087 vom Jahre 1908 mit teilweisen Nachträgen von 1922 und 1937 feststellen. Kam man von Rantau nach Neukuhren auf der entsprechenden Landstraße und bog nach Beginn der damaligen Bebauung die zweite Straße rechts ein, so verzeigte sich diese bald. Man folgte dem linken Fahrweg in Richtung Küste. Gleich linker Hand war ein Grundstück mit mehreren Gebäuden. Dem folgte das auf der Karte unbebaute Kob ´sche Grundstück. Dahinter in Richtung Wasser schloß sich wieder ein bebautes Grundstück an, auf dem das von Martin sen. so benannte „Nußknackerhaus" stand. An der Straße von Rantau standen vor dem eigentlichen Ort Neukuhren in den dreißiger und vierziger Jahren nördlich Kasernen, südlich lag der Flugplatz.

Wie war das wohl damals in Neukuhren? Marianne Peyinghaus hat in ihren Erinnerungen „Stille Jahre in Gertlauken" geschildert, wie sie am 1. Mai 1943 Neukuhren erlebt hat. „Ich wartete noch den nächsten Zug ab und fuhr dann allein vom Nordbahnhof mit der Samlandbahn nach Neukuhren. Neukuhren ist ein hübscher Ort mit vielen Villen, doch alles voll belegt, und es dauerte ein Weilchen, ehe ich ein Privatzimmer bekam. Dann spazierte ich noch ein Stück die Uferpromenade entlang und blickte von der Steilküste auf die Ostsee. Danach stattete ich dem kleinen Hafen einen Besuch ab, doch da es windig und kalt war, verzog ich mich bald in mein Zimmer und ins Bett. Dienstagmorgen unternahm ich eine lange Wanderung zur Wanger- und zur Loppöhnerspitze, immer das Meer und den Küstenstreifen bis Brüsterort vor mir. Es gibt dort viele Soldaten, die ihre Verwundungen auskurieren. Ein junger Unteroffizier bat, sich mir anschließen zu dürfen. Da er mit Vornamen Wolfgang hieß und ein freundlicher und höflicher Mensch war, hatte ich nichts dagegen. Es machte sogar mehr Spaß zu zweit. Nach dem Mittagessen fuhren wir nach Warnicken und wanderten an der dortigen Steilküste entlang über Rauschen nach Neukuhren zurück. Das Ufer ist ein schmaler Streifen mit feinem Sand und dicken Felsbrocken, manchmal von kleinen Einschnitten zerrissen, dazu immer die weißen Wellenkämme und das ständig wechselnde Farbenspiel des Wassers, je nachdem ob die Wolken ziehen oder die Sonne auf dem Meer glitzert. Am Mittwochmorgen fuhr ich allein nochmals nach Rauschen. Dort gibt es einen großen Mühlteich, mehr ein kleiner See, wunderschöne Parkanlagen und natürlich viel Wald. Und immer wieder die Aussicht von der Steilküste aufs Meer, unbeschreiblich."

Die Flucht

Bei den Familientreffen 2005 und 2006 gab es längere Gespräche unter den Geschwistern über den Fluchtweg und die Umstände der Flucht. Verschiedene Erinnerungen wurden wiedergegeben und mit Erzählungen von Nina Löhr zusammen gebracht. Ergänzt um Informationen, die ich noch gesammelt habe, ergibt sich nun das folgende Bild.

Am 16.Oktober 1944 begann der russische Angriff auf Ostpreußen, der zunächst abgewehrt werden konnte. Gauleiter Koch ließ wenigstens in einem dreißig Kilometer breiten Streifen hinter der Front die Flucht der Zivilbevölkerung zu. Mutter Gisela hat uns auf unsere Frage einmal die ihr in Erinnerung gebliebenen Fluchtdaten aufgeschrieben: Weggang aus Neukuhren 17.10.1944; Weggang aus Driesen 26.1.1945; Weggang aus Spantekow 10.3.1945; Weggang Güstrow 17.3.1945; Ankunft Flensburg März 1945. Gisela Kob durfte also, vielleicht als Kinderreiche - vielleicht als aus Königsberg Evakuierte, Ostpreußen zu einem Zeitpunkt verlassen, als dieses akut gefährdet war, aber die allgemeine Bevölkerung die Heimat noch nicht verlassen durfte.

Die Familie hatte als Treffpunkt für nach dem Kriege Flensburg verabredet, weil dort in der Mathildenstraße ein früherer Bursche von Martin sen. wohnte. Der wollte aber dann von den Kobs nicht viel wissen. Es gab wohl auch irgendeine Absprache mit Brosowskis in Thüringen. Die Familienmitglieder hielten brieflich Kontakt, denn die Post funktionierte bis zuletzt. Bei der Abreise aus Neukuhren am 17.10.1944 fuhr außer Mutter Gisela (hochschwanger), den vier ältesten Kindern und Martha Behrend auch das Hausmädchen Anna oder Olga aus Bialystok mit.

Martin erinnert sich, daß sie in einem Ort Kreuz für eine Nacht Unterkunft in einer Eisdiele gefunden hätten. Bärbel erinnert sich an eine Eisdiele. Kreuz war ein 1701 gegründetes „Holländerdorf", also im Zusammenhang mit der Urbachmachung des Netzebruches entstanden. Der Ort mit schließlich 5.200 Einwohnern trug im Laufe der Zeit verschiedene Namen, so Lukatz, mit dem Bau der Eisenbahn 1875 Lukatz-Kreuz und 1936 Kreuz/ Ostbahn. Da wurde er auch Stadt. Er ist ungefähr auf der Mitte zwischen Schneidemühl und Landsberg (Warthe) gelegen, an der sogenannten Ostbahn, der Verbindung von Königsberg nach Berlin. Heute ist es polnisch Krzyz. Es war ein Eisenbahnknotenpunkt, von hier ging es auch über Stargard nach Stettin und nach Posen. Kreuz lag an der Reichsgrenze auf östlicher Seite. Wie die Familie von Kreuz nach Driesen kam, ist nicht bekannt.

Driesen wurde 1091 erstmals erwähnt anläßlich einer Schlacht der Polen mit den verbündeten Pommern, Prußen und Kaschuben. Im 15. Jahrhundert gehörten Burg und Stadt dem Deutschen Ritterorden, der es 1455 an Brandenburg verkaufte. Dann war es Festung und schließ-lich eine Kleinstadt mit Amtgericht. Heute ist es polnisch Drezdenko. Driesen war ein Ort mit 6.000 Einwohnern, nordöstlich von Landsberg an der Warthe gelegen; nicht an der Eisenbahnlinie Königsberg-Berlin, aber mit Bahnverbindung nach Schwerin (Warthe); von Osten kommend war es der erste größere Ort in Brandenburg und damit im eigentlichen Deutschen Reich. Das Quartier in Driesen hatte Bruno Behrend besorgt. In Driesen haben die Kobs zuerst oben in einer Gastwirtschaft gewohnt und konnten dann eine Wohnung beziehen, vor allem wegen des Kindergeschreis. Gisela Kob wurde am 6.11.1944 in Schwerin (Warthe) geboren. Schwerin, heute polnisch Skwierzyna, hatte damals 7.000 Einwohner. Hans Joachim Kob war seit 1.4.1936 in Schwerin Oberarzt gewesen. Da er Berufssoldat war, dürfte hier ein Militärkrankenhaus gewesen sein. Olga Kob geb. Sipli lebte 1944 noch in Schwerin. Hier ist 1940 auch Jürgen Kob geboren worden Hieraus und aus der Eisenbahnverbindung könnte sich auch erklären, daß Gisela zur Entbindung nicht in das größere Landsberg sondern in das kleinere Schwerin ging. Weihnachten 1944 hat Anna Luise Kob, die von Greifswald nach Königsberg gefahren war, von dort mit Martin Kob in Driesen einen Besuch gemacht. Bärbel hat auch noch in Erinnerung, daß man dort noch verschiedene wertvolle Sachen wie eine Nähmaschine und Teppiche bei sich hatte. Auch habe es ein Treffen mit Großvater Bruno Behrend in Driesen oder Stettin gegeben, bei dem dem Großvater der Koffer mit dem Silber übergeben wurde. Die Abreise erfolgte am 26. 1.1945, als schon Geschützdonner zu hören war, wie Martin sich erinnert. Dazu ist zu bemerken, daß zwei Tage später, am 28.1.1945, russische Panzer bei Filehne über die Netze gingen. Driesen lag etwa 25 km westlich von Filehne. Bedeutsam ist auch, daß am gleichen Tage russische Truppen ebenfalls 25 km genau südlich von Driesen bei Birnbaum standen. Im Norden lag die Front noch weiter östlich bei Schneidemühl, also etwa 70 km nordöstlich von Driesen. Das bedeutete, daß die Route von Kreuz nach Stettin sicherer war als die von Kreuz nach Küstrin. Kreuz, von wo aus es vermutlich nach Norden ging, lag aber nur noch gut 15 km von der Front entfernt. Also mußte die Familie erst 10 km in Richtung Front fahren, um dann sicher mit viel Glück, einen Zug nach Nordosten zu bekommen. Es war also eine höchst dramatische Situation, und die Familie kam erst in letzter Minute vor der Front weg. 5 Tage später, am 1. Februar standen sowjetische Truppen bereits bei Landsberg/Warthe und einen weiteren Tag später vor Küsterin. So schnell ging das. Warum es nicht früher nach Westen gegangen war, ist nicht bekannt. Wollte Gisela in Schwerin entbinden? Wollte sie nicht schneller nach der Geburt weiterziehen? Durfte sie nicht früher weg? Kamen die Russen auf einmal sehr schnell? Wir wissen es nicht, und es ist ja gut gegangen.

Bruno Behrend war vom 12.5.1944 bis 8.2.1945 Kommandeur des Streifendienstes im Wehrkreis II Stettin. Deshalb ist es möglich, daß es Gisela von Driesen zunächst zu ihrem Vater nach Stettin zog, zumal die Eisenbahnstrecke von Kreuz nach Nordwest-Deutschland über Stettin kürzer war als über Küstrin.

Spanteckow war schon eine slawische Befestigungsanlage, dann pommersche Festung und schließlich eine Schloßanlage mit dazugehörigem Ort. Bis 1945 war das Gut im Besitz der Familie von Schwerin. An Spanteckow gibt es verschiedene Erinnerungen: daß man in einem Nebengebäude des Schlosses untergebracht war (Bärbel); an eine Fahrt mit dem Pferdefuhrwerk (Bärbel); an einen Transport mit einem Ochsenschlitten (Martin); daß sie Rübenschnitzel zu essen bekommen haben (Martin); daß sie von französischen Fremdarbeitern in der Scheune Schokolade geschenkt bekommen haben. Spantekow war ein Ort mit 525 Einwohnern in der Nähe von Anklam. Bahnanschluß gab es im 4 km entfernten Dennin mit Verbindung nach Anklam und über Friedland nach Neubrandenburg. Um Spantekow zu erreichen, mußte man also über Anklam oder Friedland den Bahnhof Dennin erreichen und mit dem Fuhrwerk noch etwa 2 bis 3 km fahren. Welchen Weg die Familie genommen hat, wissen wir nicht. Vielleicht war in der Familie aber auch noch bekannt, daß im 19. Jahrhundert August Rudolf Hermann Kob ( + 1871) als Arzt in Spanteckow gelebt hat.

Von Spanteckow ging es am 10.31945 wieder weiter. Die nächste Station war Güstrow. Martin erinnert sich an einen Luftangriff in Neubrandenburg. Bärbel erinnert sich, daß sie sich in einem Zug befunden hätten, der von Flugzeugen angegriffen wurde. Da hätten sie Schutz unter den Eisenbahnwagen gesucht. Sie hätte große Angst gehabt und sich vor Angst in die Hose gemacht hatte. Das Schlimme sei gewesen, daß sie keine Wäsche zum Wechseln gehabt habe. Neubrandenburg, südwestlich von Spantekow gelegen, war eine Stadt mit 15.000 Einwohnern und ebenfalls Eisenbahnknotenpunkt; von hier kam man nach Stettin, Berlin, Lübeck und Stralsund. Es hätte also an der Strecke von Stettin nach Westen gelegen, aber auch die Möglichkeit eröffnet, über Berlin nach Rudolstadt zu kommen. Zwar weiß ich, daß die Behörden alles unternommen haben, um die Flüchtlingsströme um Berlin herum zu leiten. Aber vielleicht hat Gisela ja trotzdem den Versuch unternommen, wie sich Bärbel erinnert, und der dann nach Martins Erinnerungen wegen des Luftangriffs in Neubrandenburg scheiterte, so daß sie nach Schleswig-Holstein umgeleitet wurden. Es ist aber auch denkbar, daß sie von dort aus den direkten Weg nach Westen suchte, denn die Front verlief inzwischen an der Oder. Die Russen standen bei Stettin. 80 km südöstlich.

Güstrow, nordöstlich von Neubrandenburg gelegen, war eine Stadt in Mecklenburg mit 25.000 Einwohnern, die Stadt des bedeutenden Bildhauers Ernst Barlach. Über Güstrow mußte man fahren, wenn man von Neubrandenburg nach Lübeck oder Rostock wollte. Von Spantekow aus war der Weg über Neubrandenburg-Güstrow nach Lübeck auch der kürzere als der über Anklam, Greifswald, Rostock. Von Güstrow ging es am 17.3.1945 weiter.

Das muß recht zügig verlaufen sein, denn am 21. März 1945 kam man in Flensburg an. In Flensburg wurde man zunächst in ein Lager in der Schule von Mürwik gebracht und dort mit einer schrecklichen Brühe entlaust und desinfiziert. Dazu hatten sie die gesamte Kleidung abzulegen, die ebenfalls desinfiziert wurde. Dem fiel Giselas kostbarer Pelzmantel zum Opfer, denn nach der Desinfektion verlor er seine Haare. In der damaligen Zeit ein herber Verlust.

Es spricht also alles dafür, daß der Fluchtweg der Familie Kob von Neukuhren über Königs-berg, Elbing, Dirschau, Schneidemühl, Kreuz, Stettin, Spanteckow, Neubrandenburg, Güstrow, Lübeck und Kiel nach Flensburg führte.

Erinnerungen

In Flensburg wohnte die Familie zunächst bei Frau Ulldall, Gertrudenstraße 1 Parterre. Danach im Marienhölzungsweg 79 mit einem Zimmer im Hermann-Löns-Weg, anschließend im Nachbarhaus Marienhölzungsweg. Es folgte Wohnraum in der Wrangelstraße 4 und anschließend wieder Gertrudenstraße 1. 1. Stock. Dann wohnte sie im eigenen Haus in der Heinrich-Schuldtstraße 5. Zuletzt wohnte Gisela Kob mit Martha Behrend in der Thomas-Mann-Str. 1. Die Praxis war ebenfalls im Marienhölzungsweg, in der Wrangelstraße 4, in der Gertrudenstraße 1 und schließlich in der Bergstraße 9.

Auf ein altes Blatt Notenpapier, eigentlich einem Zettel, hatte sie einen Vers von Dietrich Bonhoeffer aufgeschrieben:

Von guten Mächten wunderbar geborgen Erwarten wir getrost, was kommen mag, Gott ist mir uns am Abend und am Morgen Und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

Letzte Wochen

Bis zu ihrem Tode hatte sie noch Kontakt mit einigen Schulkameradinnen vom Hufen-Lyceum in Königsberg. Noch im Oktober 1983 gab es ein Treffen, in dem sie fröhlich und munter wirkte. Aber wenige Wochen später sagte sie uns am Telefon, daß sie Advent und Weihnachten mit ihrer Mutter in Flensburg nicht mehr packen würde. Beide kamen dann nach Frankfurt. Omi Behrend war kaum verändert aber sehr alt geworden. Mutter Gisela wurde kraftlos. Beide fühlten sich aber wohl. Am Heiligen Abend gingen wir mit Mutter Gisela in die Dorfkirche in Nieder-Eschbach zum Gottesdienst. Dann war Bescherung, wie bei uns üblich. Am 1. Feiertag brach dann Omi Behrend aus heiterem Himmel zusammen und wurde bewußtlos. Wir brachten sie ins St. Markus-Krankenhaus, wo sie noch zwölf Tage im Koma lag. Mit den Ärzten hatten wir, d. h. Mutter Gisela, Bärbel und ich ein ruhiges und gelassenes Gespräch, in dem wir vereinbarten, daß keine lebenserhaltenden Maßnahmen getroffen werden sollten. Täglich besuchten wir Omi. Am 6.1.1984 starb sie. Die kirchliche Trauerfeier fand auf dem Bornheimer Friedhof in Frankfurt statt. Die Trauerfeier hielt der mir gut bekannte Pfarrer Michael Frodien mit einfühlsamen Worten. Omi Behrend wurde dann eingeäschert und die Urne nach Flensburg gebracht. Mutter Gisela baute mehr und mehr ab, konnte nicht mehr essen und schlucken und hatte ständige Schmerzen im Oberbauch und Brustkorb. Ich ging mit ihr zu einem Internisten, mit dem sie ein langes Gespräch führte, über das wir aber nicht so recht etwas erfuhren. Sie äußerte dann nur den Wunsch, nach Flensburg zu kommen. Da eine Eisenbahnfahrt oder eine Fahrt mit unserem VW-Bus zu beschwerlich gewesen wäre, brachte ich sie mit dem, von einem Kollegen geliehenen Pkw, nach Flensburg. Mir ist noch in Erinnerung, wie wir in der Autobahn-Raststätte Allertal einkehrten. Ich aß etwas, sie versuchte sich an einer Tasse Hühnerbrühe und brachte keinen Schluck herunter. In Flensburg war es ein trister Abend. Als ich am Morgen wieder abfuhr, stand sie am Fenster und winkte. Es war das letzte Mal, daß ich sie sah. Zu Hause angekommen, erfuhr ich, daß sie im Krankenhaus wäre. Aber ich mußte schon wieder aus traurigem Anlaß verreisen. Die ältere Schwester meines Vaters war in Berlin gestorben. So fuhr ich mit Arndt über Nürnberg, wo wir meinen Vater und seine Frau einluden, nach Berlin. In Berlin erreichte mich die telefonische Nachricht, daß Mutti Bauchspeichel-drüsenkrebs im fortgeschrittenen Zustand hatte. Das hat uns sehr erschüttert.

 

Als ich nach ihrem Tod den Nachlaß ordnete, stieß ich auf eine Reihe von Mitgliedschaften oder Förderungen, die ihre Interessen und ihre Bereitschaft, gemeinnützige Einrichtungen zu unterstützen, zeigen: Mildred-Scheel-Kreis, Deutscher Frauenring e. V. Flensburg, Deutsches Rotes Kreuz, Deutsche Kulturgesellschaft Flensburg, Volksbund Deutsche Kriegsgrä-berfürsorge, Schleswig-Holsteinisches Landestheater, Stadttheater Flensburg, Ev.-Luth. Diakonissenanstalt Flensburg, Kreisverband der vertriebenen Deutschen, Landsmannschaft Ostpreußen, Deutsche Krebshilfe, Hilfe für Frauen in Not e.V. Flensburg und auch zwei Bausteine für die Errichtung der Erinnerungsstätte „Albatros-Rettung über See".

14/7 Gisela Anna Henriette Behrend 1915 - 1984 <<< 14/6 Martin Ludwig Konrad Kob 1908 - 1967

 

14. Soldat und Lungenfacharzt: Hans Joachim Kob

Er hat das Abitur Ostern 1928 gemacht und das Staatsexamen Januar 1934. Anschließend war er Medizinal-Praktikant in Loetzen. Nach 5 Monaten Dienstzeit im Inf.-Rgt.1 trat er zum aktiven Sanitäts-Offizierskorps über, wurde am 1. Aug. 1935 Assistenzarzt des Reichsheeres in Allenstein, am 1.4.1936 Oberarzt in Schwerin/Warthe. Nach dem Krieg war er Medizinalrat und zuletzt Lungenfacharzt Perleberg. In Allenstein diente er bei den Ulanen. Im Krieg soll er aufgefordert worden sein, Dienst in Konzentrationslagern zu tun. Er habe dies abgelehnt und sei an die Front gekommen. Hier war er unter General Paulus in Rußland, auf der Krim und in Frankreich unter Generalfeldmarschall Rommel. Eine Habilitationsarbeit in der Lungenfor-schung blieb bei Prof. Steinbrück (Charité/Berlin-Buch) im Schreibtisch. Nach dem Krieg war er in Rostock, Treuenbrietzen, Perleberg und Wittenberge als Fachoberarzt, auch operierend, und stellvertretender Amtsarzt tätig. Er war nicht in der NSDAP, da Berufssoldat und Burschenschafter ( Anna Luise Löhr).

Hans Kob hatte mit Klaus Sipli studiert und dadurch Olga Sipli kennen gelernt, die er dann heiratete. Die Heirat brachte Komplikationen. Der Konkurrent von Martin Kob bei der Genehmigung der Niederlassung als Kinderarzt war ein Dr. Seitz, der engagierter Nationalsozialist war. Seitz war (seit 1933?) der Intimfeind von Martin Kob sen. Olga Sipli wieder war aber mit Frau Seitz eng befreundet. So erklärte Martin sen., daß er nicht zur Hochzeit von Hans kommen werde, wenn Seitz dabei wäre. Zur Hochzeit kam dann nur Frau Seitz.

 

14 Hans Joachim Kob 1910 - 1966 <<< 14 Olga Sipli 1910 - 1975

15. Pfarrer der Familie: Gottfried Handtmann

 

Ein treuer Freund und Begleiter der Familie in der Zeit nach dem Krieg war Superintendent Handmann (* 20.11.1891, im Ruhestand 1965, + 1985). Gottfried Handtmann war Pastor in Stettin bei der Inneren Mission gewesen, Superintendent des Kirchenkreises Kolberg und dort Pfarrer an der St. Mariendom-Kirchengemeinde, wohnhaft Hans-Schemm-Str. 14. Und nach dem Krieg war er schließlich Pastor an St. Marien in Flensburg, in dessen Gemeindebezirk die Kobs wohnten. Zu Dingen, die in meiner Familie erhalten sind, gehört zufällig die Nr.35 der Kirchenzeitung „Pommersche Heimatkirche" vom 28.August 1938. Dort wird zum 46. Jahresfest des pommerschen Provinzialverbandes für die Berliner Missionsgesellschaft in Kolberg vom 4. - 6. September 1938 eingeladen und die Festordnung abgedruckt. Superinten-dent Handtmann hielt als Gastgeber an zwei Tagen die Liturgische Morgenfeier im St. Mariendom. Wichtigster Gast mit dem Festgottesdienst im Dom und Vorträgen zu den Themen „ Die Stunde der Mission im Umbruch des Ostens" und „Ist der gegenwärtige Vormarsch des Islam aufzuhalten?" war Missionsdirektor D. Knak aus Berlin. Warum ich das erwähne? Knaks Tochter Renate war meine Querflötenlehrerin. So bin ich einige Jahre in der Knakschen Villa in der Berlin-Lichterfelder Augusta-Straße ein und ausgegangen, habe in Hauskonzerten musiziert und die museumsartige Atmosphäre mit den vielen Mitbringseln aus fernen Ländern etwas merkwürdig gefunden

In einem Sammelbändchen mit Predigten ehemals pommerscher Pastoren in schwerer Zeit ist eine Predigt Handtmanns vom 2. Juli 1948 in Stade abgedruckt. Sie sagt viel über die Befind-lichkeit der Heimatvertriebenen in dieser Zeit aus: „Gott sprach zu Abraham: "Gehe aus deinem Vaterland und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. - und ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein!" 1. Mose 12, 1,2 Liebe Gemeinde!

Auf meinem Schreibtisch in Flensburg stehen zwei Bilder vom Kolberger Dom. Das eine zeigt den Außenbau mit seinem gewaltigen Turm und dem breiten Dach, das andere das Innere mit dem Blick auf den Altar. Im Vordergrund sieht man die Schlieffenkrone, dahinter den siebenarmigen Leuchter und über dem Altar die große Kreuzigungsgruppe. Sind wir nicht im Wachen oder Träumen alle, die den Kolberger Dom kannten, immer wieder dort? Wenn wir uns daran erinnern, dann klingen die alten Glocken, wir hören das Tönen der Orgel, und vielleicht wird bei solcher Erinnerung manches Wort der Predigt wach, das wir dort gehört haben. Alle, die ihre Heimat verloren haben, merken in solcher Stunde, wie stark sie mit ihrer Kirche verbunden sind. Sie sind dort getauft, konfirmiert und getraut worden und haben in Freude und Leid Gottes Wort gehört.

Wenn wir uns nun heute in dieser alten Kirche in Stade versammeln, dann mag jeder für einen Augenblick die Augen schließen und sich in seine Heimatkirche versetzt glauben. Wir sangen unsere alten Lieder und unsere Heimatliturgie, und es umfängt uns für kurze Zeit ein langent-behrtes Heimatgefühl. Doch dieses Gefühl kann uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Wort, das Gott einst zu Abraham gesprochen hat, auch zu uns kam: „Gehe aus deinem Vater-land und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause." Wenn wir uns an die Stunde erinnern, in der dieses Wort zu uns kam, dann sehen wir deutliche Bilder vor uns. Wir sehen die Stadt und den Dom in Rauch und Flammen, wir stehen nächtelang frierend am Hafen und warten, bis sich kleine Schiffe unter dem Beschuß der Russen in den Hafen wagen, um uns herauszuholen. Andere erinnern sich an die Wanderung am Strand entlang, oder an die harten Zeiten, die sie unter Russen und Polen erlebten. Die Stunde schlug für uns alle: wir mußten die Heimat verlassen.

Doch wir sind hier nicht zusammengekommen, um wehmütigen Erinnerungen nachzugehen. Wir hörten ja, daß der Befehl von Gott kam: „Der Herr sprach zu Abraham." Wäre es nicht gut, wenn wir statt Abraham unseren eigenen Namen einsetzten? Wir müssen es jetzt lernen, daß wir unter einem Befehl standen. Wir haben uns unseren Weg nicht gesucht. Aus der Heiligen Schrift wissen wir, daß Gott öfter unbequeme Befehle gibt. Zu Petrus sagt der Herr Jesus: „ Ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst." Das erlebten wir auch: Wir wur-den geführt, wohin wir nicht wollten.

Der Auszug aus seinem Vaterlande war Abraham befohlen. Doch Gott fügte hinzu: „.... in ein Land, das ich dir zeigen werde." Wir sind als Heimatvertriebene in Länder zerstreut worden, die wir nicht gesucht haben. Viele von uns sind Menschen begegnet, die oft kalt und unfreund-lich waren. Viele von uns sagen auch heute noch: „Hier können wir nicht heimisch werden! Wir spüren auf Schritt und Tritt, daß wir in der Fremde sind!" Können wir es nicht lernen, das Land, in das wir gekommen sind, mit anderen Augen anzusehen, wenn wir wissen, daß Gott es uns gezeigt hat? Wir werden dann bestimmt das eine oder andere entdecken, das hier gut und liebenswert ist. In der alten Heimat haben wir gern das Lied gesungen: „So nimm denn meine Hände"; nun hat Gott uns bei den Händen genommen und dorthin geführt, wohin wir nicht wollten. Darum wollen wir nicht mehr darüber klagen. Wir standen ja unter einem Befehl.

Wenn Gott uns geführt hat, dann liegt darin immer ein tiefer Sinn. Ein deutscher Soldat, der die Kämpfe um Stalingrad mitgemacht hat, hat die Verse geschrieben:

Erscheinen meines Gottes Wege mir seltsam, rätselhaft  und schwer, und geh ´n die Wünsche, die ich hege, still unter in  der  Sorgen  Meer will trüb und schwer der Tag zerrinnen, der mir nur Schmerz und Qual gebracht, so will ich mich auf eins besinnen, daß Gott nie einen Fehler macht."

Der tiefe Sinn in dem Erleben der letzten Jahre liegt in der Verheißung Gottes: „Ich will dich segnen!" Wenn in der Heiligen Schrift von Segen die Rede ist, dann sind damit immer innere Werte gemeint. Gott hat uns die äußeren Güter aus der Hand geschlagen, aber hat er uns dadurch nicht innerlich freier gemacht? Andere zittern vor einer neuen Katastrophe, vor neuen Verlusten. Wir haben ein leichtes Gepäck. Sind uns nicht in den Stunden des Schreckens die ewigen Gottesworte wichtiger geworden als, was wir unseren Besitz nannten?

Ich sah in diesen Tagen ein erschütterndes Bild: „Menschen auf der Flucht." Im Hintergrunde lodernde Brände, im Vordergrund ein junges Mädchen, das einen kleinen Wagen zieht, auf dem ihre Großmutter sitzt. Dahinter ein verwundeter Soldat mit Krücken, ein alter Mann mit schwerem Gepäck, eine Mutter mit zwei Kindern, die sich ängstlich umsieht. Und mitten in diesem Zug des Elends geht Jesus Christus. Er hat ein Kind an die Brust gepreßt, seine Linke liegt segnend auf dem Haupt einer Frau, die am Wege kniet.

Sagt uns nicht dieses Bild in alles Leid dieser Zeit hinein: Ich will dich segnen? Überall da, wo der Herr Christus segnet, zieht Frieden, Glauben und Hoffnung ein. Äußerlich wird sich bei vielen von euch nichts ändern. Wenn ihr wieder hineingeht in eure Flüchtlingsnot, dann sollt ihr wissen, daß der Herr Christus alle Tage bei euch ist. Wenn er bei uns ist, dann ist kein Tag ohne Segen, ohne Kraft und ohne Hoffnung.

Wenn wir in dem Leid unseres Lebens so viel Segen erfahren, dann können wir nicht die Wei-sung überhören, die Gott uns gibt: „Du sollst ein Segen sein!" Wir kommen aus einem Land mit starker kirchlicher Tradition und beobachten so oft, daß hier viele keine Beziehung mehr zu ihrer Kirche haben. Gerade hier sind wir angeredet; wir wollen den anderen ein Segen sein und ihnen zeigen, was uns Kirche bedeutet. Auch unter den Heimatvertriebenen finden wir viele, die durch die Not sich von Gott und seinem Wort gelöst haben. Sollten wir nicht hier eine Aufgabe haben? Christus kann uns nur segnen, wenn wir bereit sind, ihm nachzufolgen.

Der 2. Juli ist ein Erinnerungstag für die Kolberger. 1807 schwiegen an diesem Tage die Ge-wehre und Kanonen, Kolberg war gerettet. 1945 hat Kolberg noch einmal eine Belagerung ertragen müssen, doch es kam keine Rettung. Die Stadt mit ihrem ehrwürdigen Dom ist zerstört. Die Kolberger sind in alle Winde zerstreut. Aber wenn der heutige Tag einen Sinn haben soll, dann doch nur den, daß wir auch in das fremde Land den Herrn Christus mitnehmen, der uns segnen will, und uns auffordert, den anderen nicht ein Fluch, sondern ein Segen zu sein. Amen.

 

16. Beamter und Politiker: Bruno Albrecht Friedrich Behrend

Hermann und Anna Behrend waren die Eltern von Bruno Behrend. Hermann war Schriftsetzer und später Korrektor bei der Königsberger Allgemeinen Zeitung. Er war Jahrgang 1858 und sie 1860. Im Jahre 1945 lebten sie noch hochbetagt in Königsberg, konnten aber wegen ihres hohen Alters und, weil Anna im Alter nicht mehr beweglich war (so Anna Luise Kob), 1945 nicht fliehen. Mit ihnen blieb ihre Tochter Ella in Königsberg. Anna starb am 10. April 1945, das Todesdatum von Hermann ist unbekannt. Für den Tod sind zwei mögliche Versionen über-liefert. Die eine spricht von gemeinsamem Selbstmord im Hammerteich. Die andere besagt, daß Hermann bei der Beerdigung seiner Frau verschleppt worden sei. Genaueres hat nur Tochter Ella berichten können, die zunächst bei den Eltern geblieben war und später nach Westen erst in die DDR und dann in die Bundesrepublik ausreiste. Von ihr müßte auch das bekannte Todesdatum von Anna stammen. Wäre die Selbstmordversion richtig, müßte das Todesdatum für beide das gleiche und bekannt sein. Deshalb spricht einiges für die Version mit der Verschleppung und das deshalb unbekannte Todesdatum von Hermann. Es ist zu beden-ken, daß die Kapitulation Königsbergs am 9. April 1945 erfolgte. Das bedeutet, daß beide zusammen mit Ella nicht nur die Bombardierungen Königsbergs sondern auch den Kampf um Königsberg und die Besetzung durch russische Truppen mit ihren Greueln erlebt haben. Hermann und Anna haben in diesem Zusammenhang ihr Leben verloren, Anna sogleich, Hermann etwas später. Was Ella durchmachen mußte, ist uns nicht bekannt.

Bruno wurde am 26.4.1887 in Königsberg i. Pr. geboren und starb am 28.12.1961 in Flensburg. In hinterlassenen Notizen beschrieb er sich so:1,68 m groß, blaue Augen, dunkelblondes Haar, ovales Gesicht. Er war Beamter des gehobenen Dienstes bei der Stadt Kö-nigsberg und beim Bundesrechnungshof in Frankfurt am Main. Bis 1933 war er Mitglied der Königsberger Stadt-verordnetenversammlung für die Deutsche Volkspartei, engagiert im Verband der preußischen Kommunalbeamten und - angestellten und dort bekannt mit Karl Goerdeler. In Königsberg wohnte er am 16. Juli 1915 im Samlandweg 11. Am 2. Weltkrieg hat er von Anfang bis Ende als Major bei der Flak teilgenommen. Am 30.4.1952 ist er in den Ruhestand eingetreten.

Für den beruflichen Werdegang von Bruno Behrend sind zwei kurzgefaßte Lebensläufe, einige handschriftliche Notizen und ein Fragebogen der Militärregierung von Deutschland recht detaillierte Auskunftsquellen. Den Fragebogen hat er bei Bewerbungen ausgefüllt, und zwar: am 5.11.1945 bei der Bewerbung als Bürgermeister der Stadt Husum, am 19.3.1946 bei der Bewerbung als Stadtdirektor von Schleswig, am 31.3.1946 als Gemeindedirektor in Leck und am gleichen Tage als Kreiskämmerer in Segeberg. Wir wissen, daß er schließlich in den Dienst beim Bundesrechnungshof eintrat. Die ganz übereinstimmenden Antworten von Bruno Behrend ergeben folgendes Bild:

- Beruf: Stadtamtmann in Königsberg i. Pr., gegenwärtige Stellung : keine. - Keine Mitgliedschaft in der NSDAP oder den 10 aufgezählten Unterorganisationen. - Tätigkeiten in 32 aufgeführten NSDAP-Hilfsorganisationen: 1934 - 1937 in der SA auf Grund geschlossener Überführung vom „Stahlhelm" (Bund der Frontsoldaten), 1935-1939 Reichsbund der deutschen Beamten, 1935-1939 NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt), 1924-1939 Reichskriegerbund. - Über seine politische Tätigkeit vor 1933 schrieb er: „Ich war von 1924-1933 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Königsberg (Pr), und zwar in der Fraktion der Deutschen Volkspartei. In dieser Eigenschaft sind von mir zweimal Veröffentlichungen in der Beamtenbeilage der „Königsberger Allgemeinen Zeitung" erschienen, auch habe ich im Rahmen von Diskussionen in der Stadtverordnetenversammlung und in Wahlversammlungen gesprochen. Über Inhalt und Datum dieser Verlautbarungen vermag ich heute keine näheren Angaben mehr zu machen." - Zur „Postenlosigkeit" äußerte er: 1.1.1930- 7.3.1933 Büroleiter des Städt. Tiefbauamts, Dezernent im Stadtwohlfahrtsamt, Büroleiter des städt. Grundstücksamts, alles in der Stadtverwaltung von Königsberg, Suspendierung vom Amt vom 8.3.1933- 12.4.1934, 13.4. 1934 bis 10.8.1939 Geschäftsführer der städt. Betriebskrankenkasse, Büroleiter des Stadtgesundheitsamtes, Leiter der städt. Kassenverwaltung, jeweils bei der Stadtverwaltung Königsberg; 10.8.1939 bis 1945 Militärdienst. - Nach 1933 wurde trotz der Suspendierung das Gehalt weitergezahlt; es betrug bis zum Militärdienst 6.600 RM jährlich, und während des Militärdienstes als Gehalt plus Wehrsold zunächst 7.100 RM und schließlich 9.600 RM. Beim Militär diente er im Flak-Streifendienst. - Auf die Frage, ob er verfolgt oder sonst eingeschränkt worden sei, antwortete er: „Vom 7.3.1933 - 12.4.1934 vom Amt als Stadtamtmann bei der Stadtverwaltung Königsberg (Pr) suspendiert und nacheinander in ein Disziplinarverfahren mit dem Ziele der Dienstentlassung, Verfahren gemäß § 4 und § 6 des Berufsbeamtengesetzes verwickelt unter der Anschuldigung, die NSDAP in der Wahlpropaganda für die Reichstagswahl am 5.3.1933 beleidigt zu haben. Nach Wiedereinsatz in mein Amt von Weiterbeförderungen ausgeschlossen." Aus zwei undatierten kurzgefaßten Lebensläufen (aus etwas späterer Zeit) ergeben sich folgende Ergänzungen zum zivilen Leben: 1902 mit Obersekundareife von der Schule abgegangen, 1902 in die Zivilanwärterlaufbahn bei der Stadtverwaltung eingetreten. Seit Ende des 1. Weltkrieg nur in leitenden Stellungen verwendet, meistens gleichzeitig mit der Neueinrichtung oder Umorganisation der betreffenden Ämter beauftragt. 1.12.1918-1921 Leiter der Erwerbslosenfürsorge 1921-1924 Leiter des städt. Organisationsamtes 1924-1925 Vorsteher und Dezernent des städt. Wohnungsamtes 1925-1926 Vorsteher und Dezernent des Stadtsteueramtes für Realsteuern 1926-1929 Vorsteher des städt. Tiefbauamtes 1930 Hilfs.-Dezernent im städt. Gesundheitsamt 1931-1933 Vorsteher und Hilfsdezernent des städt. Grundstücksamtes 1934-1936 Leiter der städt. Betriebskrankenkasse 1936-1938 Vorsteher des städt. Gesundheitsamtes 1938- 10.8.1939 Leiter der städt. Kassenverwaltung 1924-1933 Mitglied der Prüfungsausschüsse des ostpreußischen Städtetages für Kommunalbeamte 1922-1933 Vorsitzender des Verbandes der Kommunalbeamten und -angestellten für Ost- und Westpreußen 1924-1933 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Königsberg (Pr). Vom 10.8.1939 bis zum 3.10.1945 (Tag der Entlassung aus fünfmonatiger britischer Kriegsgefangenschaft) Soldat, dann bis zum 5.2.1946 ohne Beschäftigung. Vom 5.2. bis 8.6.1946 Aushilfsangestellter beim Steueramt der Stadt Flensburg. Vom 11.6. bis 30.11.1946 Finanzprüfer beim Gemeindeprüfungsamt der Landsverwaltung Schleswig-Holstein in Schleswig Ab 1.12.1946 Amtmann beim Statistischen Amt für die Britische Besatzungszone in Hamburg in der Stellung des Leiters der Organisationsabteilung.

Als Vorsitzender der Bezirksgruppe Ost- und Westpreußen des Verbandes der Kommunal-beamten und -angestellten Preußens von 1922-1933 hat er in der im Selbstverlag erschie-nenen Zeitschrift dieser Bezirksgruppe wiederholt ausschließlich Berufsfragen behandelnde Artikel veröffentlicht.

Bruno Behrend war in der Königsberger Verwaltung zu einer Zeit tätig, in der man vom „Kö-nigsberger System" sprach. Die neu gewählte Stadtverordnetenversammlung hatte am 28.Juli 1919 Dr. Hans Lohmeyer zum Oberbürgermeister und Carl Friedrich Goerdeler zum Bürger-meister gewählt. Stadtkämmerer war zunächst Erdmann, ab 1920 Friedrich Lehmann. Sie und die anderen Stadträte kamen nicht aus dem Lager der Revolutionäre. In Goerdelers Hand lag die Rationalisierung und Straffung der Verwaltung. 65 Dienststellen wurden nun in 15 Stadt-ämtern zusammengefaßt. Da die Bewegungsfreiheit der Städte durch ihre Abhängigkeit von den staatlichen Aufgaben (97 % der Kommunalaufgaben waren vom Staat vorgeschrieben) beengt war, verstärkte vor allem Lohmeyer die wirtschaftlichen Aktivitäten der Stadt. Die städtischen Betriebe wurden nun verselbständigt und nach kaufmännischen Grundsätzen geführt. Neu gegründet wurden eine Stadtbank und der Zivilflughafen Devau. Die Ostmesse und der Hafen wurden ausgebaut, neue Bahnhöfe angelegt, z. B. der Nordbahnhof. Der Paradeplatz und der Festungsring wurden in Grünanlagen umgewandelt. Lehmann verfolgte einen strikten Sparkurs. Der gebürtige Königsberger und promovierte Jurist wurde 1921 Mitglied der Johannis-Loge der Freimaurer, jener Loge, in der Martin Kob aktiv war, trat aber wenige Jahre später wieder aus. Als 1931 der Frankfurter Stadtkämmerer Asch nach Berlin berufen wurde, suchte die Stadt eine „allererste" Kraft. Die Wahl fiel auf Lehmann, er trat sein Amt im Jahre 1932 an und blieb in ihm trotz vieler Spannungen mit der Partei bis 1946.

Im August und September 1936 nahm Bruno an einer Wehrübung bei der Flakabteilung 1 in Königsberg., ebenso im September 1937 und im Juni, Juli 1939 in der leichten Flakabteilung 712 teil. Vom 10.8.1939 bis 2.1.1941 tat er Militärdienst bei der Leichten Res. Flakabt.712 und dann bei verschiedenen Flak-Einheiten in Wien-Kagran, Königsberg i. Pr., Saarow, Greifswald, Belzig, Stettin, Wittenberg und Rendsburg, meist im Streifendienst. Vom 17.5.-3.10.1945 war er in Kriegsgefangenschaft.

13/14 Bruno Albrecht Friedrich Behrend 1887 - 1961 <<< 13/15 Martha Gertrud Tolksdorf 1891 - 1984

 

17. Tilsit

Martha Tolksdorf stammte aus Tilsit. Tilsit entwickelte sich aus einer alten Ordensburg, um die herum Prußen und Schalauer siedelten. Hier entstand in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts der deutsche Marktflecken „Tils" oder „Tilse" und erhielt 1551 Stadtrecht. Erst im 19. Jahrhundert bürgerte sich der moderne Name „Tilsit" ein. Der Name ist u.a. durch den Käse bekannt geworden. In Tilse waren seit 1713 Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden angesiedelt worden. Sie brachten die Käseproduktion mit und verkauften ihren Käse auf den Märkten, den Mennoniten-Käse. Es kamen aber auch Schweizer aus dem Kanton Thurgau, die einen würzigen, kleinlöchrigen Käse nach Art des Appenzellers produzierten. Sie dominierten schließlich die ostpreußische Milchwirtschaft und machten den Tilsiter zum Markenzeichen.

Nach den dramatischen Niederlagen Preußens gegen das napoleonische Frankreich gab es am 25. Juni 1807 ein legendäres Treffen von Zar Alexander I. und Napoleon auf einem Floß in der Memel bei Tilsit. Der Preußische König Friedrich Wilhelm III. war nur Zaungast. Tilsit wurde für neutral erklärt, Franzosen und Russen stationierten gleich starke Truppen dort. Die preu-ßische Königin Luise kam nach Tilsit und führte am 6. Juli ein Gespräch mit Napoleon , in dem sie ihn günstig zu stimmen suchte, vergebens. In dem am 9.7.1807 unterzeichneten Tilsiter Frieden verlor Preußen große Teile seines Staatsgebietes. Noch einmal stand Tilsit im Blick-punkt der preußischen Geschichte. Am 30.12.1812 schloss der preußische General Yorck von Wartenburg mit dem russischen General von diebisch die Konvention von TauRoggen. Es war der erste Schritt zu der preußischrussisch-österreichischen Allianz, die dann Frankreich be-siegte und Napoleon aus Europa verbannte. Tauroggen lag nicht weit von Tilsit jenseits der Memel. Aus Tilsit stammte der preußische Dichter Max von Schenkendorf, der die Frei-heitskämpfe besang, u.a. mit dem Lied „Freiheit die ich meine". Seine Gedichte gehörten bis ins 20. Jahrhundert zum Grundbestand preußischdeutscher Gedichtsammlungen. Als ich 1956 das Abitur machte, gab mir der damalige Direktor des Steglitzer Gymnasiums in Berlin noch ein Schenkendorf-Wort mit auf den Lebensweg: „Wo sich Männer finden, die für Ehr und Recht mutig sich verbinden, weilt ein frei Geschlecht." 1910 hatte Tilsit 39 000 Einwohner.

18. Flucht und Vertreibung: Hintergründe und Zusammenhänge

1. Eine scharfe Zäsur, ja eine Katastrophe, in der Geschichte der Familie Kob stellten die Jahre 1944/45 mit Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen dar. Ihr Urahn aus Thüringen war nach Ostpreußen gegangen, weil er hier wohl bessere Lebensbedingungen erwartete, und die hugenottischen Vorfahren hatten ihre Heimat verlassen, weil sie ihrem Glauben treu bleiben wollten. Nun konnten die Kobs keine freie Entscheidung treffen. Sie wurden „geführt, wohin sie nicht wollten", wie es Superintendent Handtmann in der ebenfalls abgedruckten Predigt unter Berufung auf die Bibel formuliert hat. Die ganzen Schrecken dieser Geschehnisse können hier nicht dargestellt werden und sind ja anderwärts dokumentiert und kommentiert. Aber der bohrenden Frage nach dem „warum?" und dem Umgang mit dem Geschehenen möchte ich mich doch noch stellen.

Bisher war verschiedentlich von der Liebe zur Heimat die Rede, und um sie zu verstehen, wurde manches von der „kalten Heimat" erzählt. Es wurde auch von den traumatischen Erlebnissen von Flucht und Vertreibung gesprochen. Aber können Schmerz und Trauer, Verzweiflung und Wut überhaupt in Worte gefaßt werden? So mancher läßt sich auch heute noch davon, und vor allem von der Wut, leiten. Es kann keinen Zweifel geben, daß auch Mitglieder unserer Familie Schreckliches erlebt und erlitten haben und daß dies Unrecht war. Ja spätestens nach dem 2. Weltkrieg muß man zu der Auffassung kommen, daß das Eröffnen eines Krieges, die Besetzung fremder Länder und die Vertreibung von deren Bevölkerung Unrecht sind; abgesehen von den Verbrechen, die üblicherweise damit verbunden sind. Der 1. Weltkrieg hatte begonnen, weil keine der Großmächte ihn wirklich verhindern wollte. Der 2. Weltkrieg aber wurde von Deutschland über Europa gebracht. Das muß man leider sagen. Deshalb lohnt es, einige Gedanken auf die Hintergründe dieses Krieges und seiner Folgen zu verwenden.

2. Nach rund einhundertfünfzig Jahren der Teilungen und rund einhundert Jahren ohne eigenen Staat erhielten die Polen nach dem 1. Weltkrieg im November 1918 einen eigenen Staat unter Pilsudski in Form einer autonomen Republik. Außer den alten polnischen Kerngebieten erhielt es ehemals preußische Teile von Westpreußen (Korridor), vom Warthegau und von Oberschle ­sien zurück. Im Osten erstreckte es sich auch über Teile von Masowien, Litauen, Wolhynien und Galizien. Die für einige Grenzgebiete vorgesehenen Abstimmungen der Bevölkerung, ob sie für Deutschland oder für Polen votierten, brachten erhebliche neue Spannungen. Auch fand sich die Weimarer Republik nur schwer mit der Existenz eines polnischen Staates überhaupt ab. Im Jahre 1925 (Vertrag von Locarno) erkannte Deutschland die neue deutsche Ostgrenze nicht an, sondern verpflichtete sich lediglich, sie nicht mit Gewalt zu verändern. Polen seinerseits betrieb gegenüber der schwachen Weimarer Republik eine Einschüchterungspolitik. So schaukelten sich die Ressentiments gegen ­seitig hoch. Als Hitler an die Macht kam, schloß er zunächst (1934) mit Polen einen Nicht ­angriffspakt. Er kündigte den Vertrag jedoch wieder auf, als Polen nicht bereit war, die Korridorfrage im Sinne Deutschlands zu lösen und der Eingliederung Danzigs in das Reich zu ­zustimmen. Am 23. August 1939 schloß Hitler mit Stalin einen Nichtangriffspakt und vereinbarte in einem geheimen Zusatzprotokoll die vierte Teilung Polens. Am 1. September 1939 wurde Polen überfallen und nach dem Sieg zwischen Deutschland und Rußland aufgeteilt. Es folgte der 2. Weltkrieg. Am 22.2.1944 hielt Churchill eine Rede im Unterhaus, wo er öffentlich von der Einigung mit Stalin berichtete, daß Polen auf Kosten Deutschlands im Norden und Westen für Gebiete entschä ­digt werden müsse, die es an Rußland abzutreten habe. Auch wolle man die bedingungslose Kapitula ­tion Deutschlands, damit die Atlantik-Charta als Rechtsgrund, der die Abtretung von Gebieten verhindert, nicht in Be ­tracht käme. Es folgte die Konferenz von Jalta vom 4.-12.2.1945, in der Polens Ostgrenze entsprechend der alten Curzon-Linie festgelegt wurde, während die Westgrenze einem Friedensvertrag vorbehalten sein sollte. Dann klopfte die Potsdamer Konferenz vom 17.7.-2.8.1945 dies alles fest. Polen verlor von 388.000 qkm 160. 000 qkm und erhielt 103.000 qkm. Verbliebene Deutsche waren bis Ende 1948 umzusiedeln. Deutsche im polnischen Verwaltungsgebiet waren : 1939 8,5 Mio, Mai 1945 3.4 Mio, Juni 1945 4,5 Mio.

Folge dieser Politik der Großmächte waren Flucht, Vertreibung und Zwangsaussiedlung der Deutschen aus ihren ehemaligen Ostgebieten, aber auch Flucht und Zwangsumsiedlung der Polen von Ostpolen in die ehemaligen deutschen Gebiete. Die neue deutsche Ostgrenze wurde von den Deutschen nur schwer akzeptiert. Mit dem Görlitzer Vertrag von 1950 erkannte zwar die DDR diese Grenze als Friedens ­grenze offiziell an. In der Bundesrepublik begann aber erst nach der Ostdenk ­schrift der EKD von 1965 ein Prozeß, mit dem man sich den Realitäten stellte. Er führte schließlich zum Warschauer Vertrag von 1970. In Artikel 1 dieses Vertrages wurde die Unverletzlichkeit der jetzigen polnischen Westgrenze bekräftigt und erklärt, daß beide Seiten keine Gebietsansprüche gegeneinander haben. Mit dem Ausreiseprotokoll von 1975 schließlich wurde die Grundlage dafür geschaf ­fen, daß jene Polen, die nähere Verwandte in der Bundesrepublik hatten, in diese ausreisen dürfen. Damit haben die letzten Menschen, die in früheren deutschen Gebieten lebten und sich den Deutschen zugehörig fühlten, ihre jahrhundertelange Heimat verlassen.

3. Die Situation der Bundesrepublik Deutschland in dieser Zeit ist wiederum nur auf dem Hin-tergrund der politischen Situation in Europa zu verstehen. Die Großmächte USA und UdSSR hatten sich Europa nach dem 2. Weltkrieg aufgeteilt. Je ein Teil Deutschlands gehörte zu je einem der beiden Blöcke. Was man heute atlantische Partnerschaft nennt, wuchs erst langsam, denn auch die West-Allierten waren ja nicht als Freunde sondern als Sieger gekommen. So hatten sie nicht nur deutsche Kriegsgefangene an die Sowjet-Union ausgeliefert, sondern auch besetztes deutsches und tschechisches Gebiet der Sowjetunion übergeben. Und tief saß in den Deutschen immer noch die Angst vor „den Russen". Groß war also ihre Verunsicherung. Konnte man sich auf den Westen wirklich verlassen? Auch die sozialen Probleme waren groß. So sprach Konrad Adenauer in einer seiner ersten Ansprachen als Bundeskanzler auch vom „Triebsand der Millionen Flüchtlinge, die ohne rasche Verbesserung der wirtschaftlichen Lage eine Gefahr für ganz Westeuropa darstellten". Adenauers Innenpolitik war dementsprechend auf wirtschaftlichen Aufbau, seine Außenpolitik auf die konsequente Westintegration ausge-richtet. Hätte es Alternativen gegeben? Immer wieder auch war den Deutschen vor Augen geführt worden, wie gefährdet die neu gewonnene Freiheit war. Vom 24.6.1948 bis 12.5.1949 waren die 2,5 Mio Einwohner West-Berlins durch die Sowjets von jeder Versorgung abge-schnitten worden, die sog. „Blockade". Ganze Teile West-Europas hatten Angst gehabt, die Amerikaner würden nachgeben und sich aus Europa zurückziehen. Am 18.10.1951 war die Westberliner Enklave Steinstücken besetzt worden. Im Dezember 1952 waren die Grenz-sperren in Berlin verschärft worden. Trotz des Viermächte-Statuts von ganz Berlin hatten die Westmächte am 17. Juni 1953 nicht eingegriffen, als Arbeiterdemonstrationen niedergewalzt worden waren. Immer wieder waren Viermächtekonferenzen über Deutschland ohne Ergebnis geblieben. Am 25.3.1954 war die DDR von der Sowjetunion als souveräner Staat anerkannt worden. Auch beim Ungarnaufstand im November 1956 hatte man kaum verstanden, daß vor allem die Amerikaner, die sich doch überall als Kämpfer für die Freiheit gebärdeten, nicht eingriffen. Im Oktober 1958 hatte Ulbricht das ganze Berlin für einen unteilbaren Bestandteil der DDR erklärt. Am 10.11.1958 hatte die Sowjetunion ein Berlin-Ultimatum verkündet, das den Ablauf des Viermächte-Statuts für Berlin, den Abzug der West-Alliierten aus Berlin und die Schaffung einer „Freien Stadt West-Berlin" zum Inhalt gehabt hatte. Im Februar 1959 hatte Chruschtschow den Abzug fremder Truppen aus Mitteleuropa gefordert. Am 13.3.1961 dann hatte Kennedy Brandt ein Garantie-Versprechen für die Freiheit West-Berlins gegeben, die erste Erklärung dieser Art nach 15 Jahren Kaltem Krieg. Es waren am 3.6.1961 die erneute Forderung Chruschtschows nach einer Freien Stadt West-Berlin gefolgt, am 13.8.1961 der Mauerbau, am 26.6.1963 Kennedys Erklärung: „Ich bin ein Berliner" und im November 1963 erneute Behinderungen des Berlin-Verkehrs. Dies waren die Existenzbedingungen der West-Berliner und die Erfahrungen der Deutschen insgesamt.

4. Betrachtet man die Vorgänge gegen Ende des und nach dem Zweiten Weltkrieg, dann muß man zu dem Schluß kommen, daß die Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat in Ostpreu-ßen Pommern, Brandenburg und Schlesien vor allem der Expansion Rußlands und der Sowje-tu-ion nach Westen diente. Die Vertreibung der Deutschen aus anderen ostmitteleuropäischen und osteuropäischen Staaten folgte dem nationalstaatlichen Bestreben nach einer nationalit-ätenreinen Bevölkerung. Verdanken wir das eine dem Expansionsdrang einer Großmacht, so das andere dem seit dem 19. Jahrhundert überall blühenden Nationalismus.

Deshalb darf man auch nicht alle Vertreibungsvorgänge über einen Kamm scheren. Für die ostpreußische Heimat der Kobs bedeutet das auch zweierlei. Das Königsberger Gebiet ist eine Neueroberung Rußlands aus geostrategischen Gründen. Das südliche Ostpreußen fiel an Polen, das es mit aus Ostpolen vertriebenen Landsleuten besiedelte, denn Ostpolen fiel auch an die Sowjetunion. Polen war ein Hauptleidtragender der sowjetischen Politik, weil es geografisch von Osten nach Westen verschoben wurde. Ironie der Geschichte ist es, daß sich in den Wende-jahren um 1990 herum in Weißrußland und in der Ukraine (beides Sozialistische Sowjet Re-publiken) die alte einheimische Mehrheitsbevölkerung (Weißruthenen und Ukrainer) rührte und eine echte eigene Staatlichkeit forderte und erhielt. Den Kampf der Ukraine um Unab-hängigkeit beobachten wir bis heute. So war der Neuerwerb der Sowjetunion hier nicht von langer Dauer. Es ist müßig zu fragen, ob sich nicht auch Polen diesem Drang hätte beugen müssen.

Daß die deutsche Ostgrenze unter allen diesen Umständen nur schwer akzeptiert wurde und daß es bis zum Jahre 1990 in der Bundesrepuklik immer wieder heftige öffentliche Diskus-sionen über ihre Anerkennung gab, wundert nicht. Sprachen sich die einen aus Heimatliebe oder verletztem Nationalstolz dagegen aus, so gab es die anderen, die einen Schlußstrich unter die alten Fragen ziehen oder auch wegen der Schuld Deutschlands am 2. Weltkrieg für ein Hinnehmen der historischen Fakten plädierten. Schon vor Jahrzehnten haben Deutsche, auch Ostpreußen, auch solche, die ihre Heimat über alles geliebt hatten, für letztere Position gestritten. Eine Form dafür hatten sie in der „Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland von 1965" gefunden. Da ich meine, daß die Verfasser der Denkschrift damals Gedanken und Worte gefunden haben, die auch heute noch nicht besser sein könnten, möchte ich abschließend davon berichten.

5. Die abgekürzt „Ostdenkschrift" genannte Denkschrift wendete sich in zwei Richtungen. Sie machte einerseits auf die Situation der Vertriebenen aufmerksam und betrachtete andererseits das Verhältnis zu den östlichen Nachbarn Deutschlands kritisch. Im ganzen Text kamen unter-schiedliche Auffassungen zu Wort, wurde genau und differenziert erörtert und abgewogen, ohne daß auf einen eigenen Standpunkt verzichtet wurde. Und es spiegeln sich in ihr die Positionen der offiziellen deutschen Politik wie der Vertriebenenverbände. Also lasse ich die Denkschrift doch selbst zu Wort kommen.

Zur Situation der Vertriebenen lesen wir u.a.: „Die Evangelische Kirche in Deutschland beob-achtet mit wachsender Sorge, daß die Wunden, die der Zweite Weltkrieg im Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn geschlagen hat, bis heute, 20 Jahre nach seinem Ende, noch kaum ange ­fangen haben zu verheilen. Ein wesentlicher Grund dafür ist auf deut ­scher Seite, daß die Besetzung der deutschen Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie durch Sowjetrußland und Polen und die Vertreibung von Millionen deutscher Menschen aus diesen Gebieten und aus den alten deutschen Siedlungsgebieten in der Tschechoslowakei sowie im übrigen Osten und Südosten Europas Probleme aufgeworfen haben, die bisher nicht zureichend gelöst worden sind. Die öffentliche Erörterung dieser Probleme nimmt in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West) einen breiten Raum ein."

Jede Betrachtung zur Lage der Vertriebenen und zum künftigen Verhält ­nis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn muß damit begin ­nen, den Umfang der menschlichen Seite der Katastrophe des deutschen Ostens bewußt zu machen. In Millionen von Einzelschicksalen wieder ­holte sich mit dem Verlust der Heimat der Verlust beinahe jeglichen äu-ßeren Besitzes und in den meisten Fällen auch der Verlust von nahen Angehörigen. Millionenfach wiederholte sich mit den Strapazen der Ver ­treibung und mit dem Kampf um die nackte Selbsterhaltung eine totale Lebenskrise, die auch die seelische, geistige und geistliche Substanz er ­faßte. Die Vorgänge wären (jedoch)unangemessen verkürzt dargestellt, würde nicht von Anfang an auch das menschliche und geschichtliche Schicksal der östlichen Nachbarn Deutschlands mit ins Auge gefaßt. Sie haben den Krieg und den Kriegsausgang ebenfalls als menschliche und nationale Katastrophe erfahren. Dabei hatte das deutsche Volk schwere politische und morali ­sche Schuld gegenüber seinen Nachbarn auf sich geladen. Die den Deut ­schen angetanen Unrechtstaten können nicht aus dem Zusammenhang mit der politischen und moralischen Verirrung herausgelöst werden, in die sich das deutsche Volk vom Nationalsozialismus hat führen lassen."

Bei allem, was man in Kirche, Staat und Gesellschaft zu Problemen der Vertriebenen sagt, muß bedacht werden, daß die Vertreibung eine Unsicherheit in der Umweltbeziehung, ein verletztes Rechtsgefühl und ein Mißtrauen gegenüber der Zukunft bei den Betroffenen zur Folge hat. Allerdings wäre der Zweck einer solchen Untersuchung verfehlt, würde man sie auf die Frage beschränken, wie weit die wirtschaftliche Eingliederung der Vertriebenen im Sinne einer Sicherung der äußeren Lebensbedingungen gelungen ist. In Wahrheit haben das Zerstörungswerk des Nationalsozialismus, der Zusammenbruch des Reichs im Jahre 1945 und die über die deutschen Ostgebiete hereingebrochene Katastrophe das ganze deutsche Volk in seinen geistigen und sittlichen Grundlagen erschüttert. Vor dem deutschen Volk stand und steht noch immer die Aufgabe, zu einer neuen Gemeinschaft aus Einheimischen und Ver ­triebenen zusammenzuwachsen."

Sodann wird auf die gegenwärtige Lage in den „Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Linie": „Der Publizist und Historiker Walter Görlitz erinnert in einem Vortrag an die geradezu verzwei ­felte Ausgangsposition, in der sich Polen nach dem Kriege befunden habe: ,,Nun sollten wir nicht immer nur auf das sehen, was sich damals in den deutschen Ostgebieten vollzog, die nationa-listische Orgie der Mas ­senaustreibung der Deutschen, auf alle diese Handlungen des Hasses und der Unvernunft von polnischer Seite. Wir müssen, wenn wir die polnische Politik von heute verstehen wollen, uns ganz nüchtern klar ­machen, daß die polnische provisorische Regierung Herr geworden war über ein weithin verwüstetes, ausgeplündertes, zerrüttetes Polen wie über ein ausgeplündertes, zerrüttetes Ostdeutschland. Es ist für diese Regierung zweifellos eine fürchterliche Situation gewesen. Man kann damit rechnen, daß (einschließlich der ermordeten polni ­schen Juden) Polen einen Bevölkerungsverlust von 6,5 Millionen Menschen durch Kampfhandlungen, Mord, Hunger, Elend, Verschlep ­pung usw. im Zweiten Weltkrieg erlitten hat. Alle alten Formen sozialer Ordnung waren umgestürzt, was regierte, waren Not und Elend, war eine vernichtete Wirtschaftskraft. Dazu kamen die Auf ­gaben der Aussiedlung, die ja schon rein verwaltungsmäßig ein Riesenproblem gewesen wäre. Dazu kam die Aufgabe der Umsied-lung, d.h. der Umsetzung von Polen und Ukrai­nern aus den abgetretenen Ostgebieten in die Westgebiete. Es fehlte an geschulten Beamten. Die ganze polnische Intelligenzschicht war ent ­weder vernichtet, oder saß im Ausland, oder sie kam mühsam aus dem Untergrund, aus ungeordneten Verhältnissen wieder hervor." In dieser Kriegs- und Nachkriegszeit, so urteilt Görlitz, liege noch heute der Grundbestand aller polnischen Probleme beschlossen. Dies ist auch der Hintergrund für die große Empfindlichkeit, mit der das polnische Volk seinerseits auf eine Infragestellung seines territorialen Besitzstandes von deutscher Seite reagiert."

Da in den öffentlichen Diskussionen völkerrechtliche Fragen eine große Rolle spielten, wird dazu gesagt: „In der deutschen wie in der internationalen Diskussion über das Schicksal der deutschen Ostgebiete und ihrer Bevölkerung spielen völkerrechtliche Argumente eine wesent-liche Rolle. Die Eingliederung der Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie in den polnischen und den sowjetrussischen Staatsverband wird von diesen Staaten als endgültig und rechtmäßig bezeichnet, während die Regierung der Bundesrepublik Deutschland auf die Notwen ­digkeit einer Regelung durch einen künftigen Friedensvertrag verweist. ... Die Wiederherstellung der Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 wird darum aus Gründen nationaler Ehre und um der Erhaltung des geschichtlichen und kulturellen Bestandes unseres Volkes willen, aber auch als Verwirklichung eines klaren Rechts ­anspruches gefordert. (Aber es) kann soviel mit Sicherheit festgestellt werden, daß das spezielle Vertragsrecht, in diesem Falle das Potsdamer Protokoll der vier Alliierten vom 2. August 1945, nur von polnischer Verwaltung der Gebiete spricht und die Entscheidung über einen endgültigen Hoheitswechsel einem künftigen Frie-dens-ertrag überläßt, der der Zustimmung einer deutschen Regierung bedürfte. Ein Recht auf Annexion durch einseitigen Akt, wie es Polen für sich in Anspruch nimmt, hat nur das ältere Völkerrecht dem Sieger gegenüber dem im Krieg unterlegenen Gegner zugestanden. Der von der Regierung der DDR gegenüber Polen ausgesprochene Verzicht kann dazu völkerrechtlich schon deshalb nicht ausreichen, weil es sich um Gebiete des alten Deut ­schen Reiches handelt. Auf völkerrechtlich sicherem Grund steht man auch, wenn man weiter feststellt, daß einem Staat, der fremdes Staatsgebiet besetzt oder verwaltet nicht erlaubt ist, im Wege gewaltsamer Massendeportation die dort ansässige Bevölkerung zu vertreiben oder ihr, soweit sie aus Furcht vor Gewaltmaßnahmen geflohen ist, die Rückkehr in ihre Heimat und zu ihrem dort zurückgelassenen Hab und Gut zu verwehren. (Doch) muß sich das deutsche Volk aber die kritische Frage gefallen lassen, ob es sich nur dem Gefühl verletzten eigenen Rechtes hingeben darf und will. Nachdem in seinem Namen im letzten Krieg den Völkern des Ostens und im beson ­deren den Polen, die die Gebiete heute besetzt und neu besiedelt haben, schweres Unrecht zugefügt worden ist, muß das deutsche Volk zugleich daran denken, welchen Ausgleich das von ihm selbst verletzte fremde Recht gebietet. Die leidvolle Geschichte deutscher Unterdrückungsmaß ­nahmen gegenüber dem immer wieder seiner politischen Selbständigkeit beraubten polnischen Volk und die völkerrechtswidrige Behandlung, die dieses Volk während des Zweiten Weltkrieges auf Anordnung der natio ­nalsozialistischen Staatsführung erfuhr, stellt uns heute unausweichlich vor die Frage, ob sich daraus nicht politische, vielleicht aber auch völ-ker ­rechtliche Einwendungen gegen einen deutschen Anspruch auf unvermin ­derte Wiederherstellung seines früheren Staatsgebietes ergeben. Darum muß eine deutsche Regierung heute zögern, einen Rechtsanspruch auf die Rückgabe von Gebieten zu erheben, deren Besitz wegen des Verlustes von Ostpolen zu einer wirt ­schaftlichen Lebensnotwendigkeit für Polen geworden ist.

Die rechtlichen Positionen begrenzen sich gegenseitig; Recht steht gegen Recht oder - noch deutlicher - Unrecht gegen Un ­recht. In solcher Lage wird das Beharren auf gegensätzlichen Rechtsbe ­hauptungen, mit denen jede Partei nur ihre Interessen verfolgt, unfrucht ­bar, ja zu einer Gefahr für den Frieden zwischen beiden Völkern. Auf dieser Ebene ist der Konflikt nicht zu lösen. Daher gilt es, einen Ausgleich zu suchen, der eine neue Ordnung zwischen Deutschen und Polen herstellt. Damit wird nicht gerechtfertigt, was in der Vergangenheit geschehen ist, aber das friedliche Zusammenleben beider Völker für die Zukunft ermög ­licht."

Schließlich werden theologische und ethische Erwägungen angestellt: „Ohne Zweifel gehört die irdische Heimat zu den Gaben, mit denen Gott die Menschen ihr Leben in einer möglichst guten Ordnung der Welt füh ­ren lassen will. Die Heimat ge ­hört zu den Elementen des Lebens, die in Verantwortung zu gebrauchen und zu gestalten sind. Diese Verantwortung schließt auch die Möglichkeit einer Entscheidung gegen die Heimat und einer Lösung von ihr nicht aus. Eine Überhöhung des Heimatverständnisses entspricht in der mobilen Gesellschaft von heute weithin nicht mehr der Lebenswirklichkeit. In unserem Zusammenhang geht es um Fragen einer politischen Neuordnung im Verhältnis zwischen den Völkern, namentlich zwischen Deutschland und seinen östlichen Nach ­barn. Die hier anzustrebende internationale Friedens-ordnung ist ohne Wahrheit und Gerechtigkeit, ohne gegenseitige Berücksichtigung berech ­tigter Interessen und ohne den Willen zum Neuanfang auf der Grundlage der Versöhnung nicht denkbar. Es muß möglich sein, daß dabei das Unrecht, das sich beide Seiten gegenseitig angetan haben, nicht übergangen wird. Nur so kann es einen Weg für ein neues Verhältnis zwischen den Völkern geben. Vom Unrecht der Vertreibung kann aber nicht gesprochen werden, ohne daß die Frage nach der Schuld gestellt wird. Im Namen des deutschen Volkes wurde der Zweite Weltkrieg ausgelöst und in viele fremde Länder getragen. Seine ganze Zerstörungsgewalt hat sich schließlich gegen den Urheber selbst gekehrt. Wir müssen aber daran festhalten, daß alle Schuld der anderen die deutsche Schuld nicht erklären oder auslöschen kann."

6. Die Denkschrift traf eine deutsche Öffentlichkeit, die seit Kriegsende verschiedenste politische Entscheidungen wie z. B. die Wiederbewaffnung oder die atomare Rüstung sehr streitbar diskutiert hatte, und in der auch die Frage nach Wiedervereinigung und den Grenzen des künftigen Deutschland virulent war. Mit der Auffassung, wo Recht gegen Recht und Unrecht gegen Unrecht gestellt wird, gibt es keine friedliche, gemeinsame Zukunft, und mit der Forderung, daß Deutschland um des Friedens willen unter Umständen in der Grenzfrage nachgeben müsse, brachte die Denkschrift jetzt Positionen ins Spiel, die nicht nur der Regierungskoalition sondern auch der Mehrheit der Deutschen völlig inakzeptabel erschienen. Entsprechend heftig und kontrovers waren auch die Reaktionen in den Medien.

Bedauerlich ist auch, daß bei dieser Polarisierung verschiedenste Aktivitäten polnischer Politik nicht in ihrem wirklichen Gehalt geprüft und abgewogen wurden. Man sah sie nur als von der UdSSR eingefädelte Finten im Kalten Krieg. Dabei hatte es doch 1954 Polens Verzicht auf deutsche Reparationen gegeben, 1955 Polens Erklärung des Endes des Kriegszustandes mit Deutschland und 1957 den Rapacki-Plan, mit dem Polen eine kernwaffenfreie Zone BRD, DDR, Polen vorgeschlagen hatte. Dem hatte die CSSR sofort zugestimmt, während der Westen und die Sowjetunion abgelehnt bzw. blockiert hatten. Bonn hatte be ­zweifelt, daß es ein eigener polnischer Plan sei, und die verbleibende Stärke der konventionellen sowjetischen Streitkräfte kritisiert. Zu erinnern ist auch an Gomulkas Rede 1961, mit der er die friedliche Koexistenz unterschiedli ­cher Systeme für möglich gehalten hatte. 1962 hatte es den veränderten Rapacki-Plan als Stufenplan gegeben, den immerhin Kennedy wohlwollend betrachtet hatte; und 1963 den Gomulka-Plan als 3.Version des Rapacki-Planes mit dem Ziel, die Atomrüs ­tung einzufrieren und einen Handelsvertrag Polen - BRD abzuschließen.

In dem erbitterten öffentlichen Streit gab es allerdings auch Hilfestellungen. So den Brief der polnischen Bischöfe auf dem Konzil vom 18.11. 1965 an die deutschen mit der schönen Formu-lierung: „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung", und den Antwortbrief der deutschen Bischöfe vom 5.12.1965; beide aber, ohne die klare politische Zielrichtung der Denkschrift aufzunehmen. Deutlicher dann das „Memorandum deutscher Katholiken zu den polnischdeutschen Fragen" vom Bensberger Kreis von 1968.

7. Was waren die Folgen der Denkschrift? Ohne Zweifel hatte sie Erfolg mit ihrem Vorhaben, einer veränderten deutschen Politik den Boden zu bereiten. Nach provozierenden evange-lischen Stimmen in den Jahren zuvor, vorsichtigem Taktieren der Katholischen Kirche und zaghaften Versuchen in der Politik und der Ministerien platzte der Knoten, und es konnte in den Folgejahren die Verständigungspolitik betrieben werden, die mit dem Namen Willy Brandts verbunden ist.

1970 begannen Wirtschaftsverhandlungen. Ein Vertrag über die Grundlagen der Normali-sierung der gegenseitigen Beziehungen einschließlich der Anerken ­nung der Grenze wurde erarbeitet. Aber auch die Ratifizierung des Grundlagenvertrags durch den Bundestag mit Einschränkun ­gen bezüglich der Grenze brachte keine endgültige Sicherheit für Polen. Ja, das Bundesverfassungsgericht stellte am 31.7.1973 fest, daß das Grundgesetz das Wiederverei-nigungsgebot enthalte und deshalb kein Verfassungsorgan dieses Ziel aufgeben dürfe. Das Deut ­sche Reich habe den Zusammenbruch überdauert. Eine schon damals angesichts der Vorgeschichte absurde Position. 1975 veränderte die Konferenz für Zusammenarbeit und Entspannung in Helsinki die europäische Situation. In ihrem Schutze konnten nun Oppo-sitionelle in vielen osteuropäischen Staaten aktiver werden. Am 9.10.1975 wurden pol-nischdeutsche Vereinbarungen getroffen, die das Eis brachen: Ausreise für 125.000 Deutsche; der „Jumbo-Kredit" in Höhe von 1 Mia DM wurde gewährt, 1 Mia DM wurde in das polnische Rentensystem gegeben, um Rentenforderungen auszugleichen etc. Die Folge waren neue Reisemöglichkeiten.

8. Wenn ich mir dies alles vor Augen halte, frage ich mich natürlich, welche Relevanz das heute noch hat. Nun, ohne dies alles gäbe es vermutlich die Wende von 1989, die deutsche Einigung, eine Europäische Gemeinschaft, zu der auch Polen gehört, und das letztlich gutnachbarschaft-liche Verhältnis zwischen Polen und Deutschland nicht. Die Annäherung Deutschlands an seine östlichen Nachbarn war ein Baustein dafür. Daß 1990 die Vereinigung Deutschlands erfolgte, wurde ja nur möglich, weil die USA und die UdSSR, aber auch Polen, dies als in ihrem Interesse liegend ansahen und daran konstruktiv mitwirkten, anders als Frankreich und Großbritannien. Und daß Polen mitwirkte, ohne dessen Zustimmung die Siegermächte der deutschen Verei-nigung nicht zugestimmt hätten, hing mit dem endgültigen Verzicht auf die ehemaligen Ost-gebiete wie auch mit dem deutschpolnischen Annäherungsprozeß zusammen. Die polnische Opposition gegen den Kommunismus hatte ja nicht nur früh deutsche Widerstandsliteratur aus dem 3. Reich gelesen, sondern ihrerseits erkannt, daß Polen seine Freiheit nur erlangen und bewahren konnte, wenn Deutschland vereinigt wäre. So war 1990 eine Situation gegeben, die sich mancher in unserem Lande seit den fünfziger Jahren gewünscht hatte: Wenn schon die Ostgebiete verloren waren, dann sollte doch wenigstens die deutsche Teilung ein Ende haben. Diese Entwicklung ist aber auch ein Lehrstück. Es hatte sich auf allen Seiten gezeigt, wie schwerfällig, unbeweglich, ja unfähig Regierungs-Politik häufig beim Lösen von großen Prob-lemen ist. Hier half nur das Engagement der Regierten, beiderseits der Grenzen, im Osten mit sehr viel mehr persönlichen Risiken als im Westen. Als kleinen Teil dieser „Bürgerbewegun-gen" habe ich mich mit meinem Engagement für und in Polen immer verstanden.

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